Menschen mit Demenz sind in Krankenhäusern häufig nicht gut versorgt, die Outcomes lassen häufig zu wünschen übrig. Aber oft übernehmen Sie eine wichtige Steuerungsfunktion, die nicht nur durch die Krankenhausreform zunehmend schwieriger zu erfüllen ist.
Verlegenheitsaufnahmen – Krankenhäuser als Notversorgungsorte
Es ist kein Geheimwissen: sowohl seitens der ambulanten Pflege, von Betreuungsdiensten aber auch Angehörige untereinander und in der ein oder anderen professionellen Beratung gibt es den Tipp: wenn es Zuhause nicht mehr geht soll der Hausarzt den Betroffenen in eine Klinik einweisen. Nötigenfalls auch mittels Rettungswagen. Denn „…die müssen sich ja kümmern.“.
In meiner Zeit auf eine Spezialstation für Menschen mit Demenz und / oder Delir schätze ich, dass mindestens ein Viertel der Aufnahmen von Betroffenen schlichte Verlegenheitsaufnahmen waren. Es ging Zuhause nicht mehr – also ab ins Krankenhaus. Medizinisch im Sinne eines Krankenhauses gab es eigentlich nichts zu behandeln. Vielmehr war die überforderte pflegende Angehörige unter der Last zusammengebrochen. Oder es war niemand offiziell da, der sich gekümmert hätte bis der Betroffene so auffällig war, dass es nicht mehr hingenommen oder durch wohlmeinende Nachbarn ausgeglichen werden konnte. Ein Versorgungsproblem lag vor, kein medizinisches.
Eine Demenz ist kein medizinischer Notfall
Natürlich, es findet sich immer ein Grund, einen alten Menschen mit Demenz ins Krankenhaus einzuweisen. In der Regel liegt ja nicht nur eine Demenz vor, sondern auch verschiedene andere Erkrankungen und im Zweifel muss irgendwas abgeklärt werden. Wenn medizinisch geboten, dann geboten. Nur: Einweisungen erfolgen eben auch, weil Angehörige erschöpft sind oder Pflegedienste und Pflegeheime nicht das notwendige Wissen oder die Kapazitäten haben, mit herausforderndem Verhalten umzugehen. Der Fachkräftemangel schlägt auch hier zu, z.B. weil Mitarbeitende nicht mehr häufig genug geschult werden können – sie auszuplanen für einen Schulungstag gibt der Dienstplan nicht (mehr) her.
Demenz ist längst kein Tabuthema mehr. Man kann wissen, worauf man sich einlässt – auch als Angehöriger. Und übernimmt man die Verantwortung, gehört dazu eben auch für sich selbst zu sorgen und einen Plan B zu haben was zu tun ist, wenn es Zuhause nicht mehr geht. Und immer wieder einzuschätzen, ob man noch leisten kann und will. Das Nacht für Nacht durch die Wohnung gegeistert wird, Möbel verrückt, dauernde Beschuldigungen und Verdächtigungen, Aggression und Inkontinenz vorkommen, ist extrem belastend. Und es ist bewundernswert, wie viele pflegende Angehörige damit umzugehen lernen. Solche Verhaltensweisen machen Menschen mit Demenz herausfordernd in der Versorgung – aber durchaus nicht einweisungsbedürftig ins nächstgelegene Krankenhaus. Nur: welchen Plan B sollten Angehörige in der Tasche haben, wenn keine ambulanten Kapazitäten zur Verfügung stehen?
Der Krankenhausbahnhof – warten auf den Anschluss
In einen Bahnhof fährt man auf der einen Schiene hinein, und auf der nächsten wieder hinaus. So geht es auch vielen Patienten mit Demenz. Zuweiser wie Betreuer, aber auch Kollegen und Kolleginnen der ambulanten Pflege und jene, die guten Rat geben wollen nutzen Krankenhäuser immer wieder als „Verlegeeinrichtungen“. Am Ende ist das Krankenhaus dafür zuständig, für einen Heimplatz zu sorgen oder die Weiterversorgung anderweit sicherzustellen. Das ist Alltag in Deutschland. Menschen mit Demenz werden in Kliniken zwischengeparkt um sie anschließend aufs „nächste Gleis“ zu setzen. Dafür sollten Krankenhäuser eigentlich nicht da sein. Das entlässt sie keinesfalls aus der Verantwortung, auch ihre Patienten mit Demenz optimal zu versorgen – natürlich nicht. Aber hier läuft was schief.
Manche Kritik an den Kliniken ist berechtigt. Viele Aufnahmen wären jedoch vermeidbar, sind bei näherem Hinsehen vor allem einem lückenhaften, schwächelnden ambulanten Versorgungsangebot geschuldet.
Reformen und demographische Entwicklung
In den vergangenen Jahren hat sich viel Positives auch in der Kliniklandschaft in Sachen Demenz getan, auch wenn längst nicht im Umfang wie das angesichts der alternden Gesellschaft nötig wäre. Ganz klar werden sie meiner Meinung nach aber auch in Zukunft nicht die geeigneten Orte sein, Menschen mit Demenz aufgrund herausforderndem Verhaltens zu „parken“. Delirante Zustände sind in der Folge nicht selten.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass die ambulante Versorgung in naher Zukunft besser aufgestellt ist, für die „es geht Zuhause nicht mehr“-Fälle. Zu wenig Pflegeprofis treffen auf einen immer höheren Versorgungsbedarf. Die Klinikreform die zu einer notwendigen Konsolidierung der Krankenhauslandschaft führen soll, ist notwendig. Allerdings ist es fraglich, wie eine „Ambulantisierung“ aussehen wird, die auch den Ausfall eines pflegenden Angehörigen kompensieren kann.
Aktuell habe ich noch nicht einmal den Eindruck, dass dies mitgedacht ist. Klar ist: egal wem man die Schuld geben möchte am Ende – die Folgen tragen vor allem die Passagiere mit Demenz. Und die Krankenhausmitarbeitenden, die sich zwischen medizinischem Notfall und Versorgungsproblem aufreiben.
Jochen Gust
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