Schmerz und Demenz

Schmerzen bei Menschen mit Demenz zu erkennen, kann schwierig sein. Auch gibt es Hinweise, dass Betroffene schmerztherapeutisch versorgt sind, als Menschen ohne Demenz. Verhaltensänderungen deren Ursache in Schmerzen liegen werden mitunter mit Neuroleptika begegnet, die Menschen mit Demenz hierzulande ohnehin in einem Übermaß erhalten.

Schmerzen erkennen

Wer Schmerzen hat, wird normalerweise etwas dagegen unternehmen.  Je nach Art und Ursache greifen Menschen zu Hausmittelchen, nehmen Schmerzmittel und oder wenden sich im Zweifelsfall an einen Arzt. Bei fortgeschrittener Demenz haben Betroffene all diese Möglichkeiten in der Regel nicht mehr bzw. können nicht selbständig zu diesen Maßnahmen greifen. Für Dritte kann es ausgesprochen schwer sein, überhaupt zu erkennen, dass Betroffene Schmerzen haben.

Gründe dafür liegen u.a.

  • in den zurückgehenden sprachlichen Fähigkeiten Betroffener bis hin zu Einwortsätzen oder dem völligen Verstummen
  • den nachlassenden Fähigkeiten Körpersignale zu deuten und oder zu lokalisieren
  • die (anerzogene) Neigung älterer Menschen, Dritten Schmerzen nicht mitzuteilen

Signale richtig deuten

Ein weiteres Problem ist, dass eine Demenz an sich nicht schmerzhaft ist – aber Betroffene eine Reihe weitere Erkrankungen oder Zustände haben können, die Schmerzen verursachen. Da die Demenz in jeder Betrachtung, z.B. bei Verhaltensänderungen, im Vordergrund steht, wird an Schmerzen als Ursache gar nicht mehr gedacht.

Beispiel: Frau D. hat bereits vor 5 Jahren die Diagnose Alzheimer erhalten. Sie spricht schon lange nicht mehr bzw. was sie sagt, ist nicht mehr zu verstehen. In den letzten Tagen läuft die sonst so ruhige alte Dame auf den Fluren des Pflegeheimes hin und her, wirkt unruhig und zunehmend gereizt und abwehrend den Mitarbeitenden gegenüber. Mit dem behandelnden Hausarzt kommt man überein, die Dame mit Risperidon zu versorgen, um die demenzbedingte zunehmende Unruhe zu dämpfen. Eigentlich hat Frau D. Zahnschmerzen…..

Schmerzen erkennen bei Demenz

Viele Schmerzskalen arbeiten mit Selbstauskünften die entweder auf Bildern, Grafiken oder Texten / Zahlen aufbauen. Grundsätzlich gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Demenz: die Eigenauskunft hat Vorrang und das höhere Gewicht. Jemand der angibt Schmerzen zu haben, ist immer ernst zu nehmen.

Mittlerweile gibt es auch mehrere standardisierte Verfahren, um Schmerzen trotz Demenz zu erkennen. Leider sind sie längst nicht überall etabliert.

BESD-Skala (Beurteilung von Schmerz bei Demenz)

Als pdf-Datei z.B. hier oder hier erhältlich. Eine Anleitung findet sich hier.  

BISAD-Skala

Ähnlich wie die BESD-Skala, umfasst allerdings auch die Veränderungen in der Beweglichkeit und im Sozialverhalten des Patienten. Als pdf-Datei z.B. hier erhältlich oder auch hier und hier eine Info dazu.

Serial Trial Intervention (STI)

Weniger eine Skala, denn eine Vorgehensweise kann man etwas hier oder hier dazu finden.

Es gibt eine ganze Reihe weiterer Assessments zu Schmerzen, z.B. ZOPA. Pflegefachleute sollten auch unbedingt den Expertenstandard Schmerzmanagement zu Grunde legen, um ein strukturiertes Vorgehen hinsichtlich der Beachtung und Überprüfung von Schmerzen bei Menschen mit Demenz zu etablieren. Im Idealfall steht eine spezialisierte Pain Nurse einem Pflegeteam zur Seite.

Für pflegende Angehörige hat auch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Informationen sowie der Wegweiser Demenz des BMFSFJ.

Jochen Gust

Titelfoto: Andrea Piacquadio

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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