Suizidrisko und Demenz

Demenz ist eine der schwerwiegendsten Erkrankungen, die das Leben eines Menschen nachhaltig verändern. Die psychischen und emotionalen Belastungen, die mit einer Demenzdiagnose einhergehen, können enorm sein – und in den frühen Stadien der Krankheit ist das Risiko eines Suizids erhöht.

Besonders in der Anfangsphase einer Demenz sind sich die Betroffenen häufig darüber im Klaren, dass große Veränderungen auf sie zukommen werden: ein fortschreitender Verlust kognitiver Fähigkeiten und die zunehmende Abhängigkeit von Dritten. Diese Erkenntnis nach Diagnosestellung kann starke Gefühle der Verzweiflung und Hilflosigkeit auslösen. Deshalb ist gerade dann eine einfühlsame, zuverlässige Begleitung unerlässlich.

Studien zeigen, dass das Suizidrisiko in den ersten Monaten nach einer Demenzdiagnose signifikant höher ist als bei der Allgemeinbevölkerung. Eine groß angelegte dänische Kohortenstudie von Erlangsen et al. (2018) mit über 17.000 Personen belegt, dass besonders die ersten 12 Monate nach der Diagnose eine kritische Phase darstellen. In dieser Zeit zeigt sich, dass besonders jüngere Betroffene unter 65 Jahren ein höheres Risiko für einen Suizid aufweisen.

Es gibt mehrere Faktoren, die das Suizidrisiko bei Menschen mit Demenz erhöhen können. Einer der wichtigsten ist Depression, die häufig mit der Diagnose einhergeht. Oft werden depressive Symptome jedoch nicht ausreichend erkannt, da sie als Teil der Demenzerkrankung missverstanden oder als natürliche Reaktion auf den Verlust von Fähigkeiten abgetan werden. Doch Depression ist ein eigenständiger Risikofaktor, der das Suizidrisiko erheblich erhöht und gezielte Behandlungsmaßnahmen erfordert.

Eine Studie von Kiosses et al. (2019) unterstreicht, dass Depression bei älteren Erwachsenen mit Demenz oft unterschätzt wird und somit die Gefahr besteht, dass suizidale Gedanken unbemerkt bleiben. Diese Studie zeigt außerdem, dass depressive Symptome, gepaart mit dem Gefühl, eine Last für die Familie zu sein, zu einem deutlich erhöhten Suizidrisiko führen können.

Weitere zentrale Belastungsfaktoren sind Gefühle der Isolation und Einsamkeit. Besonders gefährdet sind Menschen, die wenig familiäre Unterstützung oder ein schwaches soziales Netzwerk haben.

Eine landesweite Studie aus Schweden von Sundbøll et al. (2020), die fast 280.000 Demenzpatienten untersuchte, zeigte, dass soziale Isolation und der Mangel an Unterstützungssystemen entscheidend zur Erhöhung des Suizidrisikos beitragen. Besonders bei alleinlebenden Patienten waren die Risiken deutlich erhöht.

Die im Verlauf zunehmenden Schwierigkeiten im Alltag können Gefühle der Machtlosigkeit und des Kontrollverlusts auslösen, die wiederum zu suizidalen Impulsen führen können. Die Aussicht, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, besonders in einem frühen Stadium, kann sehr schwer zu ertragen sein. Almeida et al. (2019) zeigten in einer systematischen Literaturübersicht, dass diese Autonomieverluste besonders bei jüngeren Betroffenen zu einer erhöhten Suizidgefahr führen. Die sorgende Umgebung ist dabei auch besonders gefordert, Betroffene nicht zu früh oder weitergehend als absolut notwendig durch Fürsorge einzuschränken. Siehe hierzu auch die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates 2012: Demenz und Selbstbestimmung.

Pflegefachpersonen können eine entscheidende Rolle bei der Erkennung von suizidalen Tendenzen bei Menschen mit Demenz spielen. Da sie oft eng mit den Betroffenen zusammenarbeiten, sind sie in einer besonderen Position, um Warnzeichen frühzeitig zu erkennen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Pflegefachleute wie auch Betreuer und pflegende Angehörige für das Thema Demenz und Suizidalität sensibilisiert werden.

Die Suizidprävention bei Demenz erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der sowohl die psychische Gesundheit als auch das soziale Wohlbefinden der Betroffenen berücksichtigt. Hier sind einige der wichtigsten Ansätze zur Suizidprävention bei Menschen mit Demenz.

Zwei Fragen an Christian Petzold, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e.V.

Jochen Gust: Menschen mit Demenz wird schon frühzeitig häufig viel zu wenig zugetraut – und so möglicherweise besonders bei jüngeren Betroffenen das Suizidrisko unterschätzt. Worauf sollten Angehörige, aber auch Pflegefachpersonen z.B. von ambulanten Pflegediensten achten?

Christian Petzold, Dipl.-Pflegewirt und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention

Christian Petzold: Hier geht es in erster Linie um Achtsamkeit sowie hinhörende und einfühlende Aufmerksamkeit. Mitverantwortung“ (Hannah Arendt) stellt den Zusammenhang zwischen Selbstsorge und Fürsorge her. Emotionale Schmerzen können durch viele Veränderungen entstehen (u.a. Körperfunktionseinschränkungen, geistige Beeinträchtigungen, Beeinträchtigungen in der verbalen Kommunikation), durch die der Betroffene das Gefühl bekommt, belastend für andere zu sein oder gar immer und immer wieder missverstanden zu werden. So, wie wir es bei Menschen mit Demenz besonders mit

fortschreitender Erkrankung erleben. Der Betroffene empfindet seine Identität als in Frage gestellt. Er erlebt seine Angst und/oder seine Schmerzen oftmals diffus und ist aufgrund der Abnahme kognitiver und verbal-kommunikativer Fähigkeiten nicht in der Lage, sie genau benennen zu können. Somit bedarf es für Pflegefachpersonen der nötigen und verfügbaren Professionalität in der Kommunikation und fachlichen Begleitung, verbunden mit einer praktischen Kultur der Sorge, aus der es gelingen kann, bestärkend und begleitend für Menschen mit Demenz da zu sein.

Jochen Gust: Ab wann muss man auf die Anzeichen reagieren? Bei der ersten Auffälligkeit? Und darf man gegen den Willen der Betroffenen Dritte informieren?

Christian Petzold: Wir sprechen uns immer dafür aus, bei sogenannten ersten Auffälligkeiten genau das nicht zu tun. Das macht ganz wesentlich gewachsenes Vertrauen kaputt. Mit guter Gesprächsführung bekommt man in der Regel das Einverständnis des Betroffenen. Selbst bei Gefahr in Verzug würde ich den Betroffenen in der nötigen Transparenz darüber informieren, dass ich jetzt z.B. den Notarzt oder die Polizei rufe.

Selbstbestimmte Entscheidungen und/oder partizipative Entscheidungsfindungen werden aufgrund der vermeintlichen und tatsächlichen Hürden häufig nicht in Betracht gezogen. Demenz ist eine progressiv verlaufende Krankheit. In einem frühen Stadium sind Menschen in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen, und hier ist ihre Selbstbestimmung in derselben Weise zu achten wie bei gesunden Menschen. In einem fortgeschritteneren Stadium aber sind Menschen mit Demenz vielfach überfordert, wenn sie eigene Entscheidungen treffen sollen. Hier bedarf es ganz wesentlich einer Fürsorge, die zugleich die Autonomie der betreffenden Person wahrnimmt. Was also bleibt ist die Tatsache, dass auch diese Menschen Personen mit einer eigenen Individualität sind, die es zu achten gilt.

Jochen Gust: Vielen Dank für Ihre Antworten.

Zum Thema Suizid bestehen viele Mythen und Irrtümer. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention stellt umfangreich Informationen zur Verfügung. Einer der Aspekte der das Risiko speziell bei Menschen mit Demenz möglicherweise erhöht ist, dass Betroffene in Aussagen die eine Selbsttötung andeuten nicht ernst genommen werden. Als Pflegefachperson dürfen Sie die Situation nicht unterschätzen und sollten intern ein Vorgehen für den Fall des Falles abstimmen, und insgesamt Ihr Team für die Thematik sensibilisieren.

Jochen Gust

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe

Wer Suizidgedanken hat, dreht sich gedanklich meist im Kreis. Dadurch wirkt die Situation ausweglos. Sie können den Teufelskreis aber durchbrechen. Anonyme und kostenlose Hilfe finden Betroffene zum Beispiel bei der Telefonseelsorge unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123.

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