
Wenn kognitive Schutzmechanismen schwinden, brechen seelische Altlasten oft wieder hervor. Pflegefachleute erleben dann unter Umständen aggressives Verhalten, nehmen zunächst nicht erklärbare Ängste oder auch starken Rückzug wahr. Hinter den Verhaltensweisen können Traumata stecken. Der Zusammenhang zwischen Demenz und posttraumatischen Belastungen wird jedoch noch immer unterschätzt.
Viele ältere Menschen tragen schwere, unverarbeitete Erfahrungen mit sich – etwa aus Krieg, Flucht, Vernachlässigung oder Missbrauch. Dabei geht es keineswegs um schlechte Erinnerungen oder schwierige Lebensphasen, sondern um prägende Erfahrungen die nicht bewältigt werden konnten. Während diese Erlebnisse über Jahrzehnte „ruhig“ geblieben sein mögen, können sie im Rahmen einer Demenz erneut an die Oberfläche kommen. Die Folge: Verhalten, das ohne Kenntnis der Biografie als „herausfordernd“ gilt, ist oft Ausdruck von wiedererlebtem Schrecken.
Was ist ein Trauma?
Ein psychisches Trauma entsteht, wenn ein Mensch eine extreme Belastung erlebt – oft verbunden mit Hilflosigkeit, Kontrollverlust und existenzieller Angst. Wenn solche Erfahrungen nicht verarbeitet werden, kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln.
Häufige Auslöser:
• Krieg und Gewalt
• Flucht und Vertreibung
• Vernachlässigung
• Verlust nahestehender Personen
• Mobbing, psychische Gewalt, medizinische Übergriffe

Typische PTBS-Symptome:
Symptom | Beschreibung |
---|---|
Intrusionen | Flashbacks, Albträume, ungewolltes Wiedererleben |
Vermeidung | Rückzug, Meiden bestimmter Orte, Gespräche oder Personen |
Hypervigilanz | Reizbarkeit, Schlafprobleme, übermäßige Wachsamkeit |
Soziale Isolation | Gefühl innerer Leere, Misstrauen, Rückzug |
PTBS als Risikofaktor für Demenz
Studien haben Hinweise ergeben, dass Menschen mit einer PTBS ein bis zu doppelt so hohes Risiko haben können, später an einer Demenz zu erkranken. Als Gründe dafür werden u.a.
– Chronischer Stress schädigt über Jahre Hirnregionen wie den Hippocampus.
– Isolation und Depression verringern kognitive Reize.
– Schlafmangel und Übererregung beeinträchtigen langfristig die Gehirnleistung.
vermutet.
Wenn Demenz alte Traumata reaktiviert
Bei fortschreitender Demenz verliert das Gehirn seine Filterfunktionen: Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen immer wieder. Auch traumatisierende Erlebnisse drängen ungewollt ins Bewusstsein – oft ohne Vorwarnung. Für Pflegende erlebbare Verhaltensweisen sind z.B.
• Plötzliches Wegstoßen von Pflegenden
• Unbegründete Angst vor bestimmten Reizen (z. B. Uniformen, Geräusche)
• Verweigerung von Körperpflege oder Medikamenten
• Rückzug, Misstrauen, emotionale Überflutung
Was Pflegeprofis tun können
Das Thema Biographiearbeit ist mit der Pflege von Menschen mit Demenz untrennbar verknüpft. Jedoch gilt es, dabei bewußt und sensibel vorzugehen, gerade im Hinblick auf mögliche Traumata. Hören Sie hierzu auch mein Interview mit Kirsten Schütz zum Thema Biographiearbeit.
Wichtig:
1. Traumabewusstsein entwickeln
2. Traumasensible Kommunikation
3. Trigger vermeiden, Schutz bieten
4. Beobachtungen dokumentieren – Wissen weitergeben

Fortbildungen und Informationen
Ein Trauma vergeht nicht einfach mit der Zeit. Es ruht – und kann Jahrzehnte später, z.B. im Rahmen einer Demenz, wieder aufbrechen. Für Pflegefachleute heißt das: Reagieren, nicht nur behandeln. Wer Verhalten versteht, statt es vorschnell zu bewerten, kann Leid lindern – und Würde bewahren.
Es gibt eine Reihe von Fortbildungen zum Thema für Pflegende. Vielleicht haben Sie eine solchen schon besucht? Schreiben Sie gerne einen Kommentar zu Ihren Erfahrungen damit.
Weitere Infos in Buchform z.B. (Amazon-Link:) Traumasensible psychiatrische Pflege oder auch (Amazon-Link:) „Ich fühle mich zum ersten Mal lebendig“ – Traumasensible Unterstützung für alte Frauen. Kolleginnen und Kollegen mit Thieme-Zugang finden hier etwas. Eine Podcast-Folge mit dem Thema der traumasensiblen Pflege finden Sie hier.
Jochen Gust