
Nora Berner hat ihre Dissertation „Demenz und Bildung“ Lernprozessen unter den Bedingungen der Alzheimerkrankheit gewidmet. Menschen mit Demenz verlieren nach und nach Fähigkeiten. Jedoch erbringen sie auch eine Anpassungsleistung – Lernprozesse, um mit den neuen Umständen und Bedingungen fertig zu werden.
Bildungsprozesse und Biographieforschung
Berner hat empirisch untersucht, ob und wie Lern- und Bildungsprozesse bei Menschen mit beginnender Alzheimerdemenz stattfinden. Dabei nutzt die Autorin biographisch-narrative Interviews mit 18 Betroffenen und verknüpft Erkenntnisse aus Gerontologie, Bildungswissenschaft und Biographieforschung.
Jochen Gust: Frau Dr. Berner, Sie sind Erziehungswissenschaftlerin. Wie kommen Sie zum Thema Demenz?
Dr. Nora Berner: Bereits im Studium hatte ich ein großes Interesse an Bildung im Alter und habe deshalb im Nebenfach Soziale Gerontologie studiert. Meine pädagogische Tätigkeit in einer Altenpflegeeinrichtung nach dem Studium sowie persönliche Erfahrungen mit meiner Großmutter, die an Demenz erkrankt war, haben mir ermöglicht, mit Menschen mit Demenz zu arbeiten. Ich habe erlebt, dass sie sehr wohl noch lernfähig sind und dass diese Lernfähigkeit auch gefördert werden sollte. So entstand meine Frage, wie Lern- und Bildungsprozesse unter den Bedingungen von ganzheitlichen Abbauprozessen eigentlich ablaufen.
Jochen Gust: Nun geht es in „Demenz und Bildung“ darum, wie die Erkrankung in die Lebensführung der Betroffenen eingreift und die dazugehörigen Prozesse des Sich-Anpassens zu verstehen. Können Sie einige Beispiele Ihrer Erkenntnisse für die praktische Arbeit mit Menschen mit Demenz nennen?
Dr. Nora Berner: Bildungsarbeit – sei sie nonformal oder informell – endet nicht mit der Diagnose einer Demenz. Ein zentrales Instrument dabei ist die Biographiearbeit. Sie hilft, individuelle Ressourcen und Fähigkeiten sichtbar und bewusstzumachen, auf die Menschen mit Demenz weiterhin zurückgreifen können. Die Orientierung an biographisch verankerten Interessen und Gewohnheiten – etwa bestimmten Tätigkeiten, Ritualen oder Lieblingsorten – fördert nicht nur Teilhabe, sondern trägt auch zur emotionalen Stabilität bei. Bildung unter den Bedingungen einer Demenz ist dabei nicht ausschließlich kognitiv zu verstehen, sondern vor allem emotional, biografisch und alltagsnah. Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist hierbei meines Erachtens unerlässlich, um entsprechende Bildungsgelegenheiten zu gestalten. Diese Einblicke können u.a. die Praxis der Sozialen Arbeit, der Pflege und der Erwachsenenbildung bereichern.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Die Autorin: Dr. Nora Berner, Erziehungswissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Witten/Herdecke, E-Mail: nora.berner@posteo.de
Zum Buch: Demenz und Bildung – Eine Biographieanalyse von Lern- und Bildungserfahrungen unter den Bedingungen einer Alzheimerdemenz; Verlag Barbara Budrich; 14.04.2025; 317 Seiten; Printversion: 74,00 Euro. E-Book: kostenlos.
