
In Deutschland entwickelt sich das Berufsbild der Community Health Nurse (CHN) noch – ist aber stark im Kommen. Zu den Voraussetzungen gehören eine abgeschlossene Pflegeausbildung, ein pflegebezogener Bachelorabschluss und mehrjährige Berufserfahrung in der Pflege.
CHN-Modelle werden derzeit in Pilotprojekten erprobt und sind häufig an Forschungs- oder Modellvorhaben gebunden (z. B. durch den Innovationsfonds oder Landesmittel).
Wie Community Health Nurses in anderen Ländern mit Menschen mit Demenz arbeiten
Beispiel Vereinigtes Königreich: Admiral Nurses
Im Vereinigten Königreich gibt es sogenannte Admiral Nurses – spezialisierte Pflegefachpersonen für Demenz. Sie bieten Unterstützung für Familien, die von Demenz betroffen sind. Ziel ist es auch, die Kompetenzen der Angehörigen zu stärken, ihre Lebensqualität zu verbessern und Überlastung zu vermeiden. In Australien spielen Pflegeprofis in Hausarztpraxen eine zentrale Rolle bei der Unterstützung auch von Menschen mit Demenz.
Vorteile für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen
Community Health Nurses können die Versorgungslücke bei Demenz abmildern, besonders in ländlichen Regionen oder sozial benachteiligten Quartieren:
- Früherkennung und Diagnostikunterstützung
- CHNs sind niedrigschwellig erreichbar und können erste Anzeichen von Demenz früh erkennen, Screening-Tests durchführen und Betroffene in weitere Diagnostik überleiten.
- Individuelle Beratung & Entlastung von Angehörigen
- Sie beraten Angehörige zu Umgang, Kommunikation, Pflege und Unterstützungsangeboten – auch in Krisensituationen.
- Koordination von Hilfsangeboten („Case Management“)
- CHNs helfen, passende Leistungen zu finden: von ambulanter Pflege über Tagespflege bis zu rechtlicher Vorsorge. Sie schaffen und koordinieren ehrenamtliche Strukturen.
- Gesundheitsförderung & Prävention
- Auch im Frühstadium kann gezielte Beratung und Betreuung helfen, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen (z. B. durch Aktivierung, Ernährung, Stressbewältigung) und Risiken für Folgeerkrankungen reduzieren.
- Sozialraumorientierung
- CHNs kennen den Stadtteil oder die Region und arbeiten eng mit lokalen Akteur:innen (Pflegedienste, Hausärzt:innen, Nachbarschaftshilfe etc.) zusammen, bilden Netzwerke der Versorgung / der Akteure und koordinieren sie
3 Fragen an Robert Bitterlich, M. Sc. (Community Health Nurse, Pflegeexperte ANP) | Projektmanager Community Health Nursing (CHN); DBfK

Jochen Gust: Beratung und individuelle Unterstützung in Sachen Pflege – findet dies nicht ohnehin in Deutschland durch eine Vielzahl von Akteuren statt? Familiale Pflege, Pflegestützpunkte, Beratung durch Pflegedienste und eine schier unübersehbare Zahl an regionalen Projekten, Vereinigungen und Anlaufstellen sind vertreten. Was ist der besondere, in Ihren Augen entscheidende Unterschied, wenn CHN ins Spiel kommt?
Robert Bitterlich: Community Health Nurses (CHN) sind die erste Anlaufstelle bei Fragen zu Gesundheit und Pflege, wobei auch soziale Themen berücksichtigt werden. Ihre Kompetenzen haben jedoch Grenzen, und in solchen Fällen ziehen sie andere Beratungsstellen oder Akteure hinzu, um die bestmögliche Betreuung der Patienten sicherzustellen. Dabei übernehmen sie eine zentrale Rolle in der Vernetzung und Koordination.
Diese Aufgabe ist – unter den vielen anderen – wichtig, da das Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland durch viele Akteure gekennzeichnet ist und es den Menschen oft schwerfällt, sich in diesem komplexen System zurechtzufinden und die richtigen Ansprechpartner für Hilfe und Behandlung zu finden. Eine CHN bietet den Patienten eine verlässliche Ansprechperson, deren Aufgabe darin besteht, ein geeignetes Netzwerk für die Versorgung zu schaffen. Genau dieses vernetzende und koordinierende Vorgehen – auch als „Versorgung aus einer Hand“ bezeichnet – fehlt in Deutschland und sollte ein zentraler Bestandteil des Systems werden. Andernfalls kommt es weiterhin zu Über-, Unter- und Fehlversorgungen. Diese können sich in Form von Leistungen äußern, die keinen Nutzen bringen oder sogar schädlich sind, Leistungen, die zwar hilfreich wären, aber nicht angeboten werden können, oder solchen, die mehr Schaden anrichten als nützen. Alle diese Probleme treten gleichzeitig auf und stellen eine erhebliche Herausforderung dar.
Jochen Gust: Deutschland leidet seit Jahrzehnten am Pflegeprojekt-Fieber. Millionen sind für Projekte ausgegeben worden, die nie Regelversorgung wurden, nie „in die Fläche kamen“. Welche Chancen sehen Sie für eine langfristige Verankerung von CHN in der Versorgung von Menschen mit Demenz?
Robert Bitterlich: Ich sehe große Chancen für die Etablierung der Community Health Nurse (CHN), und dies ist auch dringend notwendig. Ein Blick ins Ausland verdeutlicht die Bedeutung dieser Rolle. Bereits die vorige Bundesregierung hat den dringenden Bedarf erkannt und die CHN als Aufgabe im Koalitionsvertrag verankert. Auch die aktuelle Regierung greift das Thema im Rahmen der Koalitionsverhandlungen erneut auf, insbesondere durch die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege, die die Einführung der Advance Practice Nurse (APN) vorsieht. Die CHN kann als eine APN mit Spezialisierung auf Primärversorgung (ambulante Versorgung), Gesundheitsförderung und Prävention verstanden werden. Die Einführung dieser Rolle, ausgestattet mit den erforderlichen Kompetenzen durch eine entsprechende Gesetzgebung, wäre ein bedeutender und richtiger Schritt zur Lösung der vielfältigen Probleme im deutschen Gesundheitssystem. Die Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeit einer CHN, ebenso wie die Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Studien aus anderen Ländern zeigen bereits positive Ergebnisse, die die Wirksamkeit dieser Rolle belegen.
Jochen Gust: Immer wieder gibt es auch innerhalb der Berufsgruppe Vorbehalte. Wie kann vermieden werden, dass sich der Eindruck verfestigt die „Studierten“ hätten mit der Praxis vor allem der stationären Langzeitpflege wenig zu tun?
Robert Bitterlich: Der Einblick in die Inhalte des Studiums der (CHN) fehlt in Deutschland noch, ebenso wie die Tatsache, dass diese Rolle in Deutschland noch nicht flächendeckend etabliert ist. Es lohnt sich, einen Blick ins Ausland zu werfen: In anderen Ländern verbringen Pflegefachpersonen mit Masterabschluss, die beispielsweise den Schwerpunkt CHN gewählt haben, den Großteil ihrer Arbeitszeit in der direkten Patientenbetreuung. Sie untersuchen Patienten, beraten sie, erstellen individuelle Versorgungskonzepte und begleiten deren Umsetzung. Darüber hinaus können Pflegefachpersonen mit Masterabschluss in diesen Ländern eigenständig Patienten untersuchen, Entscheidungen über bestimmte Therapien treffen und beurteilen, welche weiterführenden Dienste benötigt werden. Sie arbeiten deutlich autonomer und dadurch sind diese Berufe besonders attraktiv. In Deutschland befindet sich diese Entwicklung allerdings noch in den Anfängen. Hier waren Studiengänge lange Zeit auf Pädagogik oder Management ausgerichtet. Studiengänge wie CHN verfolgen hingegen das Ziel, Patienten direkt zu versorgen. Es bedarf eines kulturellen und praktischen Verständnisses für diese Rolle, das sich noch weiterentwickeln muss. Zudem ist eine breitere Akzeptanz in der Praxis notwendig. Ich hoffe, dass in zehn Jahren niemand mehr über die bestehenden Vorurteile sprechen wird.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Niedersachen fördert Projekte
Das Niedersächsische Sozialministerium fördert ab 2025 sechs neue Projekte zur Stärkung der kommunalen Gesundheitsnetzwerke in den Gesundheitsregionen Niedersachsens.
Eines der geförderten Projekte setzt einen wichtigen Impuls für die Versorgung von Menschen mit Demenz: „Community Health Nursing für ein besseres Leben mit Demenz“ in der Gesundheitsregion Rotenburg (Wümme). Ziel ist die Etablierung einer Community Health Nurse (CHN), die wohnortnah und niedrigschwellig Menschen mit Demenz sowie ihre Angehörigen unterstützt. Die CHN übernimmt eine koordinierende Rolle im lokalen Versorgungssystem, vermittelt präventive Angebote, sorgt für frühzeitige Interventionen und begleitet Betroffene durch den Krankheitsverlauf.
Besonderer Fokus liegt auf individueller Beratung, Schulung pflegender Angehöriger und der Vernetzung vorhandener Strukturen im Sozialraum. Das Projekt zeigt beispielhaft, wie Community Health Nurses Brücken bauen zwischen Medizin, Pflege, Prävention und Sozialarbeit – gerade in ländlichen Regionen mit Versorgungsengpässen.
*Buchtipp, Amazon-Link: Community Health Nurse: Handlungsfelder der Pflege im Kontext von Public Health von Melitta Horak, Sonja Haubitzer
*Auf dieser Webseite / in einzelnen Artikeln sind bei einigen Links zu Produkten – Büchern z.B., sog. Amazon-Affiliate-Links gesetzt. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen: für den Käufer ändert sich nichts, jedoch bekomme ich eine kleine Werbekostenerstattung.