Der Fachkräftemangel ist schon lange Thema in der Pflege. Er war dort früher präsent als in anderen Branchen. Und es fehlt nicht nur an Fachkräften, sondern überhaupt an Mitarbeitenden – auch Assistenzkräfte für die Pflege werden vielerorts händeringend gesucht. Wir haben in Sachen Pflege in Deutschland auch ein Masseproblem. Zu viele Pflegebedürftige, zu wenig von jenen, die sie versorgen können. Was bringt ein neues Personalbemessungsverfahren (PeBeM)?
Einführung des Personalbemessungsverfahrens (PeBeM)
Ziel des Verfahrens nach § 113c Abs. 1 SGB XI ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Das möchte man durch eine verbindliche Festlegung der Verteilung personeller Ressourcen erreichen. Berechnungsgrundlage ist die Anzahl und Pflegegrad der zu pflegenden Personen – und die Qualifikation der Mitarbeitenden.
Für viele Kolleginnen und Kollegen der Altenhilfe ist das Personalbemessungsverfahren noch eine Art Blackbox. Effekte unbekannt, Befürchtungen groß. Ist die Qualität der Versorgung von Menschen mit Demenz durch PeBeM in Gefahr? Zeit also, mit einem Profi zu sprechen.
„Das Personalbemessungsinstrument berücksichtigt den zusätzlichen Aufwand für die Pflege von Menschen mit Demenz (…).“. – Nicole Böldt
Fragen an die PeBeM-Expertin
Jochen Gust: Frau Böldt, Sie beschäftigen sich schon lange und intensiv mit der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens. Können Sie grob umreißen, was ich als Altenpflege im Pflegeheim davon konkret erwarten sollte?
Nicole Böldt: Ihre Aufgaben als Pflegefachmann werden hauptsächlich die Umsetzung der Vorbehaltsaufgaben sein. Dazu gehören das Planen und Steuern des Pflegeprozesses sowie die Versorgung der Bewohner*innen, die die Kompetenz einer Fachkraft benötigen. Das bedeutet, Sie werden weniger mit Tätigkeiten belastet, die Ihrem Qualifikationsniveau nicht entsprechen. Grundsätzlich wird mit den Personalressourcen effizienter umgegangen, was bedeutet, dass Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse optimal genutzt werden. So können Sie Ihre Arbeit effektiver gestalten und sich auf die wesentlichen pflegerischen Aufgaben konzentrieren.
Das PeBeM zielt darauf ab, die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner*innen besser zu berücksichtigen und gleichzeitig auch mehr Menschen wieder für die Pflege zu gewinnen. Dies wird einerseits durch eine detaillierte Analyse der Pflegebedarfe und eine darauf abgestimmte Tourenplanung ermöglicht und andererseits durch die zunehmende Flexibilisierung der Dienste und der Dienstzeiten.
Durch die klare Zuordnung von Aufgaben und die kompetenzbasierte Planung werden die Pflegequalität und die Zufriedenheit der Bewohner*innen gesteigert. Dies schafft ein angenehmeres Arbeitsumfeld für Sie und Ihre Kollegen.
Jochen Gust: Das Verhältnis zur sozialen Betreuung, zusätzlichen Betreuungskräften wird sich ändern?
Nicole Böldt: Die Zusammenarbeit zwischen der Pflege und der sozialen Betreuung wird sich zweifellos intensivieren und verbessern müssen, um den Bedürfnissen der Bewohner*innen gerecht zu werden.
Es ist notwendig, die soziale Betreuung weiter zu professionalisieren. Dies bedeutet, dass die Leitung dieses Bereichs genau weiß, wie viele Betreuungsstunden zur Verfügung stehen und wie diese effizient eingesetzt werden können. So können möglichst viele Bewohner*innen nach ihren individuellen Wünschen betreut werden. Durch die Professionalisierung wird die soziale Betreuung auf Augenhöhe mit der Pflege arbeiten. Dies führt zu einer gesteigerten Wertigkeit des Bereichs und fördert das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit. Einige Träger sind bereits dabei, Tourenplanungen auch für die soziale Betreuung einzuführen. Dies ermöglicht eine strukturierte und effiziente Arbeitsweise, die sowohl den Pflegekräften als auch den Betreuungskräften zugutekommt.
Wenn beide Bereiche auf demselben Organisationssystem arbeiten, wird die Vernetzung wesentlich verbessert. Dies führt zu einer besseren Koordination und einem reibungslosen Ablauf im Alltag. Die Intensivierung der Zusammenarbeit und die Professionalisierung der sozialen Betreuung werden die Qualität der Pflege und Betreuung erheblich steigern. Beide Bereiche werden voneinander profitieren und gemeinsam die Bedürfnisse der Bewohner*innen besser erfüllen können.
Der zusätzliche Zeitaufwand für Menschen mit Demenz wird berücksichtigt
Jochen Gust: Berücksichtigt Ihrer Meinung nach PeBeM den zusätzlichen Aufwand, den es für Menschen mit Demenz benötigt, ausreichend? Ein Mensch mit Demenz mit Pflegegrad 3 ist doch schwerlich mit dem gleichen Aufwand zu bemessen wie jemand mit Pflegegrad 3 ohne Demenz?
Nicole Böldt: Die Frage, ob das Personalbemessungsinstrument (PeBeM) den zusätzlichen Aufwand, der für die Pflege von Menschen mit Demenz erforderlich ist, ausreichend berücksichtigt, ist berechtigt. Die Pflegebedürftigkeit und die damit verbundenen Anforderungen unterscheiden sich erheblich zwischen Menschen mit und ohne Demenz, auch wenn beide den gleichen Pflegegrad haben.
Die Empfehlungen nach § 113c Abs. 4 SGB XI betonen die Notwendigkeit einer bedarfsgerechten Personalausstattung. Diese Empfehlungen beinhalten Regelungen, die sicherstellen sollen, dass auch spezielle Bedarfe, wie sie bei der Betreuung von Menschen mit Demenz auftreten, adäquat berücksichtigt werden. Die Mindestpersonalausstattung schließt auch pflegegradunabhängige Personalanhaltswerte für Sonderfunktionen ein, die für die Versorgung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen notwendig sind.
Das Personalbemessungsinstrument berücksichtigt den zusätzlichen Aufwand für die Pflege von Menschen mit Demenz, indem es spezifische Regelungen und Empfehlungen zur Personalmindestausstattung und zum Qualifikationsmix beinhaltet. Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass die besonderen Anforderungen dieser Personengruppe adäquat erfüllt werden. Es muss allerdings auch durch die Einrichtungen sichergestellt werden, dass die dafür ausgebildeten Fachkräfte auch bei den Bewohner*innen zum Einsatz kommen. Darin waren wir in der Vergangenheit überhaupt nicht gut. Mitarbeiter*innen mit speziellen Ausbildungen und Qualifizierungen sind nach ihren Qualifizierungsmaßnahmen leider nicht entsprechend ihren Kompetenzen eingesetzt worden. Das führte gerade bei unseren Fachkräften zu einer hohen Frustration und nicht selten auch zu Kündigungen. Deshalb sollten diese Empfehlungen aktiv umsetzen und ihren Personaleinsatz entsprechend organisieren, um die Pflegequalität für Menschen mit Demenz zu gewährleisten.
Jochen Gust: Vielfach wird von „Verbesserungen“ im Zusammenhang mit PeBeM gesprochen. Das darf aber nicht mit einem mehr an Pflegepersonen verwechselt werden, oder? Vielmehr handelt es sich doch um eine Optimierung der Verteilung. Konkret: es sorgt für den vermehrten Einsatz von Hilfs- / und Assistenzkräften. Mehr Mitarbeitende bringt PeBeM nicht – oder zumindest nicht automatisch, richtig?
Nicole Böldt: Ich habe in den vergangenen Tagen in einem Beitrag gelesen: „So viele Mitarbeitende in der Pflege, wie jetzt werden wir nie wieder sein.“ Ganz schön erschreckende Vorstellung. Gerade deshalb müssen wir den Pflegeberuf attraktiver gestalten.
Ihre Annahme ist also weitgehend korrekt. Bei der Personalbemessung in der Pflege, insbesondere im Kontext des Personalbemessungsinstruments (PeBeM), geht es primär um eine bessere Verteilung und einen effizienteren Einsatz der vorhandenen Pflegekräfte, anstatt um eine automatische Erhöhung der Mitarbeiterzahl. In den meisten Fällen können durch die aktuellen Pflegesatzverhandlungen auch mehr Mitarbeiter*innen im Qualifikationsniveau 3, also Pflegehelfer*innen mit einer zusätzlichen einjährigen Ausbildung (in SH) eingestellt werden. Aber hier liegt auch die Herausforderung. Wir haben uns in den vergangenen Jahren nicht um eine entsprechende Qualifizierung unserer Pflegehelfer*innen gekümmert. Folglich sind diese Kollegen nun Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Hier müssen wir dringend nachqualifizieren.
Das Personalbemessungsinstrument hat mehrere Ziele. Es soll sicherstellen, dass die vorhandenen Pflegekräfte effizient und bedarfsgerecht eingesetzt werden. Dabei wird vornehmlich darauf geachtet, dass die Aufgaben entsprechend der Qualifikation der Pflegekräfte zugeordnet werden. Wenn wir allerdings nur mehr Pflegehelfer*innen in unseren Einrichtungen einstellen, ohne auch die Abläufe in der Pflege zu verändern, wird diese Maßnahmen verpuffen und keine wirkliche Veränderung herbeiführen.
Die Herausforderung des Fachkräftemangels bleibt bestehen und erfordert weitergehende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Weiterbildung und Attraktivität des Pflegeberufs.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Fotos: Jsme MILA on Pexels
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