Vorweg: dieser Beitrag beschäftigt sich nicht direkt mit dem Thema Demenz im Krankenhaus. Es geht um den Einsatz von Technik für ein selbstbestimmtes Leben. Falls Sie das nicht interessiert, schauen Sie sich doch einen der anderen Beiträge dieses Blogs an.
Ich bin ein Technikfreund. An anderer Stelle teste und veröffentliche ich immer wieder zum Einsatz von technischen Mittel rund um die Versorgung von Menschen mit Demenz. Vom Betreuungstablet bis zur SmartSole. Das Thema ist mir also nicht fremd und ich stehe ihm aufgeschlossen gegenüber, finde die Entwicklungen überaus spannend. Ganz aktuell liegt hier im Büro das noch verschlossene Paket mit einem sogenannten SmartStick. Ein vernetzter Gehstock, der im Notfall (Hinlauftendenz) vielleicht Leben retten kann. Schaue ich mir die Tage genauer an, vielleicht geh ich ein bisschen spazieren damit, wenn das Wetter besser wird.
Roboterassistenten
Technische Entwicklungen im Gesundheitswesen sind spannend, notwendig, können hilfreich sein – und kommen sowieso. Gesundheitsberufler tun gut daran, sich nicht zu sperren oder das Thema pauschal abzutun. Von Kolleginnen und Kollegen in der Pflege höre ich öfter mal, dass man sich nicht durch einen Roboter ersetzen lassen würde. Dass man das „unwürdig“ fände. Nur, darum geht’s nicht. Pflege und Betreuung soll und kann gar nicht ersetzt werden. Menschen brauchen Menschen. Immer. Technik und Digitalisierung, egal in welcher Form, soll eine unterstützende, ermöglichende Funktion haben – keine ersetzende in Sachen Pflege und Betreuung. Für einen guten Kontakt zu Menschen mit Demenz ist reine Rationalisierung ohnehin zum Scheitern verurteilt.
Schauen Sie sich jedoch einmal dieses Video mit dem Titel: „Konzept von GARMI – Roboterassistent für ein selbstbestimmtes Leben im Alter“ an.
Altenpflegeprofis dürften eher nicht beteiligt gewesen sein, oder?
Notwendige Schritte
Ich bin überzeugt davon, dass Roboterassistenten irgendwann ähnlich normal sein werden wie vielleicht Staubsaugerroboter heute. Kein Mensch empfindet das heute mehr als bahnbrechend, einen selbstfahrenden Staubfresser Zuhause zu haben. Man schaut nur, ob es einem das Geld wert ist.
Was das Video sehr deutlich macht ist die Diskrepanz zwischen gut gemeint und gut gemacht. Der Roboter wird von dem alten Herrn das halbe Video mit Dingen beauftragt, die er selbst könnte. Sicher, er müsste sich dafür bewegen und anstrengen, statt auf der Couch zu hocken oder zu liegen. Nur, das wäre gut für ihn. Wir sitzen und liegen zuviel, wir werden unbeweglicher. Als älter werdende Menschen verlieren wir dadurch unter anderem Kraft, Koordinationsfähigkeit, Gleichgewicht und letztlich auch Selbständigkeit. Der Roboter im Video erledigt auf Zuruf lauter Dinge, die der alte Herr selbst tun könnte. Er kann sich dem Video zur Folge ja im Park mit jemandem treffen – aber nicht seine Post von der Haustür holen und auch kein Bier aus der Küche? Das ist Bequemlichkeit. Das ist Überversorgung. Das schwächt (nicht nur alte) Menschen. Überwiegend wird da in meinen Augen in der ersten Hälfte des Films höchstens eine fahrbare Alexa gezeigt. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Natürlich tritt dann auch noch ein medizinischer Notfall ein. Und ja, spätestens da hat der Roboter auch seinen wert.
Keine Sorge, Roboterfürsorge
Die Macher haben sicherlich beste Absichten. Aber beste Absichten reichen nicht. Die Versorgung von Menschen muss immer darauf zielen, etwas Gutes zu bewirken. Nicht unbedingt ihnen Gutes zu tun. Klar, ich bin auch froh über die Fernbedienung der Glotze, wenn ich abends im Bett liege. Aber nochmal: das dient meiner Bequemlichkeit – ob mir das gut tut oder mich gar bei einem selbständigen Leben unterstützt, ist eine andere, im Alter aber vielleicht wichtige Frage bei allen Entwicklungen.
Für die digitale medizinische Überwachung, deren Möglichkeiten ich sehr gut finde insbesondere für alleinlebende ältere Menschen (und das werden immer mehr) gibt es andere Lösungen bzw. wird es andere Lösungen geben. Ein Hausroboter ist dafür dann vielleicht überdimensioniert.
Nochmal: ich bin ein Technikfreund. Es mag am Video liegen oder an meinem falschen Eindruck – und ich benutze das Video ungerechter Weise nun als Aufhänger: aber active assisted living, die technische Unterstützung eines selbstbestimmten Lebens im Alter darf nicht darauf fokussiert werden Menschen Dinge abzunehmen, die sie noch selbst können. Das führt zum „Überpflegen“ zu mehr Unselbständigkeit und fördert vielleicht auch Isolation. Ist schließlich super bequem auf so einer Couch. Amüsant ist, dass der Roboter im Video den Herrn schließlich zu Bewegungsübungen auffordert. Bewegung ist extrem wichtig – allerdings ist der Roboter den halben Film damit beschäftigt, dem alten Herrn diese so wichtige Bewegung abzunehmen.
Ihr Wissen und Ihre Erfahrung werden gebraucht
Wenn wir uns beruflich um die Versorgung von Menschen kümmern, dann lassen Sie uns eine professionelle Sichtweise wahren. Die gebietet uns, Menschen im Alter nicht einfach deshalb zu unterstützen, weil wir uns dann besser fühlen. Weil wir dem Greis was abgenommen haben. Als Profis ist es unser Auftrag, unserer Zielgruppe zu nützen. Sie zu unterstützen, selbst zu können (und manchmal zu wollen). Dafür bekommen wir dann auch unser Geld.
Es gibt so eine Tendenz, es „den Alten“ (oder anderen) immer schön, bequem und leicht machen zu wollen. Das ist völlig in Ordnung wenn man eine perönliche Beziehung zu jemandem hat. Aber beruflich müssen wir Gewahr sein, dass es unseren Auftrag bzw. das Ziel des selbstbestimmten Lebens im Alter konterkarieren kann, dauernd „nett“ zu sein. Denn Menschen können irgendwann nicht mehr, was sie nie tun müssen.
Fragen wir uns stets, ob unserer Zielgruppe das auch wirklich nützt, was wir da tun und anbieten. Auch wenn es um die Entwicklung und Einführung von Technik im Gesundheitswesen geht. „Service“ und technische Gimmicks (erwähnte ich schon meine geliebte Fernbedienung am Bett?) sind eine tolle Sache. Überversorgung ist es nicht. Wenn es um technische Entwicklung geht daher eine Bitte an alle Gesundheitsberufler: Machen Sie mit!
Sagen Sie Ihre Meinung. Mischen Sie sich ein.
Ihre Expertise wird gebraucht bei den Entwicklungen im Gesundheitswesen. Egal ob Zuhause, im Pflegeheim oder im Krankenhaus.
Heute und Morgen.
Dessen sicher ist Ihr
Jochen Gust
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