In Deutschland sind etwa 1,8 Mio. Menschen von einer Demenz betroffen. Ein Heilmittel gibt es nicht, die aktuelle Therapie zielt noch immer auf eine Verlaufsverzögerung. Immer wieder gibt es Meldungen zu Fortschritten, neue Erkenntnisse werden gewonnen. Was zur Forschung beitragen kann, sind Gewebespenden Betroffener. Die Forschung zur Demenz am menschlichen Gehirn ist ein vielschichtiger und komplexer Prozess, der sich auf verschiedene Ansätze und Methoden stützt, um die Ursachen, Mechanismen und potenziellen Behandlungsmöglichkeiten dieser neurodegenerativen Erkrankung besser zu verstehen. Nur aus diesem Verständnis heraus können bessere Behandlungs- und Therapiemethoden entwickelt werden.
Organspende – für jene, die nach mir Betroffen sind
Beim Thema Organspende denken die meisten Menschen unwillkürlich an die Spende eines Organs als Ersatz für ein Organ, welches bei einem anderen Menschen nicht mehr funktioniert. Der Empfänger des Organ soll damit weiterleben können. Die Organtransplantation zwischen Menschen hat eine Geschichte, die über 100 Jahre zurückreicht, wobei der entscheidende Durchbruch in den 1950er Jahren mit der ersten erfolgreichen Nierentransplantation zwischen Zwillingen gelang. Diese Entwicklung hat bis zum heutigen Tag vielen Menschen das Leben gerettet.
Das Gehirn kann nun nicht gespendet werden im oben genannten Sinn. Zumindest noch ist es nicht möglich, ein erkranktes Gehirn gegen ein gesundes auszutauschen – mal abgesehen von den ethischen Fragen, die diese Möglichkeit aufwerfen würde.
Aber: Gewebespenden sind möglich. Hierzu werden Gewebeproben im Rahmen einer Autopsie postmortal entnommen und in eine sogenannte Hirngewebebank oder BrainBank aufgenommen – und unterstützen damit die Erforschung neurodegenerativen Erkrankungen, zu denen z.B. die Alzheimerkrankheit zählt.
Prof. Dr. Manuela Neumann, Neuropathologin und Leiterin der Brain Bank am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE Brain Bank) gibt hier Antworten zur Gewebespende für die Demenzforschung:
Jochen Gust: Frau Professor Neumann, von Künstlicher Intelligenz bis bildgebenden Verfahren oder Tiermodellen stehen der Forschung viele Wege offen. Braucht es tatsächlich noch menschliches Gehirngewebe um Demenzerkrankungen zu erforschen?
Prof. Dr. Manuela Neumann: Die Forschung an menschlichem Hirngewebe ist alternativlos. Nehmen Sie als Beispiel die Erkenntnisse über das Amyloid-Beta-Peptid (Aβ-Peptid), das bei der Alzheimerkrankheit akkumulieren oder auch zu TDP-43 als neueres Beispiel eines krankmachenden Proteins bei der frontotemporalen Demenz. Diese sind letztlich nur durch Untersuchungen von Gewebeproben des menschlichen Gehirn identifiziert worden. Diese Erkrankungen – Alzheimer oder Frontotemporale Demenz – gibt es in keiner anderen Spezies. Eine Maus hat kein Alzheimer. Erst auf der Basis dieser Erkenntnisse konnten dann Modelle entwickelt werden, um zu untersuchen wie z.B. die genannten Proteine funktionieren. Auf dieser Basis werden wiederum Hypothesen generiert, die validiert werden müssen – und zwar für den Menschen. Das heißt: man geht wieder zurück zu menschlichen Gewebeproben und untersucht, ob das was im Modellsystem erkannt wurde, beim Menschen auch zutrifft. Daraus ergeben sich wiederum neue Aspekte, die wiederum validiert werden können. Man kann sich das im Prinzip als einen Kreislauf vorstellen. Alle verschiedenen Ansätze und Methoden haben ihren Sinn und Vorteile, aber nur durch deren Zusammenwirken – die Interaktion aus den Ergebnissen – kommt die Erkenntnis.
Jochen Gust: Wie funktioniert nun die Gewebespende genau und was passiert dann in einer BrainBank damit?
Prof. Dr. Manuela Neumann: Wenn eine Einwilligung zur Spende vorliegt und wir über das Ableben der Person informiert werden, erfolgt der Transport in ein pathologisches Institut durch den Bestatter. Dort wird die Autopsie gemacht und das Gehirn entnommen und der Verstorbene wird wieder rücküberführt an den Ort, wo die Beisetzung geplant ist. Wir untersuchen dann einen Teil des Gewebes unter dem Mikroskop, um die neurodegenerative Erkrankung genau zu charakterisieren.
Ist es Alzheimer? Oder doch etwas ganz anderes? Darüber gibt es dann auch einen schriftlichen neuropathologischen Befund, der auch Angehörigen bzw. den beteiligten Ärzten zur Verfügung gestellt wird. Gerade auch bei jüngeren Demenzbetroffenen ist dies auch im Hinblick darauf interessant, ob sich dabei z. B. Hinweise gefunden haben, dass es sich möglicherweise um eine Erkrankung mit genetischer Komponente handelt.
Möglichst genau die gewonnenen Erkenntnisse zu kommunizieren, ist uns ein Anliegen. Der andere Teil des Gehirns und des Rückenmarks werden tiefgefroren. Dieses Gewebe steht dann Institutionen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Antrag zur Verfügung. Ein Gremium bei uns begutachtet das geplante Projekt und entscheidet, ob er wissenschaftlich sinnvoll ist. Zusätzlich muss zu jedem geplanten Projekt ein Ethikvotum vorliegen.
Jochen Gust: Gibt es einen idealen Spender in Ihrem Sinne?
Prof. Dr. Manuela Neumann: Der ideale Gewebespender kommt aus einer klinischen Verlaufsuntersuchung mit möglichst vielen „guten“ Daten zum Krankheitsverlauf. Es spielen allerdings mehrere Faktoren eine Rolle dafür, ob jemand in Frage kommt, u.a. auch die Entfernung zu unseren Zentren und andere Aspekte mehr. All das lässt sich im persönlichen Gespräch klären – möglichst natürlich im Vorfeld des Ablebens. Es ist wichtig, dass sich Betroffene und auch Angehörige frühzeitig mit einer möglichen Einwilligung befassen. In manchen Bundesländern reicht die Zustimmung nur durch Angehörige auch gar nicht aus.
Jochen Gust: Müssen Angehörige fürchten mit Kosten belastet zu werden durch die Spende und wie schnell muss der notwendige Eingriff nach dem Tod erfolgen?
Prof. Dr. Manuela Neumann: Pi mal Daumen entstehen uns pro Gewebespende Kosten von 5 bis 6000 Euro. Wir übernehmen die im Zusammenhang entstehenden Kosten für Überführung, Untersuchungen und so weiter. Betroffenen bzw. Angehörigen entstehen also keine Kosten.
Jochen Gust: Frau Prof. Dr. Neumann, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Menschliches Gehirn ist unerlässlich für die Forschung
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) hat in Kooperation mit Universitäten die DZNE Brain Bank aufgebaut. Dort werden die gespendeten Gewebe untersucht und für Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt. Die derzeitigen Standorte der Brain Bank sind Bonn, Dresden, München, Rostock und Tübingen. Weitere Informationen finden Sie hier.
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