"Überzeugungsarbeit durch Vorbildwirkung und viel Geduld ist wichtig. "

„Klinikum Görlitz ist demenzfreundliches Krankenhaus“ – so titelte kürzlich die Lausitzer Rundschau. In einem Krankenhaus ein Umfeld zu schaffen und eine Arbeitsweise zu etablieren, die Menschen mit Demenz gerecht(er) wird ist keine leichte Aufgabe. (Nicht nur) Demenzbeauftragte wissen das.

Mechthild Guthke ist die Demenzkoordinatorin des Klinikum Görlitz. Für www.demenz-im-krankenhaus.de hat Sie sich die Zeit genommen, drei Fragen über Ihre Arbeit und den Weg zum demenzfreundlichen Krankenhaus zu beantworten:

Mechthild Guthke: Demenzkoordinatorin in Görlitz.

Jochen Gust: Frau Guthke, Sie sind seit 2016 Koordinatorin für Menschen mit Demenz im Städtischen Klinikum Görlitz. Wie kam es dazu und wo ist Ihre Stelle hierarchisch zu verorten?

Mechthild Guthke: Ich arbeite seit 2006 im Städtischen Klinikum Görlitz. Es ist ein Schwerpunktrankenhaus mit 600 Betten. Zuvor war ich in einem Krankenhaus im Südharz tätig. Anfangs war ich in Görlitz in der Funktionsabteilung beschäftigt, seit 2010 arbeitete ich als Praxisanleiterin. Die Pflegedirektorin Birgit Bieder ist meine Vorgesetzte. Im Jahr 2013 wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte ein Konzept zur „Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Demenz im Klinikum Görlitz“ zu entwickeln, da wir im Arbeitsalltag in den Kliniken und auf den Stationen immer häufiger mit demenziell veränderte Menschen zu tun hatten. Wir erarbeiteten gemeinsam eine Strategie für das Klinikum. Die nächsten Jahre waren mit Weiterbildungen, Informationen und Ideen sammeln, dem Knüpfen neuer Kontakte (APH, Selbsthilfegruppe, Gesundheitsamt, Landesinitiative Dresden usw.) und meinen Aufgaben als Praxisanleiterin ausgelastet. Auf Grund des Umfangs all dieser Aufgaben entschied sich das Unternehmen im Jahr 2016 eine extra Stelle zu schaffen. Ich bewarb mich und erhielt die Stelle als Demenzkoordinatorin.
Auf Grund der Größe des Hauses brauchten wir Mitstreiter. Also begannen wir damit, Demenzbeauftragte*r ( DB ) zu werben und zu schulen. Anfänglich starteten wir mit 12 DB mittlerweile sind es 34 Mitarbeiter in den verschiedenen Fachbereichen. Dies ist eine zusätzliche Aufgabe für die Angestellten in den verschieden Bereichen.

Jochen Gust: Aus meiner Berufserfahrung heraus kann ich sagen, dass das Thema Demenz längst nicht immer sehr beliebt ist unter Krankenhausmitarbeitern. Auf welche Widerstände sind Sie gestoßen – und was half bei deren Überwindung?

Mechthild Guthke: Sie haben Recht. Natürlich kam das Thema nicht bei jedem gleich gut an und es gibt Widerstand. Der Weg ist vergleichbar mit einer anspruchsvollen Bergtour, wo Trittsicherheit und Kondition abverlangt werden, die man unter Umständen nicht gewohnt sind. Da waren die Stationsleitungen und die Demenzbeauftragen gefragt, mir dabei behilflich zu sein. Die Sensibilisierung für das Thema ging somit auch schneller in die Teams. Von Anfang an gab es auch Weiterbildungen zu dieser Thematik. Themen wie:
• Medizinische Grundlagen Demenz (MmD)
• Verständigung mit Menschen bei Demenz + Validationsweiterbildung (IVA)
• Beschäftigung/Umgebungsgestaltung im Klinikalltag für Menschen mit Demenz
• Veränderungen des Ess- und Trinkverhaltens bei Demenz
• Angehörige von MmD
• Delir und Demenz

werden fortführend seit Jahren angeboten. Aufnahmezahlen von MmD werden immer wieder aktuell transparent dargestellt.

Überzeugend ist, dass der Arbeitsalltag mit Patienten, die den Ortswechsel ins Krankenhaus nicht verkraften, schwierig ist. Die entsprechenden Auswirkungen sind für die meisten Mitarbeiter eine enorme zusätzliche Arbeitsbelastung in allen Fachbereichen. Hier konnte ich spürbar helfen.
Wir haben hier im Haus seit Jahren Mitarbeiter, die sich in verschiedenen Bereichen der Pflege spezialisiert haben. Das heißt, ein gewisses Vertrauen zu „gesonderten Aufgaben“ war bereits vorhanden und auch mich kannten die Teams schon, so dass diese Hürde nicht zu groß war. Es war auch täglich spürbar, dass in diesem Bereich ein Handlungsbedarf bestand und weiterhin ist. Problematisch war anfangs die Angst vor Stigmatisierung der Patienten. Viele glaubten, eine Identifizierung von Menschen mit Demenz wäre nicht gut. Doch je mehr Mitarbeiter auch aus den Bereichen Küche, Wachschutz und Patiententransport für das Thema sensibilisiert wurden, desto mehr wuchs das Verständnis für die Wichtigkeit dieser Idee. Eine umsichtige Identifizierung z.B. über das Patientenarmband hilft dabei, die Kommunikation anzupassen und Wartezeiten zu verkürzen.
Mittlerweile werden die verschiedenen Angebote sehr gut angenommen. Mitarbeiter einbeziehen, aus den Erfahrungen der betreuenden Einrichtungen und pflegenden Angehörigen schöpfen; Erleichterungen im Alltag durch schnell greifbare Beschäftigungsmöglichkeiten oder fixierte / variable Orientierungshilfen. Aber ein entscheidender Punkt ist die praxisnahe Weiterbildung mit hilfreichen Tipps für den Stationsalltag. Ich habe oft gesagt: „Belächelt mich erst, wenn es nicht funktioniert hat!“ Dann höre ich: „Das hätte ich nie glaubt, dass das hilft.“ Ich bin auch konsiliarisch abrufbar. Das habe ich mir gewünscht. In der Praxis zu bleiben bedeutet auch authentisch zu sein, bei dem was ich sage und tue.

„Mitarbeiter aller Berufsgruppen sind dabei unverzichtbar“

Jochen Gust: Was raten Sie jenen Kolleginnen und Kollegen, die eine solche Aufgabe angeboten bekommen? Welche Bedingungen müssen in Ihren Augen erfüllt sein, um ein Krankenhaus zu einer demenzfreundlichen Organisation führen zu können?

Mechthild Guthke: Wichtig ist, dass die Krankenhausleitung hinter dem Konzept steht. Die Pflegedienstleitung sollte daraus die Ideen entwickeln. Der verbesserte Umgang mit MmD im Krankenhaus bringt auch klare Vorteile für die Verwaltung – denn er spart Kosten und Zeit. Wir wissen alle mittlerweile, dass die Liegedauer des Krankenhausaufenthalts sich für MmD oft ungünstig verlängert. Die verbesserte Versorgung für MmD steht im Vordergrund, da sie prädestiniert sind für Komplikationen wohingegen ja die vorhandenen Ressourcen im Krankenhaus abnehmen.
Diese „Bergtour“ ist nicht ohne die entsprechende Unterstützung zu schaffen. Das Gute ist, dass die Schuhe über die Jahre in dem Beruf bereits eingelaufen worden sind und dass der Pflegebereich eine neue Wertigkeit erlangt hat. Das Wichtigste ist, dass man alles mit viel Herzblut, Empathie und Bauchgefühl macht. Kein Konzept hilft, wenn wir nicht ehrlich und authentisch bleiben und auch Grenzen in dem Bereich definieren. Mitarbeiter aller Berufsgruppen sind dabei unverzichtbar. Ärzte, Patiententransport, Stationshilfen und alle anderen haben ihre auf Aufgaben. Überzeugungsarbeit durch Vorbildwirkung und viel Geduld ist wichtig.
Ein Beispiel für den Anfang:
• Überzeugen Sie die Krankenhausleitung durch Fakten.
• Setzen Sie sich in einer kleinen Gruppe zusammen und beraten sie sich über das Thema
• Definieren Sie genau die Problematik im Alltag für Pflegekräfte und MmD.
• Sie benötigen Mitstreiter in der Peripherie. Die wiederum können helfen, den Handlungsbedarf genau zu bezeichnen und Probleme aufzudecken.
• Qualifizieren Sie einen Mitarbeiterin, welcher Schulungen praxisnah durchführen könnte.
Machen Sie die Zahlen transparent zu den Haupt- und Nebendiagnose Demenz in Ihrem Haus und werten Sie diese in der Gruppe aus. Danach kann der erste Fachbereich festgelegt werden, wo sie mit dem Projekt beginnen möchten.
• Machen Sie Fotos von Fluren, Aufgängen in dem ausgewählten Fachbereich usw. Sie werden schnell bemerken, dass MmD eine andere Umgebungsgestaltung benötigen. Erfahrungen z. b. der Altenpflegeheime sind wertvoll und tragen auch zu einer besseren Zusammenarbeit bei.
• Strukturieren Sie den Prozess in einem Jahresplan.
• Schreiben Sie einen Pflegestandard, damit die Mitarbeiter darauf zurückgreifen können.
• Bemühen Sie sich so bald wie möglich, um die Einbindung von Ehrenamtlichen und deren Schulung.
• Nutzen Sie Aromapflege. Das tut allen (noch nicht gleich), aber später gut.
Es wird nicht alles gleich funktionieren und perfekt sein – und um die Metapher noch einmal zu bedienen: Erwarten Sie nicht, das Gipfelkreuz in der nächsten Zeit zu erreichen. Freuen Sie sich auf die Dinge am Wegesrand und gönnen Sie sich eine Pause. Aber bleiben Sie dran und erfreuen Sie sich an den kleinen erreichten Zwischenzielen. In diesem Falle ist auch der Weg das Ziel.

Ich danke Frau Guthke für Ihre ausführlichen Antworten und wünsche ihr weiterhin viel Erfolg, Ideen und Unterstützung bei Ihrer so wichtigen Arbeit.

Jochen Gust

Fotos: Natalie Wittig;

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