
In Deutschland leben derzeit rund 1,9 Millionen Menschen mit Demenz. Bis 2050 könnten es fast drei Millionen sein. Der Grund: Immer mehr Menschen erreichen ein sehr hohes Alter – und damit das Lebensalter, in dem das Erkrankungsrisiko stark steigt. Mit den geburtenstarken Jahrgängen wird die zahl betroffener seitegen – und unser Gesundheits- und Sozialsystem prägen.
Schon heute eine Herausforderung
Krankenhäuser: Etwa ein Viertel der über 65-Jährigen im Krankenhaus lebt mit Demenz, oft ohne dass dies erkannt ist. Strukturen für Akutmedizin passen schlecht zu den Bedürfnissen Betroffener. Orientierungslosigkeit, Delirien und verlängerte Aufenthalte sind die Folge. Noch fehlt es an flächendeckenden demenzsensiblen Stationen, geschultem Personal und konsequenter Einbindung der Angehörigen.
Pflegeheime: die Mehrheit der Bewohner haben eine Demenz. Einrichtungen sind längst zu Demenzpflegezentren geworden – allerdings vielerorts mit chronischem Personalmangel. Beziehungspflege kommt oft zu kurz.
Angehörige als Hauptstütze: Rund zwei Drittel aller Menschen mit Demenz werden zu Hause durch Angehörige betreut. Sie tragen schon heute die Hauptlast, und das wird sich auch künftig kaum ändern. Politik setzt stärker auf Unterstützung und Entlastung der Familien als auf eine vollständige Übernahme durch professionelle Dienste. Doch ohne bessere Rahmenbedingungen droht Überlastung, die auch die Gesundheit der Pflegenden gefährdet.
Prävention und Therapien nutzen
Demenz ist nicht nur Schicksal. Studien zeigen, dass möglicherweise bis zu 40 Prozent (theoretisches Maximum) der Erkrankungen durch Präventionsmaßnahmen vermeidbar wären. Prävention wirkt zudem auch dann noch, wenn die Krankheit bereits besteht: Bewegung, ausgewogene Ernährung, geistige Aktivität und soziale Kontakte können den Verlauf positiv beeinflussen.
Die aktualisierte medizinische Leitlinie empfiehlt kognitive Stimulation, Ergo- und Musiktherapie sowie körperliche Aktivität. Diese Maßnahmen sind wirksam, werden aber viel zu selten angeboten. Auch die Diagnostik hinkt hinterher, obwohl ein Teil der Demenzen ursächlich behandelbar wäre.
In den vergangenen Jahren hat sich bereits viel bewegt: Demenzfreundliche Krankenhäuser, spezialisierte Pflegekonzepte, mehr Aufklärung in der Gesellschaft und erste krankheitsmodifizierende Therapien zeigen, dass Fortschritt möglich ist. Immer mehr Kommunen bauen Netzwerke auf, die Betroffenen und ihren Familien Unterstützung bieten. Diese Entwicklungen machen deutlich: Wir sind der Herausforderung nicht hilflos ausgeliefert – mit Wissen, Solidarität und Engagement lässt sich die Versorgung Schritt für Schritt verbessern.
-
1993Tacrin: erster Acetylcholinesterase-Hemmer
-
1996Donepezil zugelassen
-
2000Rivastigmin zugelassen
-
2001Galantamin zugelassen
-
2002/2003Memantin: EU 2002, USA 2003
-
2012Start der „Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz“
-
2013G8 Dementia Summit (London)
-
2017WHO Global Action Plan zu Demenz (2017–2025)
-
2017Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff (Deutschland)
-
2019WHO-Leitlinie zur Risikoreduktion von Demenz
-
2020Nationale Demenzstrategie (Deutschland)
-
2021Aducanumab: FDA beschl. Zulassung
-
2023Lecanemab: FDA reguläre Zulassung
-
2024Donanemab: FDA-Zulassung
-
2025Hoffnung
Deutschland steuert auf eine deutliche Zunahme von Demenzfällen zu. Krankenhäuser und Pflegeheime sind schon heute gefordert, Angehörige tragen den größten Teil der Versorgung. Gleichzeitig gibt es Chancen: Prävention, frühzeitige Diagnostik, wirksame Therapien und lokale Netzwerke können helfen, die Herausforderungen zu bewältigen.
Eine Demenz nimmt vieles, aber nicht das Menschsein. Gefühle und Bedürfnisse bleiben – und damit auch unsere Verantwortung, Betroffenen Würde, Teilhabe und Menschlichkeit zu sichern.
Jochen Gust