Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Demenzrisiko: Erkenntnisse aus der UK-Biobank-Studie

Frauen leben häufiger mit einer Demenz als Männer. Das liegt in erster Linie an der höheren Lebenserwartung. Eine aktuelle Analyse der britischen UK Biobank mit über 500.000 Teilnehmenden ergänzt dieses bekannte Bild: Nicht das Geschlecht allein ist entscheidend, sondern vor allem die Wirkung bestimmter Risikofaktoren – und diese unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen.

Risikofaktoren wirken sich unterschiedlich aus

Menschen im Alter zwischen 40 und 69 Jahren wurden im Durchschnitt fast zwölf Jahre lang nachbeobachtet für die Studie. Erfasst wurden kardiovaskuläre und soziale Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Rauchen, Schlaganfall und sozioökonomische Einflüsse. Ziel war es, herauszufinden, ob diese Faktoren das Demenzrisiko bei Männern und Frauen unterschiedlich beeinflussen.

Während der Nachbeobachtung zeigte sich, dass Männer in dieser Kohorte häufiger eine Demenz entwickelten als Frauen, mit 8,4 gegenüber 5,9 Fällen pro 10.000 Personenjahre. Nach statistischer Bereinigung lag das Risiko von Frauen insgesamt um rund 17 % niedriger als das der Männer – allerdings nur im Durchschnitt und abhängig davon, ob zusätzliche Risikofaktoren vorlagen. Besonders deutlich trat der Unterschied beim systolischen Blutdruck hervor: Bei Frauen erhöhte jeder Anstieg des Blutdrucks kontinuierlich das Risiko, während sich bei Männern eine U-förmige Beziehung zeigte.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung von Risikofaktoren

Faktor Frauen Männer
Systolischer Blutdruck Risiko steigt kontinuierlich mit höherem SBP linear U-förmiger Zusammenhang: sehr niedrig und sehr hoch ungünstig U-Form
Adipositas / BMI Etwas stärkerer Zusammenhang mit Demenzrisiko Zusammenhang vorhanden, tendenziell schwächer als bei Frauen
Diabetes
Rauchen
Schlaganfall
Erhöhen das Risiko in ähnlichem Ausmaß Erhöhen das Risiko in ähnlichem Ausmaß

Einordnung: Die Darstellung zeigt Muster der Risikofaktor-Wirkung (UK Biobank, BMC Medicine 2021). Sie ist nicht als quantitative Skala zu verstehen. Zentrale Aussage der Studie: Risikofaktoren wirken bei Frauen und Männern teils unterschiedlich – das Risiko hängt von der jeweiligen Konstellation (z. B. Blutdruckprofil, Vorliegen von Adipositas) ab und erlaubt keine pauschale Aussage wie Männer bekommen häufiger Alzheimer.

Quelle: Gong J et al. Sex differences in the association between major cardiovascular risk factors in midlife and dementia. BMC Medicine (2021).

Das bedeutet, dass sowohl sehr niedriger als auch sehr hoher Blutdruck mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden waren. Auch Adipositas hatte bei Frauen einen stärkeren Einfluss als bei Männern. Andere Faktoren wie Diabetes, Rauchen und Schlaganfall steigerten das Risiko bei beiden Geschlechtern in vergleichbarem Ausmaß.

Die Studie belegt vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung von Risikofaktoren. Männer wiesen nicht grundsätzlich ein höheres Risiko auf, sondern nur unter bestimmten Bedingungen – etwa bei ungünstigen Blutdruckwerten. Sie zeigt damit: Das Demenzrisiko wird nicht allein vom Geschlecht bestimmt, sondern durch die Kombination individueller Risikofaktoren und deren unterschiedliche Wirkung bei Männern und Frauen.

Quelle: Gong J, Harris K, Peters SAE, Woodward M. Sex differences in the association between major cardiovascular risk factors in midlife and dementia: a cohort study using data from the UK Biobank. BMC Medicine. 2021;19:110.

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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