Weil es so praktisch ist: Einheitskleidung für Menschen mit Demenz

Grau oder blau? Diese beiden Farben dominieren meistens, sieht man Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen oder Wohngemeinschaften. Je hilfsbedürftiger, desto einfarbiger, könnte man sagen. Fällt einem das auf, werden in der Regel dafür zwei Gründe angeführt seitens der Pflege:

1. Jogginganzüge sind halt ungemein praktisch und bequem.

2. Für die Kleidung sorgen nun mal Betreuer und Angehörige. Und was diese mitbrächten, darauf habe man keinen Einfluss.

Zentral scheint also die Mutmaßung zu sein, die Betroffenen würden diese grauen oder dunkelblauen Jogginganzüge bevorzugen, weil sie so bequem sind. Das ist bestimmt im Einzelfall so – ich bezweifle aber, dass die Betroffenen regelmäßig eine (Aus-)Wahl haben und sich für diese Art Bequemlichkeit entschieden haben. Was für „meinen Dementen“ bequem ist, entscheide immer noch ich als Altenpfleger – oder?

Praktisch – nunja. Das ist ein Argument. Für viele Pflegende. Für die kann es im Einzelfall praktisch sein. Hinterfragt man, was „praktisch“ konkret bedeutet lautete die Antwort an mich häufig, dass das halt schneller gehe, morgens. Ich habe zugegebenermaßen die Zeit nie gemessen, ich bin aber relativ sicher, dass ich nicht oder nicht wesentlich länger brauche, dem älteren Herrn in eine Stoffhose oder passende Jeans zu helfen, als in eine Jogginghose. Es gibt ganz sicher Umstände, in denen eine Jogginghose praktischer ist für die Versorgung. Drückende Knöpfe, je nach Verhalten Gefahr durch Reißverschlüsse, die Möglichkeit zum (Platz) Verbandswechsel oder Anbringung / Leeren von Urinbeuteln ohne lange mit dem An- und Auskleiden zu tun zu haben. Das kann ich noch nachvollziehen – im Einzelfall, aber nicht für die Masse der zu Pflegenden mit Demenz. Ein dritter Aspekt den ich argwöhne ist – bezogen auf „praktisch“ ist die Reinigung. Diese erfolgt in den Institutionen oder bei einem Wäschedienstleister. Und da ist es ungemein praktisch, möglichst „pflegeleichte“ Wäsche die eine bestimmte Gradzahl aushält, zu nutzen.

Ich möchte daran erinnern, dass Bekleidung mehr ist als Stoff umherzutragen und längst nicht nur die Funktion hat, um uns vor Wettereinflüssen zu schützen.

Die vielgetragenen Jogginganzüge könnten auch ein Faktor sein, der zu einer Absenkung des Aktivitätsniveaus führt. Mehr Ruhe durch grau-blaue Bequemlichkeit. Die Forschung kennt jedenfalls das Phänomen der pyjama paralysis, was in anderen Ländern bereits zu vielbeachteten Kampagnen auch in den sozialen Medien geführt hat. Ich halte es für nachvollziehbar, dass das Phänomen nicht nur direkt auf Schlafbekleidung wie Nachthemden oder Schlafanzüge übertragbar ist, sondern insbesondere bei Menschen mit Demenz auch auf Schlafbekleidung ähnlicher Bekleidung.

Gerade Pflegeeinrichtungen und Betreuungskräfte, täten gut daran wenigstens 2x im Jahr eine Bekleidungsverkauf innerhalb ihrer Räumlichkeiten zu organisieren. Das trüge dem Umstand Rechnung, dass Angehörige und Betreuer nicht immer in der Lage sind, Menschen mit Demenz zum shoppen zu begleiten. Betroffene hätten so mehr Chancen, auszusuchen was ihnen gefällt und entspricht.

Denn: Aspekte wie Robustheit der Stoffe, praktischer Schnitt und aufwendige (oder ganz fehlende) Verschlüsse müssen hinter die individuellen Wünsche von Menschen mit Demenz zurückstehen. Und auch hinter den mutmaßlichen Bedürfnissen und Gewohnheiten, wenn Betroffene nicht mehr in der Lage sind sich zu äußern. Und hier haben Pflegefachleute wie Betreuungskräfte auch eine Aufgabe und Verantwortung gegenüber Angehörigen und Betreuern: sie bei der Wahl der Kleidung für ihren Angehörigen nicht dadurch zu beeinflussen, was sie für sich selbst als praktisch und bequem definieren.

Sonst steht, egal was in Leitbildern behauptet wird, der Menschen eben nicht im Mittelpunkt – sondern eher den praktischen Erwägungen der Pflege im Weg.     

Jochen Gust

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Titelbild: Original Angela Roma on pexels

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