Schreien und Rufen als Extremphänomen

Wenn Menschen mit Demenz anhalten schreien und rufen, ist das für alle eine Belastungsprobe. Ohne systematisches Vorgehen von Pflegefachleuten wird die Versorgung durch Angehörige häufig unmöglich. Aber auch im Pflegeheim oder in Kliniken sind diese Patienten nicht wohlgelitten. Das hat auch mit dem Gefühl zu tun, dass sich gegenüber dem Schreiphänomen zügig ein allseitiges Gefühl einstellt: Hilflosigkeit.

Wenn und weshalb Menschen mit Demenz anhaltend schreien, kann viele Gründe haben. Möglicherweise ist das Phänomen rein dem pathologischen Prozess eines Hirnbereichs geschuldet. Dies wird allzuoft als alleinige Ursache angenommen – und da kann man eben bei einer Demenz nichts machen. Oder? Schreien und Rufen kann jedoch auch bei Menschen mit Demenz Schmerzausdruck sein, Stressabbau, eine Form der Aggression, ein Versuch der Kommunikation und und und.

Diesen Ursachen auf den Grund zu gehen ist eine der Aufgaben. Nicht immer ist dies von Erfolg gekrönt oder abschließend möglich. Pflegefachleute sollten daher „zweigleisig fahren“: einerseits ist die Frage „Warum schreit der Patient?“ übergeordnet wichtig; zugleich können jedoch Versuche unternommen werden, insbesondere wenn körperliche Schmerzen so gut als möglich ausgeschlossen wurden, das Verhalten zu dämpfen, in aushaltbare Bahnen zu lenken oder es sogar ganz zurückzudrängen. Dabei gilt es oft, ein Bündel von Maßnahmen auszuprobieren. Wichtig ist, dass dies systematisch geschieht und auch (kleine) Erfolge dokumentiert werden. Nur so gewinnt Pflege Ausgangspunkte für weiteres Vorgehen und kann an Dritte weitergeben, was zu tun ist. In diesem Zusammenhang muss ich aus der Erfahrung in der Arbeit in vielen Einrichtungen erwähnen: es geht um Versuch und Irrtum. Etwas was nicht funktioniert ist ein Baustein auf dem Weg zu einer möglichen Lösung, nicht „Fehler“ oder Unvermögen eines / einer KollegIn.

Die Pfeile und deren Anordnung, ebensowenig die enthaltenen Stichpunkte stellen eine Gewichtung (Reihenfolge) dar
und auch keine einzelfallbezogenen Empfehlungen.

Wird die ambulante Versorgungssituation aufgrund eines Schreiphänomens unaushaltbar, landen die Betroffenen nicht selten auch im Krankenhaus. Im Wesentlichen stehen dort jedoch keine anderen Mittel zur Verfügung dem Schreien zu begegnen, als im Pflegeheim oder eigenem Zuhause. Als Demenzbeauftragte eines Krankenhauses ist es wichtig, ein systematisches Vorgehen zu etablieren. Allzu schnell wird die Verantwortung sonst der Ärzteschaft übergeben, die häufig wiederum versucht mit dem Einsatz verschiedener Medikamente eine Beruhigung herbeizuführen. Nicht selten um den Preis, dass Betroffene so stark sediert werden, dass sie zwar nicht mehr schreien – aber auch sonst nichts weiter tun können. Patienten mit Demenz im medikamentösen Dämmerschlaf zu entlassen, kann jedoch nicht Ihr Ziel als Demenzbeauftragte sein.  

Keinesfalls soll dies bedeuten, dass Medikamente nicht sinnvoller Teil der Behandlung sein können und ihre Berechtigung haben. Als einzige Maßnahme sind sie angesichts dessen, dass es kein spezifisches Anti-Schrei-Medikament gibt aber zu wenig für all jene die von sich sagen, dass sie sich der speziellen Versorgung von Menschen mit Demenz widmen.

Zum Thema empfehle ich Experten und deren Buch hier.

Jochen Gust

Möchten Sie über neue Artikel und Infos rund ums Thema Demenz informiert werden?

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter um nichts mehr zu verpassen.

Kein Spam! Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung.

Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

Related Posts

„Ich sehe was, was Du nicht siehst….“: Illusionen bei Demenz erkennen

Menschen mit Demenz erleben die Welt anders – und manchmal nehmen Sie Dinge wahr, die so nicht vorhanden sind. Ein Vorhang wird zur Person, ein Schatten zur Bedrohung. Solche Sinnestäuschungen…

Continue reading
Wie Künstliche Intelligenz der Alzheimerforschung dient

Ob Diagnose, Risikoeinschätzung oder Therapieunterstützung – Künstliche Intelligenz (KI) wird zunehmend zu einem zentralen Werkzeug in der Alzheimer- und Demenzforschung. Neue Modelle analysieren riesige Datenmengen, erkennen Muster früher als Menschen…

Continue reading

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You Missed

Lecanemab – einfach erklärt

Lecanemab – einfach erklärt

Internationaler Tag der Pflegenden 2025

Internationaler Tag der Pflegenden 2025

„Ich sehe was, was Du nicht siehst….“: Illusionen bei Demenz erkennen

„Ich sehe was, was Du nicht siehst….“: Illusionen bei Demenz erkennen

Krankenhaus-Report 2025: Kliniken unzureichend vorbereitet auf steigende Zahl hochaltriger Patienten – Pflege spielt Schlüsselrolle

Krankenhaus-Report 2025: Kliniken unzureichend vorbereitet auf steigende Zahl hochaltriger Patienten – Pflege spielt Schlüsselrolle

Persistentes Delir – weit verbreitet und langanhaltend

Persistentes Delir – weit verbreitet und langanhaltend

EU-Kommission gibt neuen Wirkstoff frei: Lecanemab erhält Zulassung

EU-Kommission gibt neuen Wirkstoff frei: Lecanemab erhält Zulassung