Der überwiegende Teil Pflegebedürftiger wird in der eigenen Häuslichkeit versorgt. In der Regel durch nahestehende Angehörige die z.B. von einem ambulanten Pflege- und Betreuungsdienst unterstützt werden. Doch es knirscht im System. Ob ambulanter Dienst, Tagespflege oder Kurzzeitpflege – immer öfter kann der eigentliche Bedarf an Unterstützung nicht gedeckt werden.
Nächstenpflege-Studie: finanzieller Druck und Gesundheitsrisiken
Die VdK-Nächstenpflege-Studie hat die Bedarfe pflegender Angehörige untersucht. Nicht nur, dass Pflege Geld kostet bzw. daran hindert, Erwerbseinkommen zu erzielen und damit finanzielle Unsicherheit bis hin zur Armut bedeutet. Auch die Gesundheit leidet. Die dauernde „Rufbereitschaft“ führt zu Schlafstörungen, etwa ein Drittel ist sogar regelmäßig nachts mit der Versorgung ihres pflegebedürftigen Angehörigen beschäftigt.
Mittlerweile mehren sich die Berichte, dass Pflegebedürftige bzw. ihre Angehörigen keinen oder erst nach intensiver und längerer Suche einen ambulanten Dienst zur Unterstützung finden konnten. „Ambulant vor stationär“ – das ist gesellschaftlich gewollt. Es zu verwirklichen kostet Kraft, Geld – und wird ganz ohne Unterstützung immer schwieriger oder unmöglich.
Mit Kurzzeitpflegeplätzen sieht es noch schwieriger aus. Einrichtungsleiter geben mehr oder minder offen zu, dass sie nach Schwere der Fälle selektieren ob sie jemanden aufnehmen. Die geschieht in Abwägung, wie stark die verbliebenen Mitarbeiter in der Pflege zusätzlich belastet würden – aus Sorge, diese könnten kündigen. Gerade auch für herausfordernde Pflegesituationen, dünnt sich das Angebot aus. Z.b. berichtet der Soester Anzeiger hier über eine Änderung des Angebots der Caritas in Bad Sassendorf: „Das neue Konzept für die drei WGs mit je acht Nutzern soll sich deshalb an Bewohner mit einem geringeren Unterstützungsgrad (Pflegegrad 2/3) richten, ohne ausgeprägte demenzielle Beeinträchtigungen.“, kurz: aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflege wird das Angebot auf leichte Fälle beschränkt.
Krankenhäuser im Stau
In Krankenhäusern wiederum führt dies zum Patientenstau, oder „Flussstörungen“ in der Belegung: ohne eine gesicherte Weiterversorgung dürfen Patienten nicht entlassen werden. Zwar wird Übergangspflege im Krankenhaus vergütet – das schafft jedoch an sich noch keinen Kurzzeitpflegeplatz. Dadurch bleiben Pflegebedürftige mitunter deutlich länger in Kliniken als aus medizinischer Sicht notwendig – kommen aber aufgrund mangelnder ambulanter Versorgung nicht selten erst überhaupt dort hin. Medizinisch liegt kein wirklicher Grund für die Aufnahme vor – dieser muss dann für die Abrechnung vorgeschoben werden.
3 Fragen an Martin Kilimann, Referent für Pflegepolitik beim VdK-Bundesverband
Jochen Gust: Die Studie des VdK hat die Bedarfe und Belastungen untersucht und belegt, die pflegenden Angehörigen entstehen. Der Fachkräftemangel in der Pflege wird dazu führen, dass sich die Situation verschärft, wo Pflegebedürftige und Angehörige eigentlich Unterstützung erfahren sollten in der Versorgung. Was müsste aus Ihrer Sicht politisch sofort getan werden um pflegende Angehörige besser zu unterstützen?
Martin Kilimann: Der wichtigste Schritt, den die Politik gehen muss, ist die Anerkennung der Arbeit der Angehörigen. Dafür muss sie endlich die Maßnahmen umzusetzen, die bereits auf dem Tisch liegen. Doch sowohl der Pflegelohn und die Lohnersatzleistung für die pflegenden Angehörigen als auch der umfangreiche Ausbau der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflegeplätze sind Lösungen, die es nicht umsonst gibt.
Daher scheitert die Anerkennung der Nächstenpflege bisher vor allem an dem Wunsch der Politik, dass diese nichts kosten darf. Doch die erwähnten Maßnahmen sind dringend notwendig, um den Angehörigen den Rücken freizuhalten. Oftmals können Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, weil die Anbieter oder Plätze fehlen.
Es ist beispielsweise so gut wie unmöglich, deutschlandweit einen Nachtpflegeplatz zu erhalten. Darüber hinaus ist die Beantragung der Leistungen ein großes Problem. Sie kostet Angehörigen Zeit und Kraft, die sie eigentlich für die Pflege brauchen.
Jochen Gust: Verschiedene Verbände bzw. VertreterInnen der professionellen Pflege kritisieren eine „Deprofessionalisierung“, wenn immer mehr Hilfs- und Helferberufe zugelassen und deren Arbeit abseits des Ehrenamts refinanziert wird. Haben wir nicht schon jetzt und auch auf lange Sicht ein „Masseproblem“, welches die professionelle Pflege gar nicht wird auffangen können?
Martin Kilimann: Über die Pflegekräftevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wissen wir, dass bis 2034 bis zu 350.000 Pflegekräfte fehlen werden. Diese Entwicklung lässt sich zum einen durch einen höheren Bedarf an Pflegekräften aufgrund von immer mehr Pflegebedürftigen erklären. Gleichzeitig halten sich die Berufseinsteiger und jene, die den Arbeitsmarkt verlassen, nicht die Waage. Diese beiden Seiten des demografischen Wandels führen zu dem von Ihnen genannten „Masseproblem“. Wie der kürzlich erschienene DAK-Pflegereport deutlich gemacht hat, stellt sich das aber in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich dar. Nordrhein-Westfalen beispielsweise wird voraussichtlich keinen grundsätzlichen Engpass zu befürchten haben. Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel in der Pflege ist es wichtig, die vorhandenen Pflegekräfte deutlich gezielter zur Entlastung der Angehörigen einzusetzen.
Krankenhausreform – Sektorengrenzen überwinden
Jochen Gust: Eine Krankenhausreform war und ist notwendig. Zu teuer, zu viel, mancherorts auf zu niedrigem Niveau: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat das heiße Eisen angefasst. Bei mir kommt es immer wieder zu Rückmeldungen von pflegenden Angehörigen, dass das Entlassmanagement nicht ausreichend gut funktioniert. In wie weit wäre aus Ihrer Sicht die Krankenhausreform ein geeignetes Mittel, das Entlassmanagement der Kliniken zu verbessern?
Martin Kilimann: Ein Ziel der Krankenhausreform ist, den Finanzierungsdruck aus dem System zu nehmen. Dabei kommt das Entlassmanagement derzeit noch etwas zu kurz. Dabei werden die Patientinnen und Patienten heute zum Teil viel zu früh entlassen, um die Betten schnell neu belegen zu können. Dieser Druck führt jedoch häufig zu einer Überforderung der Angehörigen, die die anschließende Pflege selbst stemmen müssen. Auch die kurzfristige Suche nach einem ambulanten oder gar stationären Pflegedienstleister gestaltet sich häufig schwierig. Der derzeitige Entwurf der Krankenhausreform macht hier einige interessante Vorschläge. So soll zum einen der stationäre und ambulante Bereich enger vernetzt werden, beispielsweise durch sektorenübergreifende Versorgungszentren, aber auch eine Übergangspflege soll im Krankenhaus ermöglicht werden. Dies soll im Besonderen dann geschehen, wenn im unmittelbaren Anschluss an eine Krankenhausbehandlung andere Pflegeleistungen nach dem SGB XI nicht erbracht werden können. Es ist ein richtiger Schritt, die harten Sektorengrenzen zwischen SGB V und SGB XI abzubauen.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
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Titelbildhintergrund: Foto von La Miko via pexels; Frau am Tisch: Foto von Karolina Grabowska via pexels
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