Kürzlich hatte ich eine Diskussion über den richtigen Umgang, genauer gesagt die korrekte Ansprache eines Menschen mit Demenz. Es ging um eine stadiengerechte Kommunikation, im Wesentlichen darum wie man sich dem Betroffenen verständlichen machen könne. Von einigen Pflegenden seiner Umgebung wird der Herr geduzt. Das war nur ein Teilaspekt des Gesprächs – aber ich machte deutlich, dass mir das nicht gefiel. Das brachte mein Gegenüber regelrecht in Rage.
Er vertrat die Auffassung, dass es „neuesten Erkenntnissen“ geschuldet ist, Pflegebedürftige mit Demenz zu duzen. Im Falle des Betroffenen um den es ging, sei dieser anders auch nicht mehr erreichbar, verstünde gar nicht, dass er gemeint sei.
Du und Deine Demenz
Das ist die häufigste Begründung, die Pflege- oder Betreuungskräfte anführen, wenn es um das „Du“ geht im Kontakt mit Menschen mit Demenz: er / sie verstünde anders nicht, dass sie gemeint seien.
Ich kann regelmäßig ansatzlos dann vorführen, dass dies einfach nicht stimmt. Zum Beispiel, in dem ich den Betroffenen sieze und Vor- und Zunamen verwende. Selbst wenn ich den Vornamen verwende, kann ich ihn trotzdem siezen. Und er reagiert, versteht, zeigt deshalb keine Anzeichen von Abneigung, Verwirrung oder Ablehnung.
Wie wir uns ansprechen ist durch die örtliche / zeitliche kulturelle Norm geprägt. Diese gilt es auch Menschen mit Demenz gegenüber einzuhalten. Das wissen auch die Duzer, weshalb sie mehr oder minder schlüssige Begründungen erfinden müssen, warum ausgerechnet Menschen mit Demenz automatisch geduzt werden dürfen, ja müssen.
Das Du ist ein Öffner
Jemanden zu Duzen in der professionellen Versorgung von Menschen mit Demenz ist manchmal nötig und angemessen. Es ist aber eine einzelfallbezogene Entscheidung, die da getroffen werden muss. Es gibt keine automatische Erlaubnis dazu, Kraft der Diagnose Demenz. Selbstverständlich kann und ist es auch situativ richtig, ein Gegenüber zu duzen – eben dann, wenn dieser nur dadurch wirklich erreichbar wird, Verständnis erfährt, dies ihm im Kontakt nützt, ein positives Signal setzt, das eine Hürde oder Barriere überwindet. Und vor allem: es gewünscht ist. Das kann fachlich angemessen sein.
Ich wende mich aber eindeutig und klar gegen ein pauschales, generelles Duzen von Menschen mit Demenz in der professionellen Arbeit mit ihnen. Hier. Es führt in meinen Augen sehr oft zu einer Verschiebung von Grenzen, zur Verletzung von Umgangsnormen. Schnell wird aus „Hiltrud“ dann auch ein „Nun stell` Dich nicht so an.“, ein „Komm, ein Löffelchen isst Du noch.“ oder ein „Ich bring Dich mal zum Klöchen.“. Dann gibt’s auch wieder Lätzchen zum Essen. Weitere herabwürdigende Handlungen und Sätze sind dann meist auch nicht mehr weit.
Prüfen wer sich ewig duzt
Gerade kämpfenden Pflegefachleute an vielen Fronten auch dafür, nicht mehr „Schwester“ genannt zu werden und stellen sich (endlich!) konsequent mit Nachnamen vor. Das hat auch mit ihrer berechtigten Forderung nach Respekt und Anerkennung ihrer Tätigkeit zu tun. Respekt fordern ohne ihn zu bieten ist immer problematisch: funktioniert nicht.
Vielfach werden Menschen mit Demenz in abhängigen Beziehungen („Ich weiß was gut für DICH ist!“) ansatz- und begründungslos geduzt. Eine allgemeingültige Erlaubnis dazu gibt es meiner Erkenntnis nach nicht in unseren Breitengraden. Vielmehr sollten sich die Automatikduzer fragen, woher ihr Bedürfnis nach so viel Nähe zum Pflegebedürftigen kommt. Weshalb es ihnen schwerfällt professionelle Distanz zu wahren und wo sie die Grenze ziehen. Denn „besser erreichbar“ heißt häufig lediglich, es sich einfacher zu machen, seiner Abstumpfung nachzugeben – oder ganz besonders „lieb“ sein zu wollen.
Menschen mit Demenz haben Anspruch auf eine professionelle, angemessene Versorgung. Dazu gehört auch die Beziehungsgestaltung. Ein angemessene Kommunikations- und Kontaktverhalten. „Du“ ist dafür nicht nur keine Voraussetzung. Oftmals beobachte ich eher, dass die Anrede ein Hinderungsgrund ist. Persönlich habe ich übrigens auch regelmäßig Kontakt mit Menschen, mit denen ich sehr vertrauensvoll sprechen und zusammenarbeiten kann. Mit „Sie“. Und hoffe, ich werde mir auch im Alter Respekt verschaffen können, falls es jemand daran Mangeln lässt. Oder Pflegeprofis um mich haben, die mich notfalls vor solchen Übergriffen schützen.
Jochen Gust
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