Pflegebevollmächtigter A. Westerfellhaus: Projekt zur Beratung von Führungskräften in der Pflege (GAP) für bessere Arbeitsbedingungen

Andreas Westerfellhaus ist Staatsekretär und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung. In seiner Pressemitteilung vom 28.12.2020 teilte er mit, im Januar 2021 ein neues Projekt für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu starten: GAP – „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf“. Auch z.B. die FAZ berichtete.

Externe Berater sollen dabei Führungskräfte in der Pflege schulen, um zu besseren Arbeitsbedingungen beizutragen. Mit der Beratung und Schulung wurde die Firma BQS betraut. Zum Projekt hat Andreas Westerfellhaus mir einige Fragen beantwortet:

Andreas Westerfellhaus; Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung
Fotograf: Holger Gross


Jochen Gust: Herr Westerfellhaus, sind mangelnde Führungsfähigkeiten oder -qualitäten aus Ihrer Sicht ein zentrales Problem der Altenhilfe?

Andreas Westerfellhaus: Es gibt viele Einrichtungen, die keine Probleme haben Mitarbeiter zu finden und zu halten. Bei anderen herrscht eine ständige Fluktuation und ein Mangel an Personal. Das hat oft etwas mit dem Management und der Führung eines Unternehmens zu tun. Das zentrale Problem für den Pflegefachkräftemangel sind ja nun einmal die Arbeitsbedingungen. Wenn die Personaldecke dünn ist, Mehrarbeit, Überstunden und Rückrufe aus dem Frei alltäglich sind, ist dies kaum attraktiv für die Beschäftigten. Und wenn es dann dem Management nicht gelingt gegenzusteuern, darf man sich nicht wundern, dass Pflegekräfte aus Eigenschutz ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz aus dem Beruf rausgehen. Das verschärft natürlich die Personalproblematik in der Pflege und wirft das „Henne-Ei“-Problem auf: Braucht es zuerst mehr Personal oder bessere Arbeitsbedingungen? Für beides hat die Politik bereits Antworten mit diversen Programmen geliefert. Und trotzdem scheint es für viele Führungskräfte zu schwierig, sich darum im laufenden Betrieb zu kümmern. Wie man es schafft, diesen Knoten zu durchschlagen, habe ich 2019 in dem Pilotprojekt zur Umsetzung guter Arbeitsbedingungen in der Pflege untersuchen lassen. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben, nachdem durch eine Bestandsanalyse Handlungsfelder identifiziert, spezifische Instrumente empfohlen und Führungskräfte entsprechend geschult wurden. Den größten Nutzen zogen die Einrichtungen dann aus der professionellen Umsetzungsbegleitung externer Berater vor Ort. Die positiven Ergebnisse der externen Evaluation haben mich dazu veranlasst, das Projekt im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege bundesweit auszurollen.

Jochen Gust: Wie sieht die konkrete Beratung für die Führungskräfte aus, was soll vermittelt werden?

Andreas Westerfellhaus: Im Pilotprojekt wurden einrichtungsindividuelle Bedarfsanalysen durchgeführt. Sie erlaubten es, die tatsächlichen Gegebenheiten, die Wahrnehmung der Führungskräfte und die Sicht der Mitarbeitenden zu differenzieren und so die Ist-Situation der konkreten Pflegeeinrichtung aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren. Anschließend fanden zur Anwendung der Instrumente Schulungen der Führungskräfte in Kleingruppen statt. Dabei wurden einzelne Instrumente vorgestellt, der Umgang mit dem Instrumentenkoffer geschult und anhand von Beispielleitfäden sowie Gruppendiskussionen geübt. Am Ende des Schulungstages wurden den Einrichtungen die Ergebnisse der jeweiligen Bedarfsanalyse mitgeteilt und bis zu 6 passenden Leitfäden empfohlen. Am häufigsten waren dies übrigens der Leitfaden zur Kommunikation mit den Beschäftigten, die Erfolgskommunikation und zur Personalgewinnung. Die konkrete Umsetzung musste dann jede Leitungskraft selbst in Ihrer Pflegeeinrichtung verantworten. Unterstützt wurden sie an drei Vor-Ort Beratertagen. Die Berater waren selbst hochqualifizierte Pflegefachkräfte mit langjähriger Führungserfahrung und Beraterqualifikationen und konnten auf die typischen Umsetzungsprobleme und Fragen mit Tipps und individuellem Coaching die Leitungskräfte unterstützen. Da alle Führungskräfte einen unterschiedlichen Bildungs- und Erfahrungshintergrund hatten, mussten in vielen Einrichtungen signifikante Teile der Vor-Ort-Beratung für die Sensibilisierung der Führungskraft und eine Einführung ins Thema aufgewendet werden. Dabei stand die Befähigung der Führungskraft, Veränderungsprozesse zu gestalten, im Vordergrund. Diese wurde in vielen Beratungstagen durch intensive Reflexionsgespräche ergänzt, die bei gut ausgebildeten und erfahrenen Führungskräften nur in geringem Umfang notwendig waren. Pflegequalifikationen der Berater und das Anbringen von praxisnahen Beispielen bzw. „best-practice“ Erfahrungen haben dabei eine motivierende Arbeitsatmosphäre für die Führungskräfte geschaffen, die in einer hohen Effizienz der Umsetzungsprozesse mündete.

Jochen Gust: Wo können sich Einrichtungen und ambulante Dienste bewerben und nach welchen Kriterien werden oder wurden diese von wem ausgesucht?

Andreas Westerfellhaus: Das Nachfolge-Projekt „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf (GAP)“startet zunächst damit, ein Projektbüro als Ansprechpartner für alle 30.000 Pflegeeinrichtungen zu etablieren. Eine eigene Webseite wird aufgebaut, um über die Projektaktivitäten zu informieren. Zudem müssen Schulungskapazitäten geschaffen, externe Berater qualifiziert und die Leitfäden aus dem Pilotprojekt aktualisiert und vervollständigt werden. Grundsätzlich wird die Akquise und Kommunikation über das Projektbüro laufen, sobald dieses arbeitsfähig ist. Unsere selbstgesteckte Zielmarke ist die Zahl von mindestens 750 ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, die bis Ende 2023 aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen sollen. Vorrangig richtet sich unser Angebot jedoch an kleine und mittelständige Pflegeeinrichtungen. Vorgesehen ist, alle Pflegeeinrichtungen noch im ersten Quartal über das Projekt zu informieren.

Jochen Gust: Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Wie hoch ist das Budget für das Projekt und erwarten Sie Verzögerungen bei der Durchführung aufgrund der Corona-Pandemie?

Andreas Westerfellhaus: Tja, die Corona-Pandemie kann uns natürlich einen Strich durch die Rechnung machen. Allerdings höre ich voller Sorge, dass viele Pflegekräfte am Ende ihrer Kräfte und einige fest entschlossen sind, nach der Pandemie aus dem Beruf auszusteigen. Um das zu verhindern, müssen wir also gerade jetzt ein Zeichen setzen und zeigen, dass wir ernsthaft an besseren Arbeitsbedingungen arbeiten. Da es projektbedingt einen Vorlauf von ca. sechs Monaten braucht, bevor die ersten Einrichtungen teilnehmen können, hoffe ich außerdem, dass wir mit Blick auf die Pandemie aus dem Gröbsten raus sind und vielleicht wieder so etwas wie Normalität eingekehrt ist.

Zur Frage der Projektfinanzierung ist diese zweigeteilt: Aus den Mitteln des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung werden in den Jahren 2019 bis 2024 jährlich bis zu 100 Mio. Euro bereitgestellt, um Maßnahmen der Pflegeeinrichtungen zu fördern, die das Ziel haben, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf für ihre in der Pflege tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verbessern. Das Projekt „GAP“ ist so angelegt, dass diese Bundesfördermittel genutzt werden können. Für die dreijährige Projektdurchführung stelle ich darüber hinaus eigene Projektmittel bereit.

Jochen Gust: Pflegefachfrauen und -männer kritisieren, dass zuerst die massiven personellen Probleme gelöst werden müssten, statt Geld für Berater auszugeben. Was entgegnen Sie dem?

Andreas Westerfellhaus: Die Konzertierte Aktion Pflege hat gezeigt, dass es viele Baustellen zur Bekämpfung des Pflegefachkräftemangels gibt, die im Grunde gleichzeitig angepackt werden müssen. So steht auch die Einführung eines verbindlichen Personalbemessungssystems, das zu einem deutlichen Personalaufwuchs führen wird, auf der Agenda. Damit verbunden ist die Neujustierung der interprofessionellen Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe, Veränderungen der landesrechtlichen Fachkraftquoten, der Einsatz akademisierter Pflegepersonen sowie ein zielgerichteter Technikeinsatz zur Entbürokratisierung und Entlastung der Pflegekräfte. Auch die neue Pflegeausbildung oder die leichtere Anwerbung und Anerkennung ausländischer Pflegefachkräfte sind wichtige Maßnahmen, die ineinandergreifen müssen, um zu spürbar besseren Arbeitsbedingungen zu führen. Mein Projekt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist ein kleiner Baustein auf diesem Weg.

Jochen Gust

Foto: Pflegebevollmächtigter Holger Gross

Titelfoto: Tetiana SHYSHKINA on Unspl

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