Das Bundesarbeitsgericht hat geurteilt (Az. 5 AZR 505/20): auch auf dem sog. „grauen Pflegemarkt“ muss Mindestlohn für die Beschäftigten bezahlt werden. Verdi vertrat dankenswerter Weise die Interessen einer Bulgarin, die eine Seniorin sieben Tage die Woche betreute.
Der Aufschrei ist groß, sieht man in Teilen doch die häusliche Versorgung gefährdet. Und es ist richtig: die Mehrzahl der Pflege- und Betreuungsbedürftigen wird in der eigenen Häuslichkeit versorgt. Angehörige die sich Mühen diese Versorgung sicherzustellen, benötigen hierfür Unterstützung. Fachliche wie niedrigschwellige.
Ein Markt mit vielen Unbekannten
Um wie viele Personen es genau geht die auf dem grauen Pflegemarkt tätig sind, weiß niemand so genau – auch deshalb, weil viele Arbeitsverhältnisse in dem Bereich schlicht illegal laufen. Ob das Urteil des BAG letztlich dazu führt, dass der graue Pflegemarkt schrumpft ist auch noch lange nicht ausgemacht. Möglicherweise wird es eine Reihe neuer Geschäftsmodelle geben, vielleicht die Scheinselbständigkeit wachsen.
Das Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts ist jedenfalls zu begrüßen. Wenn wir in Deutschland häusliche Versorgung schlecht organisieren berechtigt dies eben niemanden, die Mängel durch sklavereiartige „Arbeitsverhältnisse“ zu kompensieren, die via einer modernen Sonderform des Menschenhandels organisiert werden.
Wenn der Bundesarbeitsminister nun das Urteil begrüßt muss auch er sich fragen lassen, was er unternommen hat um solche Verhältnisse zu unterbinden. Warum braucht es erst eine Gewerkschaft, die diese Menschen in Deutschland vor Ausbeutung schützt und für eine Ausurteilung sorgt?
Hauptsache billig
Gerade bei jenen die nun sehr laut aufschreien: Niemand nimmt Ihnen Ihre „gute Perle“ weg. Sie muss aber den Mindestlohn erhalten und angemessene Arbeitsbedingungen vorfinden. Das kann auch nicht zuviel verlangt sein in der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt. Pflege – und Betreuungsleistungen haben offenbar für viele Mitbürger*innen den gleichen Status wie Kinderarbeit für Kleidung oder die Knochenjobs in der Fleischindustrie: Hauptsache billig oder wer anders kommt für die tatsächlichen Kosten auf. Man denke nur an den Aufschrei der brutal gebeutelten Kinderlosen anlässlich des letzten Reförmchens von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn….
Das Ausbluten der professionellen Pflege, der Zusammenbruch ganzer Familien unter den Belastungen und das Leid der Pflegebedürftigen – es wird schlimmer und härter werden. Das Urteil sollte Politiker*innen reihenweise beschämen und oder wachmachen. Dass es das nicht wird – daran kann auch das Bundesarbeitsgericht nichts ändern.
Jochen Gust
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