Delirmanagement im Krankenhaus – über den Tellerrand hinaus

Hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS), Durchgangssyndrom, akuter Verwirrtheitszustand, postoperative kognitive Dysfunktion – all das sind veraltete Bezeichnungen für einen besonderen Zustand: das Delir. Die heutige Buchvorstellung dreht sich darum, genauer gesagt, um das Delirmanagement im Krankenhaus.

Risiken und Prävention

Ein Delir ist ein Notfall, denn sowohl Ursachen als auch Folgen sind potentiell tödlich. Menschen mit Demenz haben ein besonders hohes Risiko, ein Delir zu erleiden. Die Folgen können u.a. starke und vor allen Dingen anhaltende Verschlechterungen der kognitiven Leistungsfähigkeit sein. Das Buch von Thomas Duning, Christopher Göpel, Janina Santos Cid und weiteren Autor*innen* ist bei schlütersche erschienen (2021), umfasst 248 Seiten, unterteilt in 10 Hauptkapitel.

Buchaufbau (verk. Angabe; ohne Unterkapitel)

  • Relevanz des Themas
  • Kognitive Störungen und Demenzerkrankungen
  • Multiprofessionelles Delirmanagement
  • Pharmakotherapie
  • Konzept d. Universitätsklinikums Münster
  • Personenzentrierte Grundhaltung im Umgang mit Demenz und Delir im Krankenhaus
  • Konzept der Angehörigenberatung
  • Der Besuchsdienst als Delirprävention
  • Sozioökonomische Relevanz
  • Blick in die Zukunft

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Demenz und Delir

Die Einführung via Definition und Erklärungen zum Thema Demenz und deliranten Zuständen beinhaltet auch die Beschreibung (und Konsequenz) aus der Diagnostik. Die notwendigen Schritte und Interpretation der Befunde werden gut beschrieben und anschaulich mit Grafiken und Tabellen unterstützt.

Ab Seite 66 werden die spezifisch notwendigen Maßnahmen im Krankenhaus zur Begleitung von delirgefährdeten Patienten beschrieben. Richtigerweise wird auf die bezugschaffende Maßnahmen und personelle Kontinuität sowie Aktivierung und Orientierung wert gelegt, ebenso wie auf die Erfassung patientenindividueller Bedürfnisse.

Assessment und personenzentrierte Pflege

Verschiedene Assessments werden vorgestellt, u.a. Geriatrische Depressionsskala (GDS), der Mini-Mental-Status-Test (MMST / MMSE) und weitere. Etwas dünn ist das Delirscreening geraten,  mit lediglich CAM (und CAMICU) sowie Delirium Rating Scale Revised (DRS-R-98). Im Kapitel des Medizinischen Delirmanagement geht es um das Delirmanagment an sich, welches nicht nur auf Prävention zielt, sondern auch Maßnahmen vorstellt für den Fall eines manifesten Delirs. Für Demenzbeauftragte ist das Schema des Delirmanagements der UK Münster hier interessant, da es übersichtlich das in vielen Krankenhäusern fehlende notwendige strukturierte Vorgehen darlegt. Viel zu oft ist es für betroffene Patienten und ihre Angehörigen im Krankenhaus in Deutschland immer noch Glückssache, ob und wie mit dem Thema Delir zielführend umgegangen wird. Dieses Kapitel hätte gerne noch ausführlicher sein dürfen.

Eher kürzer hätte der Teil des Buchs ab der Seite 121 sein dürfen: hier ist es mir stellenweise zu selbstbezüglich für bzw. über das Universitätsklinikum Münster einerseits, andererseits wird es zum Teil sehr allgemein bzw. grundsätzlich, wenn es um Gesprächsführung nach Carl Rogers (ab S. 133) oder um den personenzentrierten Ansatz nach Kitwood* (ab S. 137) geht: das brauchen Pflegefachleute und Demenzprofis eher nicht zum tausendsten Mal bzw. nicht in einem Buch dieses Titels in dem Umfang. Enger am Thema Delir zu bleiben wäre besser gewesen, allerdings finden sich gute Einschübe die für das Thema Delir im Krankenhaus nochmals sensibilisieren, wenn es z.B. um die „Krankenhausumgebung als Faktor für herausforderndes Verhalten“ geht (S. 154). Langweilig wird’s ggfs. für Pflegeprofis, wenn ihnen z.B. auf S. 173 das (vereinfachte) 4-Ohren-Modell nach Schulz von Thun vorgelegt wird – da fragt man sich schon, ob sich das Buch an ausgebildete Fachkräfte richtet? Auch die Seiten über 10-Minuten-Aktivierung, natürlich auch Validation und Berührungseinheiten nach einem Sondersuperspezialkonzept – in einem Buch zum Thema Delirmanagement alles andere als zwingend. In einem Fachbuch diesen Titels in dem Umfang für mich sogar eher Platzhalter, da im Wesentlichen absolute „Basics“ dargestellt werden und die Autor*innen durchaus inhaltlich etwas mehr hätten wagen können und bieten dürfen. Zumindest für (Altenpflege)Profis: höchstens Standardwissen in der Mitte des letzten Buchdrittels.

Rolle der Ehrenamtlichen, Kosten und Blick in die Zukunft

Ehrenamtliche Arbeit kann auch im Krankenhaus viel beitragen, ist gar nicht wichtig genug einzuschätzen. Zurecht befasst sich daher auch dieses Buch damit. Ein Delir zu managen, Veränderungen festzustellen und entsprechend zu handeln ist eine Herausforderung für jede Klinik, jedes Pflegeheim und jeden ambulanten Dienst. Allerdings darf kein Konzept darauf beruhen, Kontinuität und Intensität sowie das professionelle Handeln an Ehrenamtliche (Laien!) auszulagern. Vielmehr muss an allen Ecken und Ende dafür gestritten werden, die notwendige Zeit dafür zu erkämpfen, statt kurzgeschulten, netten und engagierten Mitmenschen diese wichtigen Aufgaben zu übertragen. Da Ehrenamtliche Begleitung benötigen und gerade beim Thema Delir sehr gezielt eingesetzt werden müssen, ist dieser Abschnitt zum Handling auch in einem Delirmanagement-Buch kein Fehler.

Sehr interessant, auch für versierte Demenzbeauftragte, sind wieder die Erläuterungen wenn es um die Kosten geht. Weil genau hier der Kampf um eine gute, optimale Versorgung von Patienten mit Demenz und Delir geführt werden muss. Entsprechende Zahlen zu ermitteln – und hier zeigt das Buch Möglichkeiten auf, ist von enormer Bedeutung: sehr gut und sehr wichtig.

Der angegebene „Blick in die Zukunft“ umfasst wenige Seiten am Schluss des Buches und ist einerseits sehr allgemein gehalten und andererseits mehr oder minder „werblich“ für das Universitätsklinikum –  ohne diesem Kapitel hätte dem Buch nichts gefehlt.

Mein Fazit

Kaufempfehlung mit Einschränkung: die interessanten Teile des Buchs für spezialisierte Pflegefachleute z.B. aus der Geriatrie, Demenzbeauftragte und engagierte Altenpflegeprofis liegen einerseits in der Gestaltung der ersten 4 Kapitel, die sehr eingängig und praxisrelevant sind. Gut aufbereitet und dargestellt, vielleicht nicht stets neu, aber stets wissenswert. Andererseits fällt das Niveau bzw. der angebotene Erkenntnisgewinn des Buchs anschließend deutlich ab und dürfte bis auf einige Ausnahmeseiten erst wieder in Kapitel 9 so richtig gegeben sein. Grund ist, dass über weite Strecken zuviel „Pflegebasiswissen“, sozusagen Grundschule, aufbereitet wird.

Für Auszubildende und all jene, die sich erstmalig intensiver mit dem Thema Delir auseinandersetzen möchten oder müssen, oder neu sind in der Position eines / einer Demenzbeauftragten ist das Buch dennoch ein guter Tipp*. Insbesondere wegen der gelungen Darstellung, aber auch den praktischen Hinweisen zur Umsetzung bietet es gute Informationen und kann einige Ideen liefern, welche Felder beackert werden müssen in der Klinik. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Pflegeprofis im Krankenhaus die sonst eher nicht so sehr am Thema Demenz oder Delir interessiert waren oder aufgrund ihres Arbeitsbereiches nicht weiter damit konfrontiert, hier durchaus viel herausziehen können. Auch diesen Kolleginnen und Kollegen sei das Buch empfohlen.

Eine Alternative zum hier vorgestellten Buch ist „Akute Verwirrtheit – Delir im Alter. Praxishandbuch für Pflegende und Mediziner“*. Hier würde ich mich allerdings über eine neue Auflage / Edition freuen, da die letzte aus 2009 ist meines Wissens.  

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Jochen Gust

In dieser Vorstellung: Delirmanagement im Krankenhaus: Risiken erkennen und präventiv handeln. Das demenzsensible Konzept des Universitätsklinikums Münster Gebundene Ausgabe – 30. April 2021; von Thomas Duning (Autor), Christoph Göpel (Autor), Janina Santos Cid (Autor); ‎ 248 Seiten; ISBN-10: ‎ 3842608462; 39,95€.

Weitere Buchvorstellungen finden Sie hier im Blog, z.B. „Dement, aber nicht vergessen“ von Michael Schmieder oder Grundlagen zu Diagnostik und Therapie bei Alzheimer und Demenz von Prof. Förstl.

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Titelfoto original: Tima Miroshnichenko on pexels

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