Die bisher getrennten Ausbildungen in der Altenpflege, der Kranken- und Kinderkrankenpflege wurden zusammengelegt und hatte zum Ziel, den Auszubildenden eine zeitgemäße, moderne und hochwertige Ausbildung anzubieten. Nach der Neugestaltung durch das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe sind 2020 die ersten Ausbildungsjahrgänge für den Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ und „Pflegefachmann“ gestartet und in diesem Jahr fertig geworden.
Ist die Reform gelungen? Ich habe einen Schulleiter gefragt.
4 Fragen an Christian Horstmann, Schulleiter der Pflegeschule Lippstadt der ESTA-Bildungswerk gGmbH zur generalistischen Pflegeausbildung
Jochen Gust: Herr Horstmann – die ersten Auszubildenden haben die generalistische Pflegeausbildung durchlaufen: wie sieht Ihre Bilanz aus? Was hat sich durch die Reform verbessert?
Christian Horstmann: Vielen Dank, Herr Gust, für diese Frage. Meine Bilanz nach den ersten Durchläufen der generalistischen Pflegeausbildung sieht durchwachsen aus. Ich beginne einmal mit meinen positiven Erfahrungen:
In meiner 17jährigen Tätigkeit an unserer Schule, erinnere ich mich sehr gut an die deutliche jahrzehntelange Unterfinanzierung der Altenpflegeausbildung. Hier wurden die ehemaligen Krankenpflegeschulen erheblich finanziell bevorzugt. Im Zuge der generalistischen Umstellung, haben alle Pflegeschulen den gleichen Status erhalten und bekommen in diesem Zuge eine identische Ausbildungspauschale. Dies halte ich für eine sehr positive Entwicklung, auch hinsichtlich der Wertschätzung für die Altenpflege, wobei die Ausbildungspauschale mir noch ausbaufähig erscheint.
Erfreulicherweise hat die hiesige Landesregierung außerdem über das NRW-Sonderinvestitionsprogramm „Krankenhäuser und Pflegeschulen“ auch den staatlich anerkannten Pflegeschulen, die nicht den Vorgaben des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) unterliegen, finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Dies hat zwar auch mit der Pandemie zu tun, jedoch wäre dies meines Erachtens nicht ohne die generalistische Umstellung erfolgt.
Als weiteren positiven Erfolg sehe ich die beruflichen Möglichkeiten für die Auszubildenden an, mit der auch eine Gehaltsannäherung in den Versorgungsbereichen einhergeht.
Christian Horstmann, Leiter der Lippstädter Akademie für Pflege und Gesundheit im ESTA-Bildungswerk, zieht nach drei Jahren generalistischer Pflegeausbildung eine durchwachsene Bilanz.
Prinzipiell halte ich einen deutschlandweit einheitlichen Berufsabschluss mit EU-weiter Anerkennung für sehr sinnvoll. Und da wären wir nun bei den verbesserungswürdigen Aspekten der Reform:
Ich hätte mir ein deutschlandweites einheitliches Curriculum gewünscht. Stattdessen war es Aufgabe jeder einzelnen Pflegeschule – in anderen Bundesländern gab es später teils länderspezifische Curricula – unter Beachtung der Vorgaben des Pflegeberufegesetzes, der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe und des Rahmenlehrplans – ein schulinternes Curriculum zu erstellen. Dies war ein enormer Kraftakt für die Pflegeschulen und ich wage es zu bezweifeln, dass damit eine bundeseinheitliche oder gar europaweite Vergleichbarkeit des Abschlusses „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“ erzielt werden konnte. Die wissenschaftliche Begründung, dass sich so jede Schule individuell mit „Ihrem“ Curriculum identifizieren könne, ist zwar korrekt, rechtfertigt aber meines Erachtens nicht das unzureichend gelenkte Vorgehen.
Auch die Beurteilungsinstrumente, sonstigen Formalitäten und auch die Prüfungskonzepte mussten überwiegend von den einzelnen Schulen erstellt werden. Hinzu kommen teils unterschiedliche Vorgaben der einzelnen Bundesländer und sogar einzelner Bezirksregierungen.
Als nächsten Punkt, der nicht zufriedenstellend ist, sehe ich den Mangel an geeigneten Lehrpersonen. Der Stellenmarkt ist aktuell „leer gefegt“ und das Konkurrenzverhalten unter den Pflegeschulen ist verständlicherweise massiv. Um eine ausreichende Zahl an Pflegefachleuten auszubilden, wäre eine angemessene Anzahl an Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen wichtig, die es jedoch noch bei weitem nicht gibt. Die Pflegeschulen können somit flächendeckend ihre Ausbildungskapazitäten nicht steigern und mussten/müssen teils sogar ihre Ausbildungszahlen reduzieren. Einzelne Bundesländer haben Übergangsregeln bezüglich der Qualifikation der Lehrenden geschaffen. Für NRW reicht dies jedoch meines Erachtens nicht aus und ich sehe auch für die nächsten Jahre eine Fortführung und Erweiterung der Sonderregelung für wichtig an. Bis die Hochschulen eine ausreichende Anzahl an qualifiziertem Personal ausgebildet haben, werden noch mehrere Jahre vergehen. Ich rechne mit deutlichen Einbrüchen der Zahlen ausgebildeter Pflegefachpersonen.
Noch ein Aspekt, der zu überdenken wäre: Die generalistische Pflegeausbildung verlangt von den Auszubildenden komplexe Denkprozesse. Das Ausbildungsniveau wurde deutlich, aus meiner Sicht teils zu massiv, angehoben und hier sollte einmal hinterfragt werden, ob dem Ausbildungsmarkt – gerade im Bereich der stationären oder ambulanten Langzeitpflege – eine ausreichende Anzahl an Bewerbern/-innen zur Verfügung steht, welche die Voraussetzungen und auch das Interesse für eine erfolgreiche Ausbildung mitbringen. Es gibt viele tolle Bewerberinnen und Bewerber, die praktisch tolle Pflegefachkräfte wären, jedoch Schwierigkeiten hätten, die Ausbildung erfolgreich zu durchlaufen und am Ende auch zu bestehen (für NRW verspreche ich mir für diese Bewerbergruppe jedoch viel von der Pflegefachassistenzausbildung, die wir im Dezember erstmals an unserer Schule starten werden).
Wurde nicht extra das Pflegestudium (B.Sc.) mit dem Berufsabschluss „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“ geschaffen, um eine entsprechende Klientel zu begeistern und dadurch akademisierte Pflegepersonen für die Basis zu generieren?
Ein weiterer Punkt meiner Bilanz betrifft die Praxisanleitung in den Betrieben: Vergleichbar mit der Situation der nicht ausreichenden Zahl an Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen, kämpfen die Betriebe damit, eine gesetzeskonforme Zahl an geeigneten Praxisanleitenden vorzuhalten. Hier sehe ich eine weitere Hemmschwelle für eine Ausweitung der Ausbildungszahlen, welche im Rahmen einer Evaluation vom Gesetzgeber her, dringend beleuchtet werden müsste. Auch hier halte ich Sonderregelungen für den Übergang als wichtig an. Ich frage mich zudem für NRW, wieso in der Pflegefachassistenzausbildung langjährige Pflegefachpersonen die Anleitung der Auszubildenden übernehmen können, in der dreijährigen Ausbildung jedoch ausschließlich weitergebildete Fachkräfte.
Nun zwei letzte Punkte meiner Bilanz:
Ich nehme wahr, dass der Erwerb eines Führerscheins für junge Menschen – auch im ländlichen Bereich – zunehmend eine geringe Rolle zu spielen scheint bzw. an fehlenden finanziellen Ressourcen scheitert. In unserer Region gibt es sehr viele Pflegeauszubildende, welche über keinen Führerschein verfügen. Hier würde ich mir finanzielle Anreize für Auszubildende in der Pflege wünschen, damit diese frühzeitig einen Führerschein erwerben. Durch die Vorgabe der verschiedenen externen Einsatzbereiche in der Ausbildung, wird Mobilität der Auszubildenden gefordert, was diese – und auch die einsatzkoordinierenden Pflegeschulen – vor große Herausforderungen stellt.
Der Gesetzgeber sieht, wie schon erwähnt, verpflichtende externe Einsätze vor. Dies halte ich auch für wichtig. Jedoch zeigt sich in unserer Region deutlich, dass gerade die Einsätze in der stationären Akutpflege sehr gefragt sind und teils viel zu wenig freie Plätze zur Verfügung stehen. Als einsatzkoordinierende Schule müssen wir dann auf entferntere Krankenhäuser zugreifen, was dann mit der meist nicht ausreichenden Mobilität der Auszubildenden kollidiert. Mein Vorschlag an das Landesministerium, auch ausgewählte Rehabilitationskliniken – nach intensiver Prüfung – als Einsatzort der stationären Akutpflege auszuweisen, wurde leider als nicht realisierbar bezeichnet. Erfahrungsgemäß besteht im Rehabereich eine große Bereitschaft, praktische Einsätze für die angehenden Pflegefachfrauen und –männer zu ermöglichen. Schade, dass diese Chance an behördlichen Hürden scheitert und sich ein Einsatz im rehabilitativen Bereich auf den kurzen „weiteren Einsatz“ in der Ausbildung begrenzt.
Generalistische Pflegeausbildung: Nachteil für die Altenpflege?
Jochen Gust: Die generalistische Ausbildung eröffnet den Auszubildenden mehr berufliche Perspektiven, ermöglicht mehr Entscheidungsfreiheit in welchem Feld die Pflegefachfrauen /-männer schließlich arbeiten. Sehen Sie auch Nachteile der gemeinsamen (Grund-)Ausbildung – z.B. für die Altenpflege?
Christian Horstmann: Die Idee der generalistischen Ausbildung fußt auf dem Grundsatz des lebenslangen Lernens. So erwerben die Teilnehmer/-innen mittels dieser Basisausbildung ein Fundament, auf dem es aufzubauen gilt. Und hier sehe ich ein Problem für alle Versorgungsbereiche: Es muss ein übersichtliches, ineinander verzahntes Fort- und Weiterbildungsprogramm geben, das den Pflegepersonen eine berufliche Qualifizierungsperspektive liefert. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, zeitnah für solche Strukturen zu sorgen.
Nachteile für die Altenpflege sehe ich darin, dass die Sogwirkung für Interessenten/-innen der Pflegeausbildung in einem Krankenhaus immer noch deutlich größer zu sein scheint, als dies für die Altenpflege der Fall ist. Hier spielt natürlich auch die mediale Präsenz des Krankenhausbereiches eine große Rolle. Aktuell nehme ich jedoch wahr, dass sich dies ggf. schleichend ändert, aber das müssen wir abwarten. Viele Senioreneinrichtungen – gerade im ländlichen Bereich – haben weiterhin viel zu wenig Zulauf an geeigneten Bewerbern/-innen. Natürlich hängt dies auch mit der Attraktivität eines potenziellen Arbeitgebers zusammen: Werden Auszubildende in der Pflege gut behandelt, werden sie dort auch die Ausbildung erfolgreich abschließen und später auch als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann das Team verstärken.
Bürokratieabbau, Bürgerdienst, Gesundheitsunterricht
Jochen Gust: Der Fachkräftemangel ist in Deutschland Dauerthema geworden, auch in der Pflege. Was braucht es aus Ihrer Sicht – der Sicht des Schulleiters – um mehr Menschen für die Ausbildung zur Pflegefachfrau /-mann zu gewinnen?
Christian Horstmann: Ausgehend von meiner eigenen Berufsbiografie, würde ich mir die Einführung eines verpflichtenden Sozialen Bürgerdienstes für alle jungen Frauen und Männer wünschen. Ich habe selbst – wie viele andere junge Männer damals auch – nur durch den Zivildienst Erstkontakt mit dem Pflegebereich erhalten, der meinen Wunsch weckte, eine Pflegeausbildung zu absolvieren.
Für die allgemeinbildenden Schulen halte ich ein Pflicht-Unterrichtsfach „Gesundheit, Pflege und Soziales“ für sinnvoll. Somit werden schon die Kinder und Jugendlichen an den Bereich heran geführt und verlieren die Hemmschwelle, sich mit einer möglichen Berufsperspektive im Pflegeberuf zu beschäftigen. In den letzten Jahren ist die Nachfrage an Ausbildungsplätzen durch Bewerber/-innen aus dem Ausland stark gestiegen. Ich bin beeindruckt von vielen Interessenten/-innen, die bereits ein hohes Sprachniveau mit sich bringen und meist sogar über einen in Deutschland anerkannten Fachhochschulabschluss verfügen. Leider erschwert die deutsche Bürokratie – u.a. auch aufgrund der föderalistischen Unterschiede – die Einreise dieser in der Regel hoch motivierten zukünftigen Kolleginnen und Kollegen.
Direkt am Hauptbahnhof von Lippstadt ist die Pflegeschule der ESTA-Bildungswerk gGmbH – zusammen mit dem angegliederten Zentrum für Aus-, Fort- und Weiterbildung – unter dem Dach der Lippstädter Akademie für Pflege und Gesundheit verortet. Nach einer umfassenden Modernisierung präsentiert sie sich in frisch renovierten, hellen, klimatisierten und modern ausgestatteten Räumlichkeiten – technisch auf dem neuesten Stand. Das Herzstück der Pflegeschule bildet das neue SkillsLab, über das sich Azubis und Kollegium besonders freuen.
Jochen Gust: Bei allen Bemühungen mehr Menschen für die Pflege zu begeistern – am Ende sind es pure Zahlen, die uns aktuell sagen: wir werden die angemessene Versorgung so wie bisher personell nicht stemmen können. Wir werden mehr Hilfsberufe benötigen, mehr nachbarschaftliches Engagement. Erwarten Sie, dass es eine Art Fachpflegefundament für alle geben wird, aber die Versorgung insgesamt in mehrere Assistenz- und Hilfsberufe zerfasert? Und dementsprechend Standards – z.B. die Pflege-Patient-Ratio weiter abgesenkt werden wird?
Christian Horstmann: Auch die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung, die zweifelsfrei ein wichtiger – jedoch dringend zu evaluierender – Schritt war, die Pflegeausbildung den sich wandelnden gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen, wird es allein nicht schaffen, die Zahl an ausgebildeten Pflegefachkräften zu erhöhen. Ein verstärkter Einbezug von pflegerischem Assistenzpersonal wird unumgehbar sein. Hier halte ich es jedoch für wichtig, bundeseinheitliche Vorgaben zu schaffen, um eine qualitativ hochwertige und einheitliche Assistenzausbildung zu erzielen.
Jochen Gust: Herr Horstmann, ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Herr Horstmann triff in allen Punkten de Nagel auf den Kopf!
Einzig bezüglich des Sprachniveaiis der BewerberInnen würden wir hier und zusätzlich 1 Jahr intensiven Sprachkurs, finanziert von der Bundesanstalt für Arbeit wünschen, weil da hapert es bei unseren Bewerbern doch zum großen Teil sehr nachhaltig!
Auch ist zu fragen, ob die genralisitische Ausbildung, wenn man sie schon weiterbetreiben will, nicht 4 Jahre umfassen sollte. Darrüber hinaus stellt sich, m. E. auch die Frage, ob man die Pflichteinsätze in der Langzeitpflege und im ambulanten Bereich nicht um jeweilsca. 1/3 kürzt und dafür einen verlängerten Einsatz, bzw. 2. Einsatz in der stationären Kurzzeitpflege als verpflichtend anbieten sollte.