Frontotemporale Demenzen (FTD) sind eine komplexe und oft unterschätzte Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen. Ihre Vielfalt an Symptomen macht die Diagnosestellung und Behandlung zu einer Herausforderung. Aktuell gibt es keine Heilung.
Demenz bedeutet eben nicht Alzheimer
Nicht selten werden Demenzen pauschal mit der Alzheimerkrankheit gleichgesetzt. Das Wort Demenz ist jedoch ein Sammelbegriff für ein Syndrom, dem eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen und Zustände zu Grunde liegen kann. Frontotemporale Demenzen (FTD) gehören zu den seltenen, aber schwerwiegenden neurodegenerativen Erkrankungen. Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von anderen Demenzformen wie der Alzheimer-Krankheit und sind vor allem durch Verhaltensauffälligkeiten und Sprachstörungen charakterisiert. FTD betrifft häufig jüngere Menschen, meist im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, kann jedoch auch früher oder später auftreten.
3 Fragen an Dr. Sarah Straub
Dr. Sarah Straub ist nicht nur promovierte Diplom-Psychologin, sondern auch Musikerin und Buchautorin. Ihr bekanntes Buch, „Wie meine Großmutter ihr Ich verlor: Demenz – Hilfreiches und Wissenswertes für Angehörige“ ist im Kösel-Verlag erschienen. Nun hat sie die Deutsche Gesellschaft für Frontotemporale Degeneration (DGFTD) gegründet.
Jochen Gust: Eine eigene FTD-Gesellschaft – reicht die Arbeit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zum Thema Frontotemporale Demenz in Ihren Augen nicht aus?
Dr. Sarah Straub: Die Arbeit unserer Kollegen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ist von unschätzbarem Wert: Angehörige von FTD-Patienten finden hier unzählige Möglichkeiten, sich zu informieren, zu schulen und Entlastung zu finden – beispielsweise in den FTD-spezifischen Angehörigengruppen. Wir arbeiten eng mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zusammen und sehen es auch als unsere Aufgabe, auf deren Angebote zu verweisen. Daneben ist unsere dritte Vorständin Melanie Liebsch selbst im Vorstand der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg. Es gibt also viele, gewinnbringende Überschneidungspunkte. Die Gründung der DGFTD war dennoch sehr wichtig, um eine spezialisierte Anlaufstelle zu schaffen, die sich ausschließlich dieser besonderen Form der Demenz widmet. Wir möchten beispielsweise Expertinnen und Experten zusammenzubringen und Wissen zusammentragen, Forschungsförderung ermöglichen und neue Betreuungs- und Pflegekonzepte erarbeiten. Wir möchten ärztliche Kolleginnen und Kollegen schulen und Kraft in eine FTD-sensible Öffentlichkeitsarbeit stecken. Es gibt so viel zu tun.
Jochen Gust: Ich persönlich beobachte immer wieder eine Art Demenz-Paternalismus. Betroffenen werden sehr frühzeitig Entscheidungen oder auch Aufgaben „abgenommen“, die sie selbst treffen bzw. bewältigen können. Wie sehen Sie das, insbesondere wo Frontotemporale Demenz jüngere Menschen betrifft?
Dr. Sarah Straub: Es ist schwierig, hier eine allgemeingültige Antwort zu geben. Ein Teil der von FTD Betroffenen zeigt aufgrund der krankheitsbedingten Schädigung des Frontalhirns keine Krankheitseinsicht. Dies kann zu impulsivem, unüberlegtem oder risikoreichem Verhalten führen, das wiederum dramatische Fehlentscheidungen im Leben der Betroffenen nach sich ziehen kann. Manche kaufen unkontrolliert ein und geraten in finanzielle Schwierigkeiten, andere entwickeln Suchtverhalten. Hier haben wir keine andere Wahl, als unterstützend tätig zu werden, auch wenn die Patienten jung sind. Sie können sich selbst nicht mehr richtig einschätzen, das ist einfach Teil der Erkrankung.
Genauso gibt es aber viele Patienten mit FTD, die im Alltag unterschätzt werden – speziell diejenigen, welche mit fortschreitenden Sprachstörungen leben und sehr wohl ein Bewusstsein für ihre Veränderungen haben. Nur weil jemand schlecht sprechen kann, bedeutet dies nicht, dass er oder sie allumfassend geistig beeinträchtigt ist und man dieser Person keine Eigenständigkeit zugestehen kann. Aufklärung ist hier das wichtigste Mittel, um unsere Patienten vor diesem „Paternalismus“ zu schützen. Eine Begegnung auf Augenhöhe sollte stets oberste Prämisse sein. Damit dies gelingt, ist es essenziell, dass alle Menschen, die mit Betroffenen in Kontakt stehen, über Demenz gut informiert und sensibilisiert sind.
Jochen Gust: Pflege und betreuende Angehörige berichten teilweise von großen Schwierigkeiten ausreichend Unterstützung zu finden. Es kann in manchen Regionen schwierig sein, einen Pflegedienst aufzutreiben oder z.B. einen Kurzzeitpflegeplatz zu finden. Niedrigschwellige Betreuung und Nachbarschaftshilfe scheint der politisch gewollte Trend zu sein der darauf abzielt, Angehörige in der häuslichen Versorgung zu entlasten. Das bringt jedoch mit sich, dass Personen sich um FTD-Betroffene kümmern, die ggfs. nur einige Stunden Qualifizierung durchlaufen haben in der meist frontotemporale Demenz, wenn überhaupt, nur Randthema ist. Sollten Ihrer Auffassung nach eigene Qualifikationsanforderungen an Menschen gestellt werden, die beruflich mit FTD-Betroffenen arbeiten? Wenn ja, welche?
Dr. Sarah Straub: Die frontotemporale Demenz unterscheidet sich in vielen Punkten grundlegend von dem, was wir üblicherweise mit dem Begriff „Demenz“ verbinden. Umso wichtiger ist es, dass wir alle noch stärker sensibilisiert und geschult werden. Die Überforderung im Umgang mit diesen Patienten resultiert häufig aus einem Mangel an Wissen über die spezifischen Veränderungen und Herausforderungen, die diese Erkrankung mit sich bringt. Ich wünsche mir, dass diesem Thema, beispielsweise in der Pflegeausbildung, mehr Raum gegeben wird. Verhaltensauffälligkeiten sollten nicht als Grund zur Überforderung empfunden werden. Stattdessen müssen wir die nötigen Fähigkeiten entwickeln, um angemessen darauf reagieren zu können – mit dem Ziel, den Betroffenen ihre Würde und Lebensqualität zu bewahren. Tatsächlich sehen wir es auch als Aufgabe unseres Vereins, Kolleginnen und Kollegen gut geschult zu wissen. Wir möchten ein Paket ausarbeiten, welches Menschen alles Wichtige an die Hand gibt, um mit FTD-Patienten bestmöglich umgehen zu können.
Jochen Gust: Frau Dr. Straub, ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Schätzungen zufolge gibt es etwa 10.000 bis 15.000 Menschen mit FTD in Deutschland. Die Dunkelziffer ist hoch, da die Diagnose oft spät gestellt wird. Zu Beginn der Erkrankung treten bei den meisten Betroffenen vor allem Veränderungen in der Persönlichkeit und im sozialen Verhalten auf. Diese äußern sich häufig in Form von Teilnahmslosigkeit, Reizbarkeit, mangelndem Feingefühl oder enthemmtem Verhalten. Bei einigen Patienten stehen ausgeprägte Sprachprobleme im Vordergrund, insbesondere Schwierigkeiten bei der Wortfindung und beim Benennen von Gegenständen. Eine besondere Herausforderung für die sorgende Umgebung ist häufig die fehlende Krankheitseinsicht und in Folge dessen auch eine mangelnde Bereitschaft an Therapiemaßnahmen mitzuwirken. Da es an kausalen Behandlungsmöglichkeiten fehlt, zielt die medikamentöse Therapie meist darauf ab Verhaltensauffälligkeiten abzumildern.
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