Fernsehen gehört für die meisten Menschen in Deutschland zur täglichen Gewohnheit. Ältere Menschen schauen deutlich mehr fern als jüngere. Es gehört häufig zum festen Abendritual, bietet Entspannung und Vergnügen. Moderne Serien und Filme können Menschen mit Demenz jedoch schnell überfordern: schnelle Bildwechsel, Spezialeffekte, rasante Kamerafahrten und nicht zuletzt Werbeunterbrechungen mit unidentifizierbaren Produkten können zu Erregung und Unruhezuständen führen. Zugleich fehlt es vielerorts in Kliniken an Betreuung und Tagesstruktur, die ausreichend für Beschäftigung sorgt.
GoldenSummer.TV möchte beide Probleme lösen: die Streaming App möchte „demenzgerechtes“ Fernsehen bieten. Hierfür werden drei Krankenhäuser gesucht, welche die Stream-App einsetzen.
Voraussetzungen sind einerseits, dass die Klinik Managementzugriff auf das krankenhauseigene TV-System hat und über WLAN, IP TV über LAN verfügt. In der Testphase sollen den beteiligten Kliniken weder Kosten für die Installation noch Lizenzgebühren entstehen. Bewerbungsschluss: 30.11.2020. Anbieter von GoldenSummer.TV ist die Firma Curae AG aus Mörfelden-Walldorf. Holger Strehlau, Vorstandsvorsitzender der Curae AG habe ich dazu drei Fragen gestellt.
Jochen Gust: Herr Strehlau, Menschen brauchen Menschen. Der Fernseher kann keine Betreuung und Aktivierung durch Dritte ersetzen – oder?
Holger Strehlau: Das ist absolut richtig. Vor allen Dingen kann das aktuelle Fernsehprogramm die Menschen eher beunruhigen und zu herausforderndem Verhalten beitragen. Wir verstehen GoldenSummer.TV als eine ergänzende Möglichkeit, neben den Betreuungs- und Beschäftigungsmaßnahmen, die therapeutische Begleitung erfordern. Allerdings hat sich in den Testreihen herausgestellt, dass Patienten in Unruhephasen beruhigt werden und dann wieder eine Betreuung in der Gruppe oder individuell ermöglicht wird.
Jochen Gust: Krankenhäuser sind – auch schon ohne Pandemie – erheblich belastet mit Bürokratie und personeller Unterdeckung. Wie aufwändig ist die Teilnahme von Kliniken an der Studie?
Holger Strehlau: Als ehemaliger Geschäftsführer von Krankenhäusern weiß ich um die Belastungen der Pflegenden. Deshalb haben wir die Studie so angelegt, dass wir alle technischen Arbeiten in Abstimmung übernehmen, und die Pflegenden schulen, um das Programm einzusetzen. Um das Programm zu starten, bedarf es dann nur noch drei „Klicks“. Der Erhebungsbogen ist so aufgebaut, dass er maximal 3 Minuten in Anspruch nimmt.
Jochen Gust: Was erwarten Sie vom Ergebnis – immerhin schreiben Sie auf der Webseite von GoldenSummer.Tv, dass Patienten mit Demenz ins „hier und jetzt“ zurückgeholt werden und das Wohlbefinden „sichtbar“ besser werden soll. Ist es nicht vielmehr so, dass die Wirkung von GoldenSummer.TV im Effekt eher die sein wird, dass Pflegefachleute und Mediziner entlastet werden, weil Patienten mit Demenz durch die von Ihnen angebotene App eine geeignetere Alternative zum normalen Fernsehen haben?
Holger Strehlau: Sowohl das Eine als auch das Andere ist Zielsetzung des Programmes. Und beide Ziele sind ehrenwert. Je mehr Pflegende und Mediziner durch Vermeidung von „Herausforderndem Verhalten“ entlastet werden, um so mehr Zeit haben Sie für die Betreuung und Pflege insgesamt. Gleichfalls gelingt es GoldenSummer.TV häufig, die Patienten ins „hier und jetzt“ zurückzuholen und damit die Möglichkeit zu haben, ein Gespräch mit Bezug auf das Gesehene zu beginnen. Übrigens können/sollten das nicht nur die Pflegenden, sondern auch die Angehörigen tun.
Herr Strehlau, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Teilnahme ist kostenlos – und könnte im Alltag ein Mosaik werden im (demenzfreundlichen) Krankenhaus
Krankenhäuser die sich für eine Teilnahme an der Studie interessieren und die Streaming-App für Patienten mit Demenz einsetzen möchten, finden mehr Informationen dazu unter diesem Link.
Mir persönlich gefällt die Haltung der Macher insofern, dass für mich nicht zu entdecken war, dass man einen therapeutischen Anspruch postuliert. Vielmehr geht es um eine Unterstützung, eine Hilfe – eine Möglichkeit Fernsehen so zu gestalten, dass Menschen mit Demenz damit etwas anfangen können. Das könnte funktionieren – zumal Tagesstruktur, Beschäftigung und Betreuung (nicht nur) in Kliniken ein Dauerproblem sind.
Meint Ihr
Jochen Gust
Photo by Stephen Monterroso on Unsplash
Schreibe einen Kommentar