Die Zahl derjenigen Kliniken die sich auf die besonderen Bedürfnisse von Patienten mit Demenz eingestellt haben, sind auch 2022 noch überschaubar. Dennoch gibt es Krankenhäuser, die sich mit dieser wachsenden Patientengruppe intensiv beschäftigen. Das Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg ist eine solche Einrichtung.
5 Fragen an Dr. med. Matthias Müller-Schulz, Chefarzt der Medizinisch-Geriatrischen Klinik
Jochen Gust: Das Klinikum in Hamburg war eines der ersten Krankenhäuser in Deutschland, das sich mit einem besonderen Konzept auf die besonderen Bedürfnisse von Patienten mit der Nebendiagnose Demenz eingestellt hat. Bis heute wird die Arbeit fortgeführt und kann daher berechtigterweise erfolgreich wie auch notwendig genannt werden. Aber weshalb sind es bis heute nur relativ wenige Krankenhäuser, die sich auf den Weg zur demenzfreundlichen Klinik gemacht haben?
Dr. M. Müller-Schulz: Es stimmt, das DKH war eines der Vorreiter mit seiner Station Siloah – ein Konzept für kognitive Geriatrie bzw. für die Krankenhausbetreuung dementer Patienten, die wegen anderer Erkrankungen ins Krankenhaus müssen. Der Aufwand für den Aufbau bzw. den Dauerbetrieb darf nicht unterschätzt werden. Man braucht kontinuierlich qualifiziertes Personal, das sich für diese besondere Tätigkeit begeistern kann; eigentlich müssten z.B. alle Mitarbeiter des Krankenhauses im Umgang mit Demenz geschult werden. Das demenzfreundliche Krankenhaus müsste oben auf der Umsetzungsliste vieler Klinikleitungen stehen, aber oft sind andere Ziele drängender oder mehr im Fokus. Insgesamt lässt sich so etwas an kleineren Kliniken sicher einfacher umsetzen als bei einem Maximalversorger.
Jochen Gust: Ob ein Krankenhaus „demenzfreundlich“ ist, welche Kriterien erfüllt sein müssen, ist nicht festgelegt. Sabine Tschainer-Zangl, ehemalige Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bildet heute über ihr Institut Demenzbeauftragte für Krankenhäuser aus. Sie sagte einmal: „Es ist ein Unding, dass es keine Kriterien dafür gibt.“. Wie sehen Sie das – und welche Kriterien sollte ein Krankenhaus im Sinne bestmöglicher Outcomes auch für Patienten mit Demenz mindestens erfüllen?
Dr. M. Müller-Schulz: Vorschläge für Kriterien gibt es viele. Meines Erachtens wichtig ist schon zu Beginn die folgende Unterscheidung: ist eine Demenz definitiv bekannt oder demarkiert sie sich erst durch Akuterkrankung oder Wechsel der umgebenden Reizsituation? Übliche Triage-Systeme werden diesen Patienten häufig nicht gerecht. Generell sollten alle Krankenhäuser auch in den Notaufnahmen „ruhige Zonen“, vielleicht auch mit besonderem Lichtkonzept, einrichten und vulnerable Patienten durch Screening schnell identifizieren und möglichst zügig adäquat behandeln können. Eine Kennzeichnung / ein Ampelsystem könnte hilfreich sein. Des Weiteren sollte es einen Demenzbeauftragten fürs Haus und patientennah eingesetzte Demenzbegleiter/Demenzlotsen geben, die zum Beispiel zu Untersuchungen begleiten und eine vertraute Ausstrahlung hervorrufen können.
Jochen Gust: Im Rahmen der 2020 ausgerufenen Nationalen Demenzstrategie sollen u.a. Empfehlungen zur Delirprävention und zum Delirmanagement erarbeitet werden. Die DKG will darauf hinwirken, dass organisatorische Abläufe den Patienten angepasst werden z.B. in der Vermeidung von Wartezeiten oder der Minimierung von Ortswechseln für Untersuchungen. In wie weit erwarten Sie, dass die Nationale Demenzstrategie einen Schub für die Arbeit für und mit Patienten mit Demenz im Krankenhaus in Deutschland hervorrufen wird?
Dr. M. Müller-Schulz: Die von mir oben beschriebenen Maßnahmen können diese Abläufe schon positiv beeinflussen. Bei unserer demographischen Entwicklung ist eine Frühdetektion/Screening in der Aufnahmesituation unumgänglich. Die Medizin sollte wenn möglich zum Menschen kommen. Insgesamt alles sinnvolle und nötige Dinge, die in unseren Notaufnahmen inhaltlich und wirtschaftlich häufig noch nicht adäquat abgebildet sind. Hier kann ich mir einen positiven Schub durch die Nationale Demenzstrategie gut vorstellen.
Jochen Gust: Bitte ergänzen Sie: Nicht wenige Aufnahmen ins Krankenhaus von Patienten mit Demenz wären vermeidbar, wenn…
Dr. M. Müller-Schulz: …zeit- und Wohnortnah einer Intensivierung ambulanter und stationärer Pflege sowie medizinischer Leistungen, bei akuter Änderung des Bedarfs, möglich wäre.
Jochen Gust: Nehmen wir an, Ihnen stünden unbegrenzte Mittel zum Neubau eines Krankenhauses in einer Großstadt zur Verfügung. Würden Sie eine oder mehrere Sonderstationen für Patienten mit Demenz einrichten oder die gesamte Klinik unter dem Blickwinkel „demenzfreundlich“ errichten lassen?
Dr. M. Müller-Schulz: Ich würde auf mehreren Stationen einen vom Konzept her demenzfreundlichen Bereich einrichten; wenn dies nicht möglich ist, auch nur eine Station. Dies dürfte aber nicht zu einer Ausgrenzung oder Ghettoisierung führen und würde trotzdem eine Schulung aller Mitarbeiter bedingen.
Fotos: AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM HAMBURG gemeinnützige GmbH / Unternehmenskommunikation
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