Betreuung unter Druck

Die Betreuung von Menschen mit Demenz ist längst zu einem etablierten Teil der Versorgung geworden. Dennoch gibt es immer wieder Aussagen wie jene, dass in diesem Berufsfeld „nur gespielt wird“, während Pflege arbeitet. Betreuungskräfte bekommen solche Sichtweisen gelegentlich auch zu spüren. In Schulungen und Seminaren, auch in Gesprächen und der ein oder anderen EMail äußern Betreuungskräfte (auch Alltagsbegleiter oder Betreuungsassistenten genannt) immer wieder das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht richtig ernst genommen wird.

Die Stiefkinder der Pflege

Durch die Schaffung dieses Berufs versprach man sich politisch einst eine Linderung des Personalmangels in der Altenpflege. Nicht alle AltenpflegerInnen waren besonders glücklich über die Einführung von zusätzlichem Betreuungspersonal. Viele fragten sich: Warum sorgt ihr (die Politik) nicht dafür, dass wir unsere Arbeit machen können?

Vielfach wurden Betreuungskräfte als Pflegeassistenten (Pflegehelfer) behandelt und eingesetzt. Manchmal berichten sie mir noch heute davon Tätigkeiten angewiesen zu bekommen denen sie sich nicht gewachsen fühlen – oder die sie schlicht und ergreifend nicht ausführen dürfen. Oder sie berichten von ihrem Eindruck, als Reinigungskräfte oder Hilfsküchenpersonal zu fungieren. Meiner Wahrnehmung nach sind solche Verstöße allerdings seltener geworden. Weitere Infos und die Regeln finden Interessierte z.B. hier.

Im Krankenhaus unbekannt oder ehrenamtlich: Betreuung bei Demenz

Eine Untersuchung bewertete 2011 die Zusammenarbeit zwischen Pflege und Betreuung überwiegend als gut, was eine positive Entwicklung zeigte. Wie es heute aussieht, wo sich der Personalmangel in der Pflege verschärft hat, wäre interessant zu lesen.

Für Krankenhäuser und Menschen die sich mit der Versorgung von Patienten mit Demenz befassen, ist das Thema Betreuung häufig schwer zu fassen. Da wird dann besonders deutlich, dass ein zielgerichteter Einsatz dieser Personen schlicht nicht vorgesehen ist und Betreuung und Aktivierung in den Bereich der Ehrenamtler fällt. In meinen zehn Jahren in der Geriatrie habe ich hingegen sehr gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Betreuungskräften gemacht. Nach Dienstplan, rund um die Uhr verfügbar, haben Sie viel dazu beigetragen Patienten mit Demenz die Weiterverlegung in die Psychiatrie zu ersparen und sicher trugen Sie dazu bei, dass auf die Gabe von beruhigenden / sedierenden Medikamenten oft verzichtet werden konnte. Meine Erfahrungen als Demenzbeauftragter eines Krankenhauses machen jedenfalls eine gute geriatrische Versorgung von PmD ohne Betreuung und Aktivierung nur noch schwer denkbar. Vor allem Mangels Finanzierung bleibt eine zielgerichtete Betreuung von Menschen mit Demenz via zusätzlicher Betreuungskräfte aber bislang regelhaft aus.

Zieldruck und Vorwürfe, die niemand offen ausspricht

In Sachen Demenz erfahre ich immer wieder auch von einem gewissen Erfolgsdruck. Das kann so weit führen, dass die Mitarbeitenden hinwerfen – weil sie nie das Gefühl haben erfolgreich, „richtig“ mit Menschen mit Demenz arbeiten zu können. Es genügt nie, Fortschritte sind nicht sichtbar, es gibt unterschwellige, nadelstichartige Kritik durch Angehörige oder die KollegInnen aus der Pflege und ggfs. von Vorgesetzten. Das, obwohl häufig noch nicht einmal Zielvereinbarungen für die Betreuung und Aktivierung vorliegen, geschweigedenn irgendwie erfasst würde, was funktioniert (hat).

2 Beispiele:

  • Ein Problem ist, dass Erfolg z.B. an der Menge der Teilnehmer einer Aktivierungsrunde gemessen wird. Oder, dass Menschen mit Demenz zur Teilnahme gebracht werden, ganz egal ob das Angebot ihnen entspricht, ihre Tagesform es zulässt oder ihnen gerade der Sinn danach steht. Masse statt Klasse ist da öfter das Motto, auch, weil man in dieser Zeit den Betroffenen mit Demenz ja unter Aufsicht weiß. Die Kritik Dritter, wenn auf weniger Teilnehmer bestanden wird oder Menschen mit Demenz von dieser Aktivierung ausnehmen möchten, lautet dann z.B. „X nimmt mehr Bewohner mit als Du.“.
  • Weiterer Druck entsteht, wenn am Ende der Betreuungseinheit ein sichtbares, „schönes“ Ergebnis stehen soll. Da werden Mandalas bemalt oder Fensterbilder produziert, bis die Station aussieht wie ein Kindergarten. Hauptsache man sieht, wie toll hier mit Menschen mit Demenz gearbeitet wird. Ob das irgendeinen Sinn macht, ob das etwas trainiert, effektiv ist, viele MmD dabei aktiv sind oder den Hauptteil eigentlich die Betreuungskraft produziert – zweitrangig. Die Pappdeko ist für die Angehörigen und Besucher der Einrichtung gut sichtbar. Das zählt.

Betreuungskräfte berichten mir von unterschwellige Kritik durch Pflegende – dabei ist gerade die Pflege in der Versorgung von Menschen das gleiche gewohnt: gut ist, wer morgens die meisten Patienten „fertig macht“; spitze wer es täglich schafft alle zu rasieren und eine komplette Mundhygiene durchzuführen (egal welche Mittel er dafür anwenden muss). „Bei Y lässt Herr Meier das problemlos zu.“, lautet dann der Satz oder z.B. „Gestern hat Frau Müller im Spätdienst mehr getrunken…“.

Gespräch rein – Druck raus

Es tun sich mehrere Probleme auf in der Betreuung, die ich nicht alle in einen Artikel packen kann und auch nicht alle hier bearbeiten will. Dazu benötigt man mehr Zeit, aber auch das Gespräch, das gemeinsame Treffen. Insgesamt wird Betreuung sicher nicht immer wirklich zielgerichtet eingesetzt in der Versorgung von Menschen mit Demenz einerseits. Andererseits bin ich auch hier für einen offenen Umgang miteinander – auch in der Kritik. Es kommt nämlich durchaus vor, dass Betreuungskräfte (ebenso wie Pflegende) das Gefühl haben, sie könnten (hart) kritisiert werden, wenn X oder Y nicht gelingt. Und zwar ohne, dass diese Kritik jemals tatsächlich von Dritten geäußert oder auch nur angedeutet wurde. Jedoch ist auch selbstaufgebauter Erfolgsdruck in der Arbeit mit Menschen mit Demenz wenig hilfreich – und kann durch ein offenes Gespräch ebenso wie entsprechende Absprachen gemindert werden. Die Versorgung von Patienten mit Demenz ist für alle Beteiligten eine Herausforderung. Und sie erfordert Zusammenarbeit. Es hilft, wenn alle die daran mitwirken sich gelegentlich das gemeinsame Ziel ins Gedächtnis rufen: unter den gegebenen Umständen das bestmachbare für die Betroffenen zu erreichen.

Jochen Gust

Hier habe ich mir auch Betreuungsmaterialen angeschaut*. Wenn Sie einen Vorschlag haben für etwas, was sich in Ihrem Betreuungsalltag bewährt hat, schreiben Sie es gerne in einen Kommentar.

Fotos: Titelbild Matthias Zomer (pexels); Frau zwischen Bäumen: Baurzhan Kadylzhanov (pexels);

*Auf dieser Webseite / in einzelnen Artikeln sind bei einigen Links zu Produkten – Büchern z.B., sog. Amazon-Affiliate-Links gesetzt. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen: für den Käufer ändert sich nicht, jedoch bekomme ich eine kleine Werbekostenerstattung.

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