Seelsorge für Patienten mit Demenz im Krankenhaus

„Als mein Mann im Krankenhaus war, waren ständig Leute in seinem Zimmer oder an seinem Bett. Aber kaum jemand schien ihn zu sehen.“. 

eine sorgende Ehefrau über den Klinikaufenthalt ihres Ehemannes.

Im Krankenhaus ist Stress Alltag. Vieles muss schnell gehen.  Die Geräuschkulisse ist enorm, auch wenn sie nicht immer laut daherkommt. Die Umgebung ist fremd. Und immer wieder wechselnde Menschen, die häufig Wörter benutzen, die mindestens den alten und hochaltrigen Patienten wie eine Fremdsprache vorkommen dürfte.  

Vertrautheit und Sicherheit sind zentrale Themen für den Umgang mit Menschen mit Demenz. Denn diese Erkrankungen bringen die Betroffenen in eine Welt der Unvorhersehbarkeiten, der Unverlässlichkeiten – und (damit) auch Angst. Nicht nur deshalb kann Seelsorge in einer Klinik für Menschen mit Demenz eine wichtige Funktion erfüllen. Wenn Seelsorgende Kenntnisse rund ums Thema Demenzen mitbringen, kann jeder Kontakt zur Stabilisierung und Beruhigung der Betroffenen beitragen. Seelsorgende können einen emotionalen Raum bieten im Rahmen des Kontaktes, der nicht von Aufgaben getrieben ist wie beispielsweise eine medizinische Untersuchung oder eine Maßnahme einer Pflegefachfrau oder Therapeutin.

5 Fragen an eine Klinikseelsorgerin

Jutta Bilitewski ist Pastorin, Zusatzqualifikationen in Gestalttherapie, Palliative/Spiritual Care, Psychoonkologie und seit 15 Jahren als Seelsorgerin in Kliniken unterwegs. Sie arbeitet für den Kirchenkreis Ostholstein und verfügt über viel Erfahrung auch in der Arbeit mit Menschen mit Demenz.

Jochen Gust: Frau Bilitewski – Sie arbeiten auch als Klinikseelsorgerin. Frage vorweg: ist christliche Überzeugungsarbeit zu leisten Teil Ihres Auftrages im Patientenkontakt, Glaube oder Religiosität eine Voraussetzung?

Jutta Bilitewski: Seelsorge im Krankenhaus ist in keinem Fall die Speerspitze der Mission. Im Patientenkontakt ist der Glaube oder Religiosität auch keine Voraussetzung. Voraussetzung für den Kontakt ist allein die Bereitschaft der Patient*innen über ihren Kummer, Nöte oder Interessen sprechen zu wollen. Andererseits ist mein Glaube der Grund, warum ich Patient*innen in der Seelsorge unterstützen möchte, mit den Brüchen in ihrem Leben klarzukommen. In dieser unterstützenden Arbeit greife ich gern die spirituelle Disposition einer Patient*in auf, wenn dieses da ist. Und in diesem Sinn bin ich nicht neutral. Ich bin offen für die spirituelle Dimension und den Glauben der Patient*innen.

Jochen Gust: Nehmen wir das Thema Demenz in den Fokus: hat sich dahingehend die seelsorgerliche Arbeit verändert in den letzten Jahren? Haben Sie, hat Seelsorge, mit mehr Menschen mit Demenz und deren Angehörigen zu tun als früher aus Ihrer Sicht?

Jutta Bilitewski: In jedem Fall. Menschen mit Demenz sind deutlich mehr im Bewusstsein unserer Gesellschaft und im Blickfeld des seelsorgerlichen Handelns.

Im Sankt Elisabeth Krankenhaus in Eutin haben wir seit ca. 8 Jahren eine Station für geriatrische Patient*innen mit der Nebendiagnose Demenz, einem eigenen Betreuungskonzept und einer Notfallversorgung für delirante Patient*innen. Dadurch hat die Seelsorge einen gezielteren, klareren Blick auf diese Patient*innen. Ich brauche Patient*innen mit Demenz nicht einzeln im Haus identifizieren, um sie zu unterstützen. Ich werde vielmehr von dem dort beschäftigten Pflegepersonal  auf Patient*innen hingewiesen, die von seelsorgerlicher Zuwendung und Begleitung profitieren könnten. Bevor es diese Station gab, wurde die Seelsorge eher auf die Mitpatient*innen hingewiesen, die in Konflikt mit einer dementiell erkrankten Person geraten waren. Da kamen die Menschen mit Demenz eher mittelbar in den Blick. Durch die Station für die dementiell erkrankten Patient*innen sind diese auch für die Seelsorge mehr im Blick und ich und mein Kollege können ihnen besser gerecht werden.

Auch in der Altenheimseelsorge gibt es heute spezialisierte Zugänge und Angebote für Bewohner*innen mit Demenz.

„Seelsorge kann im Klinikalltag anbieten, Menschen mit Demenz auf ihrer Suche nach dem inneren und äußeren Halt zu begleiten.“

Jochen Gust: Menschen mit Demenz vergessen wieder und sind oft aufgewühlt, wenn sie sich im Krankenhaus befinden. Was kann Seelsorge beitragen im Klinikalltag?

Jutta Bilitewski: In der Seelsorge gehen wir davon aus, dass es die Seele des Menschen ist, die der Verbindung zu Gott fähig ist. Neben dem Geist und dem Körper hat sie etwas unzerstörbares und ist der Grund für die Würde eines jeden Menschen, egal wie sehr er durch Krankheit und Leid gezeichnet sein mag. Seelsorgende begleiten die aufgewühlten und ängstlichen Patient*innen, versuchen rauszufinden, was ihnen „heilig“ ist und versuchen darin Halt und Anerkennung zu vermitteln. Viele Menschen mit Demenz sind auf der Suche nach dem Sinn und dem Ziel ihres Daseins, bzw. halten sie an ihrem Lebenssinn in immer wiederkehrender Routine fest. Die Mutter will zu ihren Kindern, der Verwaltungsangestellte mit der Aktentasche ins Büro, der Ehemann zurück nach Hause wo seine Frau schon immer für ihn gesorgt hat. Es ist die Suche nach innerer und äußerer Heimat, nach Halt. Ein grundlegendes Thema und eine grundlegende Suchbewegung in jeder Religion. Seelsorgende haben dafür ein tiefes Verständnis. Menschen mit Demenz können auch Kirchenlieder und Psalmen zur Beruhigung verhelfen, wenn sie diese aus ihrem Leben kennen. Seelsorge kann im Klinikalltag anbieten, Menschen mit Demenz auf ihrer Suche nach dem inneren und äußeren Halt zu begleiten.

Seelsorge begleitet auch die Angehörigen, die in der erschöpfenden Versorgung und in möglicher sozialer Isolation Unterstützung brauchen.

Jochen Gust: Wie erleben Sie die Akzeptanz und die Unterstützung von Klinikleitungen, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Station bezüglich Einbindung der Seelsorge?

Jutta Bilitewski: Sehr unterschiedlich in den verschiedenen Häusern. Im letzten Jahr mit Covid-19 haben viele Klinikleitungen unter der Last der Besuchsverbote für die Patient*innen einen deutlichen Schritt auf die Seelsorgenden in ihren Häusern zu gemacht. Die Stationsmitarbeiter*innen binden nach meiner Beobachtung Seelsorge selbstverständlich zum Wohle der Patient*innen mit ein, wenn deutlich geworden ist, dass es in der Seelsorge um den Kummer und die Anliegen der Patient*innen geht und nicht um ein religiöses Angebot, das ungeachtet der Situation der Patient*in „übergestülpt“ wird. Nach dem Motto, Hauptsache, es wird ein Bibeltext gelesen oder ein Gebet gesprochen. Das vorab zu klären, war ja auch Ihre erste Frage vor dem eigentlichen Beginn des Interviews.

In vielen Häusern hat die Seelsorge freie Hand, sich auf den Stationen im Haus einzubringen. Es muss halt passen und gemeinsam mit den Stationsmitarbeitenden entwickelt werden. Auf der Station für Menschen mit Demenz in Eutin biete ich z.B. ein Seelsorgecafé an. Wir trinken gemeinsam Kaffee und klönen. Ich bringe einen Gegenstand (z.B. Murmel, Kastanie, Filzschneemann), eine Kurzgeschichte oder ein altbekanntes Märchen mit. Daraus ergibt sich meist der Einstieg in den gemeinsamen Austausch und die persönlichen Erinnerungen.

Jochen Gust: Krankenhäuser bzw. Demenzbeauftragte die bisher nicht über Seelsorgende verfügen – an wen können sie sich wenden um dies zu ändern?

Jutta Bilitewski: Ob in einer Region Seelsorgende für Menschen mit Demenz tätig sind, oder ob die Kirchen vor Ort bereit sind, zu kooperieren oder sich in irgendeiner Form der Zusammenarbeit zu engagieren, kann m.E. in den Kirchengemeinden und Pfarreien vor Ort oder bei den Kirchenkreisen und Dekanaten angefragt werden.

Jochen Gust: Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Bilitewski.

Demenzbeauftragte können schon bei der Konzepterstellung zur Versorgung von Patienten mit Demenz in Ihrer Klinik auch über das Thema Seelsorge / Seelsorgende nachdenken und eruieren, wie und ob dies einzubeziehen ist. Aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, bei bereits etabliertem Konzept, kann Seelsorge für Menschen mit Demenz zum wertvollen Bestandteil des Behandlungskonzeptes werden. Gerade und besonders bei Patienten, bei denen die „HighTouch“-Versorgung im Krankenhaus mindestens genauso wichtig ist, wie die Möglichkeiten der Spitzentechnologie.  

Jochen Gust

Foto Frau Bilitewski: Frank Siemers

Titelfoto (Hände): Claudia van Zyl on Unsplash

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