Pflanzliche Arzneimittel: Nicht ohne Rücksprache

Viele Menschen greifen bei gesundheitlichen Beschwerden gerne zu pflanzlichen Arzneimitteln, den sogenannten Phytopharmaka. Sie gelten als natürlich, sanft und oft sogar als frei von Nebenwirkungen. Doch dieser Trugschluss kann im Einzelfall sogar gefährlich werden. Denn anders als beim Zauberzucker (Homöopathie) können pflanzliche Arzneimittel durchaus Wirkung erzielen, die über den Placeboeffekt hinaus gehen. Das betrifft auch Menschen mit Demenz.

Ganz natürlich – Pflegefachpersonen in der Verantwortung

Die Wirkung von Arzneimitteln hängt nicht nur von ihrem Ursprung ab, sondern auch von Zusammensetzung, Dosierung und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Während synthetische Arzneistoffe meist gut untersucht sind und klare Wirkmechanismen haben, können pflanzliche Medikamente eine Vielzahl an Pflanzenextrakten enthalten, deren Zusammenspiel nicht immer vorhersehbar ist.

Zwar können leichte Beschwerden wie Erkältungen oder Magenverstimmungen gut mit pflanzlichen Mitteln behandelt werden, doch das bedeutet nicht, dass diese Mittel grundsätzlich unbedenklich sind. Gerade bei frei verkäuflichen Produkten aus dem Discounter, der Drogerie oder dem Internet besteht die Gefahr, dass ihre Wirkung unterschätzt wird. Pflegefachleute erleben nicht selten, dass sie durch Angehörige aufgefordert werden etwas Selbstgekauftes zu verabreichen. Man meint es gut.

Pflege muss sicher sein können – es geht um Wirkung und Wechselwirkung

Ein wesentliches Risiko pflanzlicher Arzneimittel besteht in unerwünschten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Besonders gefährlich wird es, wenn Patienten oder ihre Angehörigen „sanfte“ Mittel unkritisch einsetzen, ohne Rücksprache mit Arzt oder Apotheker zu halten. Angehörige reagieren gelegentlich verärgert, wenn Pflegende sich weigern ohne Rücksprache bzw. Verordnung mit dem behandelnden Arzt das „natürliche“ Mittel Pflegebedürftigen zu geben. Besonders bei Menschen mit Demenz, die dazu selbst nicht (mehr) entscheiden und die Anwendung oder Einnahme auch selbst nicht bewerkstelligen können. Pflegefachleute dürfen in diesem Fall die Auseinandersetzung mit Angehörigen und Betreuern nicht scheuen. Beispiele für mögliche Wechselwirkungen bezogen auf die zur Behandlung von Demenz eingesetzten Medikamenten finden Sie in der nachfolgenden Tabelle.

Pflanzlicher WirkstoffHäufige AnwendungMögliche Wechselwirkungen mit Antidementiva
Ginkgo bilobaGedächtnisförderung, DurchblutungKann die Wirkung von Antidementiva verstärken oder unkontrollierbar machen. Erhöht das Blutungsrisiko, insbesondere bei Kombination mit Memantin oder Acetylcholinesterase-Hemmern (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin).
Johanniskraut
Depression, StimmungsaufhellungFördert den Abbau von Medikamenten in der Leber und kann dadurch die Wirkung von Donepezil und Rivastigmin abschwächen. Kann außerdem das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen wie Unruhe und Schlafstörungen erhöhen.
GinsengLeistungssteigerung, EnergieKann das Zentralnervensystem stimulieren und die Wirkung von Antidementiva verstärken, was zu Unruhe, Schlaflosigkeit oder erhöhter Reizbarkeit führen kann.
BaldrianBeruhigung, SchlafstörungenKann die sedierende Wirkung von Antidementiva verstärken, was zu verstärkter Müdigkeit und Schläfrigkeit führen kann.
EchinaceaImmunsystemstärkungKann den Abbau von Antidementiva in der Leber beeinflussen, was deren Konzentration im Blut und damit ihre Wirkung verändern kann.
KnoblauchHerzgesundheit, BlutdruckKann den Abbau von Memantin beeinflussen und möglicherweise die Konzentration im Blut verändern. Außerdem verstärkt es das Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme von Ginkgo.

Natürlich betrifft dies nicht nur Antidementiva. Auch Menschen mit Demenz, gerade wenn hochaltrig, nehmen häufig eine Vielzahl anderer Medikamente ein zur Behandlung anderer Zustände oder Erkrankungen. Pflanzliche Arzneistoffe können auch mit diesen Medikamenten interagieren, z.B. Ingwer (verstärkt Blutverdünner, kann mit Diabetes-Medikamenten interagieren), Süßholzwurzel (kann Kortikosteroide beeinflussen, erhöht Blutdruck), Passionsblume (kann Beruhigungsmittel verstärken), Pfefferminze (kann die Aufnahme bestimmter Medikamente im Magen-Darm-Trakt beeinflussen) und viele andere mehr.

Pflanzlich bedeutet nicht gleich harmlos. Tollkirschen sind auch pflanzlich, trotzdem ist es lebensgefährlich sie zu essen – oder? Durch Selbstmedikation können Risiken entstehen. Pflegende sollten ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt keinen Bitten folgen, „irgendetwas“ zu verabreichen. Sie sind Gesundheitsprofis, deren Arbeit auf Wissenschaft beruht. Ihr Handeln muss auf Wissen, nicht auf Glauben beruhen. Es muss geklärt sein, ob pflanzliche und synthetische Arzneimittel gefahrlos kombiniert werden können. Selbiges gilt für sogenannte Nahrungsergänzungsmittel – die Verbraucherzentrale bietet hier wichtige Infos verständlich aufbereitet.

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