"Es ist ein Unding, dass es keine Kriterien dafür gibt."

Sabine Tschainer-Zangl ist Dipl.-Theologin, Dipl.-Psycho-Gerontologin und Personalcoach. Sie war unter anderem Geschäftsführerin der Angehörigenberatung e.V. in Nürnberg sowie drei Jahre 1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Und eine echte Pionierin beim Thema Demenz im Krankenhaus. Als erstes in Deutschland bot sie 2011 mit ihrem Institut aufschwungalt die Fortbildung zum / zur Demenzbeauftragte/n im Krankenhaus an. Noch immer bildet sie Interessierte für diese anspruchsvolle Tätigkeit weiter. Früher in Zusammenarbeit mit einer Akademie in Regensburg, heute als Inhouseschulungen bei Klinikträgern.

Jochen Gust: Frau Tschainer-Zangl, Sie schulen seit Jahren Demenzbeauftragte für Krankenhäuser. Was ist dabei inhaltlich besonders wichtig?

Sabine Tschainer-Zangl: In der Fortbildung werden viele Aspekte zum Thema Demenz berücksichtigt. Besonders wichtig ist das „Demenz-dolmetschen“ – also Menschen mit Demenz verstehen zu lernen und zu lernen, sich verständlich machen zu können. Hinzu kommt, dass die Teilnehmer Kompetenzen aus dem Bereich Projektmanagement erlangen. Strategisches Wissen, dass Sie später darin unterstützt, die erworbenen Fähigkeiten zur Begleitung Demenzerkrankter im Krankenhaus langfristig umsetzen zu können.

„Es braucht einen „Motor“ für die Veränderungen.“

Jochen Gust: Immer mehr Menschen mit Demenz, bedeutet auch immer mehr Krankenhauspatienten mit Demenz. Müsste es nicht viel mehr Kliniken geben, die sich mit der Thematik befassen?

Sabine Tschainer-Zangl: Ja, das ist richtig. Die wesentlichen Änderungen, die erreicht werden müssen, benötigen Zeit und Unterstützung auch durch Führungskräfte. Ist das nicht gegeben, wird es scheitern, wirksame und anhaltende Verbesserungen in der Klinik herbeizuführen. Das Thema Demenz im Krankenhaus ist ein Zukunftsthema. Und ein „Pflästerchen“ reicht nicht. Es gilt nicht nur einzelne Kräfte zu schulen, sondern auch mittel- und langfristig Verantwortliche zu nennen und entsprechende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung zu schaffen.
Entscheidern / Führungskräften sage ich ganz klar: Ohne die Entwicklung klinikinterner Strukturen zum „Thema Demenz“ ist auch unsere Qualifizierungsmaßnahme unwirtschaftlich, da die Effekte irgendwann im Sand verlaufen. Derzeit erlebe ich es oft so, dass die treibenden Kräfte zur Verbesserung der Versorgung der Patienten mit kognitiven Problemen / Demenz meist Einzelpersonen sind. Das ist richtig und wichtig: es braucht einen „Motor“ für die Veränderungen. Diese werden aber am Ende nur gelingen, wenn sich die gesamte Institution einbeziehen lässt und mitwirkt.

„Wünschenswert wäre ein Siegel, ein Label.“

Jochen Gust: Auch, weil es an verbindlichen Kriterien fehlt? Es ist ja leicht für einen Krankenhausträger zu behaupten, er sei besonders „demenzsensibel“ oder „demenzfreundlich“. Es gibt kein Label dafür, keine feststehenden Mindeststandards, die eine Klinik erfüllen müsste um sich so nennen zu dürfen.  

Sabine Tschainer-Zangl: Das ist richtig. Im Prinzip kann ein Krankenhaus so eine Behauptung aufstellen, ohne irgendwas in dieser Richtung überhaupt zu tun. Es ist ein Unding, dass es keine Kriterien dafür gibt. Wünschenswert wäre ein Siegel, ein Label. Damit verbundene Qualitätsanforderungen und Mindeststandards, auf die sowohl Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, als auch Krankenhausmitarbeiter vertrauen könnten. Das sollte entwickelt werden, vielleicht federführend von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Verbindung mit der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft oder einer ähnlichen Institution, mit entsprechender politischer Unterstützung.

„Das gesamte Krankenhaus – auch die Ärzte – müssen mit ins Boot.“

Jochen Gust: Stellen wir uns vor, ich bin Demenzbeauftragter im Krankenhaus – was muss ich beachten, damit meine Arbeit gelingt? Welche Voraussetzungen benötige ich in der Organisation Krankenhaus, um eine wirkliche Veränderung einzuleiten?

Sabine Tschainer-Zangl: Auf jeden Fall muss das Direktorium bereit sein, den Veränderungsprozess zu unterstützen und zu begleiten. Wie gesagt: Das gesamte Krankenhaus – auch die Ärzte – müssen mit ins Boot. Jeder Mitarbeiter muss ein Grundlagenwissen vermittelt bekommen zum Thema Demenz – z.B. in hausinternen „Crashkursen“. Eine Qualitätszirkel oder Arbeitskreis Demenz muss unbedingt multiprofessionell besetzt sein. Lässt man die Pflege mit dem Thema allein, gerät sie schnell an Grenzen und unter zusätzlichen Druck. Standesdenken ist absolut unangebracht und nicht zielführend.

Ich danke Frau Tschainer-Zangl für das Gespräch.

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