In der Ausgabe 04/19 berichtete das Magazin Die Schwester Der Pfleger über die IDA-Station des Paul-Lechler-Krankenhaus. Das Projekt innerhalb der Klinik nimmt in besonderer Weise Rücksicht auf die Bedürfnisse und Erfordernisse der Krankenhausversorgung von Patienten mit Demenz. Sven Braun, Pflegedirektor der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus hat sich Zeit für einige Fragen genommen:
Jochen Gust: Herr Braun, in Ihrer Interdisziplinären Demenzabteilung (IDA) setzen Sie vor allem auch auf Alltagsbegleiter zur Tagesstrukturierung. Gerade im Krankenhaus ist dies keine Selbstverständlichkeit. Wie kommt diese „neue“ Berufsgruppe im Pflegeteam der Station an und welche teambildenden Maßnahmen haben Sie ergriffen, um diese Mitarbeiter im Haus zu etablieren?
Sven Braun: Der Einsatz von Alltagsbegleitern für die Betreuung der Menschen mit Demenz ist das zentrale Kernelement des Projekts der Interdisziplinären Demenzabteilung. Sie bringen die Zeit mit, die die Pflegenden, Therapeuten und Ärzte in der Regel im Krankenhaus nicht haben. Dadurch kommt es zu einer deutlichen Entlastung des multiprofessionellen Teams. Die kontinuierliche Betreuung der 6-8 Patienten bei den Mahlzeiten und während der tagesstrukturierenden Maßnahmen durch die Alltagsbegleiter bringt die notwendige Kontinuität und Ruhe in den Tagesablauf.
Bei uns ist keine Konkurrenzsituation zwischen den Alltagsbegleiter und dem Pflegepersonal entstanden, da sie Teil des Pflegeteams sind und das Team von Anfang an bei der Konzeptentwicklung und Auswahl der Kolleginnen eingebunden war. Wichtig waren anfänglich auch klare Aufgaben und Tätigkeitsbeschreibungen der einzelnen Berufsgruppen. Gemeinsame Pausen, Besprechungen und Aktivitäten stärken das Wir-Gefühl. Eine Mitarbeiterbefragung zur Evaluation der IDA ergab, dass ein Großteil des Teams davon überzeugt ist, dass der Einsatz von Alltagsbegleitern überaus hilfreich im Pflegealltag ist und zur Entlastung der Pflegekräfte führt. Das Arbeitsklima empfinden die beteiligten Berufsgruppen, trotz der großen Herausforderung, die die Demenzerkrankung mit sich bringt, als positiv.Eine gute und adäquate Betreuung der Menschen mit Demenz im Krankenhaus ist m. E. mit einer normalen Stationsbesetzung in der Akutklinik einfach nicht möglich. Daher stockten wir das Pflegeteam um weitere 2,0 VK zusätzliche Stellen auf, was nur durch eine Anschubfinanzierung der Lechler Stiftung möglich war.
Segregation
Jochen Gust: Mehr und mehr Kliniken weisen Demenz-Coaches aus. Mithin wird davon gesprochen, dass sich im gesamten Krankenhaus diese Kräfte speziell um Patienten mit Demenz kümmern. In Ihrem Hause gibt es einen separaten Bereich für Menschen mit Demenz. Weshalb diese Trennung?
Sven Braun: Wir wollten die Situation der akut internistisch erkrankten Menschen mit der Nebendiagnose Demenz in unserem Krankenhaus verbessern und haben uns als kleinere geriatrische Klinik für den segregativen Weg entschieden. Durch die Konzentration dieser Patienten auf einer Station können wir eine kontinuierliche und spezialisierte Betreuung im Aufenthaltsraum (incl. Mahlzeiten) sicherstellen und das entlastet in der Konsequenz auch die restlichen Stationen. Zur Aktivierung der Patienten finden tagesstrukturierende Maßnahmen in Form von Zeitungs- und Literaturrunde, Gymnastik, Biografie- bzw. Erinnerungsarbeit, Spielen, Kochen, Backen und Singen statt. Dadurch wird beispielsweise die Mobilisation der Patienten gefördert, sie essen und trinken mehr, sind ruhiger und weniger umtriebig und das Niveau der Selbständigkeit bleibt erhalten oder verbessert sich. Gleichzeitig konnten alle Mitarbeiter im separaten Bereich gezielt für das Thema Demenz in Form von Tagesseminaren oder geriatrischen Fort- und Weiterbildungen qualifiziert werden.In der Aufnahme wird entschieden, ob die Aufnahmekriterien für die Demenzstation zutreffen und ob die Patienten perspektivisch von dem Konzept profitieren können. Durch unseren Umzug in einen Klinikneubau konnten wir ferner die Umgebung demenzsensibel gestaltet und einen beschützten Bereich mit Aufenthaltsmöglichkeiten und einem Innenhof schaffen. Um den Patienten Orientierungshilfen zu bieten, wurden die Zimmer beispielsweise mit großen Uhren und mit jeweils identischen Bildern im Inneren und an der Zimmertür ausgestattet. Eine durchgeführte Befragung der Angehörigen ergab, dass die Ausstattung auf der IDA für Patienten mit Demenz als sehr geeignet empfunden wird. Für Patienten mit z. B. chronischer Bettlägerigkeit oder bei gegebener Notwendigkeit einer Isolierung bedarf es einer zusätzlichen dezentralen Betreuung.
„Die IDA-Station ist in unserer Klinik nicht mehr wegzudenken, ich bin zuversichtlich dieses Konzept im Sinne der Patienten weiterführen zu können.“
Jochen Gust: Im entsprechenden Artikel war zu lesen, dass die spezielle Arbeit mit Patienten mit Demenz projektfinanziert ist. Projekte mit und für Menschen mit Demenz sind nicht selten – das Überleben der Konzepte und Arbeit im Echtbetrieb wenn das Projekt – also die Drittmittelfinanzierung – ausläuft, leider schon. Welche Schritte kommen aus Ihrer Sicht in Frage, um ein solches Demenzkonzept in den Regelbetrieb überführen zu können, ohne auf Projektmittel angewiesen zu sein? Und für wie wahrscheinlich halten Sie die Möglichkeit, die Station so fortführen zu können?
Sven Braun: Durch die demographische Entwicklung wird der Anteil und die Zahl der an Demenz erkrankten Personen in der Gesamtbevölkerung, insbesondere aber auch unter den in Akutkrankenhäusern behandelten Patienten, in den kommenden Jahren rasch zunehmen. Daher ist die Übernahme des Konzepts in den Regelbetrieb von überaus relevanter Bedeutung. Die IDA-Station ist in unserer Klinik nicht mehr wegzudenken, ich bin zuversichtlich dieses Konzept im Sinne der Patienten weiterführen zu können. Die Evaluation zeigt, dass die Mitarbeiter und Angehörigen von dem Konzept überzeugt sind und somit auch hinter einer Weiterführung stehen.
Die mangelnde Abbildung der aufwändigeren Demenzbetreuung im DRG-System stellt jedoch ein großes Problem dar. Ich würde mir eine Demenzkomplexpauschale z. B. analog der Geriatrischen Komplexbehandlung wünschen. Hier könnten alle Leistungen (Alltagsbegleitung, Aktivierend therapeutische Pflege, Therapie usw.) entsprechend abgebildet und vergütet werden. Wir haben diesen Wunsch auch gegenüber den örtlichen Kassenvertretern formuliert. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Zunahme der Anzahl an dementiell erkrankten Menschen muss die Kasse m. E. bald darauf reagieren. Bis zu einer auskömmlichen Finanzierung sind wir allerdings weiterhin auf Spenden für diesen Bereich angewiesen und betreiben daher ein aktives Fundraising.
Jochen Gust: Die Bundesregierung arbeitet gemeinsam mit verschiedenen Akteuren an einer Nationalen Demenzstrategie. Glauben Sie, dass die Strategie auch Wirkung auf die Versorgung von Menschen mit Demenz in Kliniken erzielen wird?
Sven Braun: Das Thema Demenz ist so wichtig, dass wir m. E. eine nationale Demenzstrategie benötigen. Es ist gut, dass die vielfältigen regionalen Bemühungen und in Ansätze in einzelnen Kliniken in eine große Allianz für Menschen mit Demenz münden. Auch wir wollen mit unserem Konzept ein Zeichen für mehr Veränderung im Bereich Demenz setzen. Die Themen Teilhabe, Unterstützung der Angehörigen, pflegerische und medizinische Versorgungskonzepte sowie Forschung in diesem Bereich müssen dringend vorangetrieben werden. Wir stehen hier noch ziemlich am Anfang und es gibt noch viel zu tun. Ich hoffe dadurch wird das Thema gesellschaftsfähiger und kommt zuletzt auch jedem Patienten im Krankenhaus zugute.
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Ich danke Herrn Braun für seine Zeit und seine Antworten. Weiterhin wünsche ich gutes Gelingen und eine dauerhafte Fortführung des Projekts.
Jochen Gust
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