Roboter in Pflege und Betreuung: Möglichkeiten und Grenzen

Roboter in Pflege und Betreuung: einige halten das für den Ausweg aus der Versorgungskrise Pflegebedürftiger. Andere lehnen jegliche Form mit häufig eher emotionalen Begründungen ab. Tatsächlich steht ihr Einsatz fest. Die Frage ist: wann kommen sie zum Einsatz und in welchem Umfang?

Spätestens wenn Roboter auf Personalschlüssel angerechnet werden, wird sich ihr Einsatz etablieren. Denn dann amortisieren sich die aktuell enormen Kosten für deren Anschaffung und Betrieb. Eine Maschine benötigt weder Pausen, noch Urlaub. Sie wird nicht krank, beschwert sich nicht über Arbeitsbedingungen und auch nicht darüber, dass sie den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen nicht gerecht werden kann. Träger und Betreiber haben spätestens dann ein großes Interesse am Einsatz von Robotern als Dienstleister am Menschen, wenn das Einsparungen bedeutet.

Maschinen als Ausweg

Zugleich: intelligenter Menschenersatz könnte dazu dienen, Personallücken zu schließen bzw. die Annahme dessen könnte ihre Einführung beschleunigen. Langsam wird auch außerhalb des Gesundheitswesens begriffen, dass der Pflegenotstand kein Notstand für Pflegefachleute ist, sondern ein gesamtgesellschaftlicher. Pflegefachpersonen werden bessere Bedingungen für sich verhandeln oder aussteigen. Pflege wird auch dadurch für Pflegebedürftige immer teurer. Am Ende wird auch immer mehr Kostenträgern und Politikern der „billige“ Ersatzdienstleister mit Sensoren als Ausweg erscheinen. Auch werden Pflegefachpersonen in der Zukunft möglicherweise die teilautonomen Helfer für ihren Arbeitsplatz einfordern, wenn sie diese als Unterstützung ihrer Arbeit betrachten. Ebenso werden Pflegebedürftige und Angehörige vermehrt die Möglichkeiten der (teil)autonomen Helfer nutzen wollen – oder müssen – um möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden realisieren zu können.

Roboter und Selbstbestimmung

Es kann, es wird noch Jahre dauern bis es zu einem flächendeckenden Einsatz von Robotern in Pflege und Betreuung kommt. Die Bedingungen hierfür sind variabel. Dennoch ist es erforderlich schon heute darüber zu sprechen wie die Zukunft in der Versorgung Pflegebedürftiger auch mit Hilfe von Maschinen aussehen wird. Das größte Risiko für jedes Individuum wird sonst verwirklicht: es hat irgendwann nicht mehr die Wahl. Schlimmstenfalls bestimmen Menschen nicht mehr selbst darüber, ob und in welchem Umfang Roboter sie versorgen – ausgerechnet in der Lebensphase, in der sie als Erwachsene am stärksten auf andere Menschen angewiesen sind. Bestenfalls bestimmen sie mit Unterstützung von Maschinen trotz Pflegebedarfs weitestgehend selbständig, wie und wo sie leben und unterstützt werden.

Nachgefragt beim Experten

Es sind viele Fragen offen in diesem Zusammenhang – Zeit für Fragen an einen Experten: Professor Dr. Oliver Bendel ist Forscher und Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er ist Autor der Bücher „Pflegeroboter“, „Maschinenliebe“ und „Soziale Roboter“.

Jochen Gust: Sie sind auch Dozent für Informationsethik und haben auf der Website Informationsethik.net eine Erweiterung um den Bereich „Einsatz von Robotern“ für Patientenverfügungen vorgeschlagen. Ist der Einsatz von Robotern – zumindest in den Bereichen Pflege und Therapie, derart verbreitet zu erwarten, dass sich früher oder später jeder Mensch damit auseinandersetzen sollte?

Prof. Dr. Bendel: Diese Erweiterung einer Patientenverfügung ist zuerst auf der Plattform informationsethik.net erschienen, etwas später dann im Buch „Pflegeroboter“, das ich 2018 herausgegeben habe. Sie sollte die Grundlage für eine Diskussion sein, die bis heute allerdings nicht richtig zustande kam. Meiner Meinung nach sollte man weitgehend selbst bestimmen können, ob man von einem Operationsroboter operiert, von einem Pflegeroboter gepflegt und betreut oder von einem Therapieroboter therapiert werden will. Eine Patientenverfügung, in der zu einem geeigneten Zeitpunkt dazu Angaben gemacht werden, ist ein denkbarer Ansatz. Hinzufügen muss man, dass Operationsroboter ferngesteuerte Roboter sind, Pflege- und Therapieroboter dagegen teilautonome oder autonome.

Ich vermute, dass der Einsatz von Pflegerobotern noch über Jahre eher verhalten sein wird, in Pflegeheimen und Krankenhäusern, erst recht im betreuten Wohnen. Dennoch kann es bereits heute Menschen treffen, zumindest im Rahmen von Tests und Experimenten. Zudem sind Roboter in der Pflege nicht immer Pflegeroboter im engeren Sinne, sondern auch Transport-, Sicherheits- und Reinigungsroboter. Diese rechnen sich schon und gehören mehr und mehr zum alltäglichen Bild in Gebäuden und Straßen.

Prof. Dr. Bendel: „Zunächst einmal glaube ich nicht, dass Pflegeroboter eine Lösung des Problems des Pflegenotstands sind.“.

Jochen Gust: Wenn von „Pflegerobotern“ die Rede ist, sind es bislang allerdings mehr oder minder Servicegeräte. Sie erledigen Hol- und Bringdienste oder Reinigungsarbeiten, leisten aber keine Pflege im engeren Sinn, die schließlich weit über die rein somatische Versorgung hinausgeht. Sehen Sie technische Entwicklungen, die deutlich mehr direkt am Patienten leisten werden in Krankenhäusern, als das heute in Pflege und Therapie der Fall ist? Wann werden wir als Krankenhauspatienten in Zukunft damit rechnen müssen, von einem Roboter versorgt zu werden?

Prof. Dr. Bendel: Ein Assistenzroboter, der in der Schweiz produziert wird und mit dem ich sehr vertraut bin, kann Dinge wegbringen, aufheben und reichen, Flaschen nehmen und öffnen sowie Patienten einsammeln, indem er von Tür zu Tür geht, sie jeweils öffnet, etwas zum Bewohner sagt und die Tür wieder schließt. Er kann zudem Patienten geistig und körperlich aktivieren, durch Gespräche, Spiele sowie Geschicklichkeits- und Bewegungsübungen. Er dient ferner als Rollator bzw. als Stütze, wie sie eine Pflegekraft darstellen kann. Andere Pflegeroboter wie Robear können Patienten zusammen mit der Pflegekraft aufrichten und umbetten, wobei dieses Modell im Moment nicht weiterentwickelt wird.

Es ist aber tatsächlich auffällig, dass Pflegeroboter z.B. Patienten keine Nahrung reichen, sie nicht waschen und sie nicht aus- oder anziehen können. Man hat einzelne Modelle so programmiert, dass sie einen Löffel halten und vor und zurück bewegen können, aber das ist keine Standardanwendung, schon aus Gründen der individuellen Unterschiede und der Sicherheit.

Ich sehe drei wichtige Bereiche, in denen Pflegeroboter bereits heute oder demnächst eingesetzt werden können. Zunächst ist das der physische, motorische Bereich. Die Roboter bringen etwas, bringen etwas weg, öffnen und schließen etwas, dienen als Stütze und Gegenüber. Dieses Gegenüber – und nun sind wir schon beim zweiten Bereich – kann auch Berührungen und Umarmungen bieten. Diese können vorübergehend nützlich und wertvoll sein, aber genauso übergriffig. Deshalb ist es wichtig, dass der Patient sie steuern kann. Und schließlich wäre da der verbale Bereich. Man unterhält sich mit dem Roboter, bekommt Informationen von ihm, gibt ihm Befehle, vertraut sich ihm an. Auch hier existieren Missbrauchsmöglichkeiten, die etwa Intim- und Privatsphäre tangieren, und Patienten oder Angehörigen müssen Funktionen einschränken oder abschalten können.

Jochen Gust: Angesichts der personellen Not vieler Krankenhäuser – wie beurteilen Sie das Risiko, dass der Einsatz von Robotern in Pflege und Therapie schlicht umständehalber hingenommen werden muss? Also entweder bringt der Roboter das Wasser – oder niemand? Entweder der Roboter hilft dem Patienten beim Aufstehen – oder niemand bzw. deutlich seltener? Haben Krankenhauspatienten so gesehen überhaupt eine Wahl in Zukunft?

Prof. Dr. Bendel: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass Pflegeroboter eine Lösung des Problems des Pflegenotstands sind. Dafür müssten sie viel weitreichendere Möglichkeiten haben, und sie müssten in hoher Anzahl vorhanden sein. Im Moment sind es vor allem Prototypen und Kleinserien, mit denen Tests und Experimente durchgeführt werden. Die Preise sind recht hoch, wobei 3D-Druck und modulhafte Herstellung sie nach und nach drücken dürften.

Dann ist zu betonen, dass Pflegeroboter vor allem für Tandems und Teams taugen. Nehmen wir Robear, der aus Japan stammt, derzeit aber nicht weiterentwickelt wird. Er ist sehr groß und schwer und kann Pflegekräfte dabei unterstützen, Patienten aufzurichten und umzubetten. Das ist eine wertvolle Fähigkeit und verhindert den Verschleiß der Pflegekräfte. Aber er kann das eben nicht alleine – die Pflegekraft muss die ersten Griffe machen und die letzten. Es ist also insgesamt nicht so, dass Pflegekräfte einfach ersetzt werden. Sie werden eher ergänzt.

Ihr Beispiel mit dem Wasser ist freilich technisch in vielfältiger Weise lösbar. Ein üblicher Transportroboter kann hier heute schon einiges leisten. Und tatsächlich ist es denkbar, dass solche Routineangelegenheiten in Pflegeheimen und Krankenhäusern bald von Maschinen übernommen werden. Schwieriger ist es, wenn das Wasser eingeflößt werden muss. Hier fehlen noch Fähigkeiten, und aus Sicherheitsgründen ist nicht alles erlaubt oder sinnvoll.

Jochen Gust: Sind hochentwickelte Roboter in der Lage die Ablehnung, das „Nein“ eines Menschen zu erkennen, auch wenn er dies verbal nicht klar äußern kann? Besonders Menschen mit Demenz, der Fähigkeiten sich durch Sprechen verständlich zu machen im Verlauf stark eingeschränkt wird, könnten im Risiko stehen von einem Roboter versorgt zu werden – obwohl sie das im Augenblick nicht wünschen. Was ist, was wird möglich sein?

Prof. Dr. Bendel: Man kann im Zusammenhang mit Gesichtserkennung sogenannte Emotionserkennung anwenden und überhaupt nonverbale Signale deuten, auch mit Hilfe von Gestikerkennung. Dennoch werden sich so Übergriffe nicht durchgehend vermeiden lassen. Ich empfehle generell, Pflegeroboter vor allem im Tandem oder Team mit Pflegekräften einzusetzen. Diese sollten in der Regel anwesend sein. In den nächsten Jahren kann man vor allem auf diese Weise verhindern, dass etwas passiert, was die Dementen nicht wünschen. Wobei man sagen muss, dass Verantwortliche ebenfalls versagen können, selbst wenn sie ihren Beruf lieben und möglichst gut ausüben.

Eine spezialisierte Patientenverfügung, die zur rechten Zeit erlassen wird, kann ein Stück weit nützlich sein. Der Betroffene hat dann bei voller Urteilsfähigkeit wichtige Entscheidungen für sein Leben und für Pflege und Betreuung getroffen. Natürlich können sich seine Bedürfnisse in dieser Phase auch ändern. Dann braucht es eine Abwägung aller Interessen, wobei ich von einer vernunftbasierten, aufgeklärten Entscheidung viel halte und der Meinung bin, dass sie zu respektieren ist, selbst wenn sie sich als falsch erweist. Natürlich gibt es Ausnahmen, etwa wenn unerträgliche Situationen entstehen.

Jochen Gust: Was sollten, was muss getan werden um mit Ängsten, Vorbehalten und berechtigte Bedenken sowohl innerhalb der Gesellschaft, als auch innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen abzubauen?

Prof. Dr. Bendel: Im Moment ist unser Bild von Robotern stark von Science-Fiction-Büchern und -Filmen geprägt, und wir nehmen sie in Europa eher als Bedrohung wahr. Das ist sehr schade, denn sie können ein wertvolles Werkzeug sein, von dem Pflegekräfte wie Pflegebedürftige profitieren. Diese Haltung kam übrigens nicht über Nacht und nicht erst mit der modernen Literatur. Seit tausenden Jahren erträumen sich Menschen künstliche Kreaturen, die ihnen zu Diensten sind. Im Falle von Galatea von Pygmalion, der Puppe, die zur Geliebten wird, läuft alles so, wie man es sich wünscht, aber im Falle von Pandora nicht, ebenso wenig – wir machen zwei Zeitsprünge – beim Golem oder bei Frankensteins Monster.

Ich fordere seit einiger Zeit Roboterparks, in denen schon Kinder die realen Fähigkeiten von Robotern kennenlernen können, ihre Möglichkeiten und Grenzen. Dort könnte man auf hunderte Modelle treffen. Für Privatpersonen, ja sogar für Institute und Hochschulen ist es im Moment schwierig, an bestimmte Modelle heranzukommen. In Asien wird zuweilen nur für den asiatischen Markt produziert. Ein Roboterpark mit entsprechender Finanzierung und entsprechendem Personal hätte hier eine ganz andere Macht. Letztlich könnten alle Besucher profitieren, und auch die verschiedenen Berufsgruppen, wenn man spezielle Bereiche in den Roboterparks einrichtet, etwa mit Pflege- und Therapierobotern.

Ich danke Prof. Bendel für seine Antworten.
Jochen Gust

Titelfoto: Pexels Tara Winstead

Fotograf Prof. Bendel: Kai R. Joachim

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