Es ist ein Problem, dass jegliches Verhalten – auch plötzliche Verhaltensänderungen von Menschen mit Demenz, ebendieser automatisch zugeschrieben werden.
Das führt dazu, dass z.B. Schmerzen die Betroffene haben nicht oder verspätet adäquat behandelt werden. Auch beim Thema Delir besteht dieses Risiko für Menschen mit Demenz. Mit fatalen – mitunter tödlichen – Folgen.
Mehr Wissen senkt das Risiko
In Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten findet das Thema Delir nicht immer die entsprechende Beachtung. Ich schrieb schon einmal dazu. Auch die Rolle der Angehörigen, die bei einer solch akuten Zustandsveränderung nicht nur mit ihren Sorgen häufig relativ alleingelassen, sondern auch als Versorgungshilfen nicht eingebunden werden, wird in Zukunft aufgrund des Fachkräftemangels eine höhere Beachtung finden müssen. Demenzbeauftragte müssen die Thematik entsprechend aufgreifen und Prozesse und Systematiken entwickeln und anpassen. Dabei muss die Zielsetzung selbstverständlich darin bestehen, angemessene Abläufe und Reaktionen beim Verdacht auf ein Delir zu entwickeln und Mitarbeitende zu sensibilisieren.
Für mich besteht das Ziel häufig aber vor allem auch darin, nicht jede Verhaltensweise und schon gar nicht Verhaltensänderung von Patienten mit Demenz, gedanklich und tatsächlich auf die zugrundeliegende Demenz zurückzuführen. Vielmehr ist doch richtig: die Reaktion des Patienten auf einen akuten Umstand lässt sich vielfach auf seine Demenzerkrankung zurückführen: aber die Ursache nicht.
Alt und voller Arznei – die Magie der Geriatrie
Demenzerkrankungen sind bereits ein Risikofaktor an sich dafür, in einen deliranten Zustand zu geraten. Das Lebensalter, Flüssigkeitsmangel und Infektionen sind weitere. Medikamente spielen gerade bei Menschen mit Demenz eine zusätzliche, große Rolle. Insbesondere durch den Personalmangel verschärft, wird dem Verhalten Betroffener häufig mit Medikamenten begegnet, die das Risiko für ein Delir erhöhen können.
Das ist übrigens generell ein „Zauber der Geriatrie“, den ich nicht selten beobachten durfte und darf: Menschen werden völlig verwirrt ins Krankenhaus eingeliefert, oder im medikamentösen Dämmerschlaf. Die Geriaterin / der Geriater nimmt von aktuell 12 verordneten Mitteln erstmal die Hälfte raus – und, oh Wunder, der Patient wird klarer, wacher, ansprechbar.
Demenzbeauftragte: kein Erfolg ohne Anpassung
Wissen ist relativ zügig und einfach aufgebaut – Pflegeprofis sind (berufslebenslang) Lernende. Das Problem ist die Etablierung im betrieblichen Alltag. Wie sollen systematisch delirante Zustände bei Menschen mit Demenz erkannt? Und zwar auch dann, wenn die Patienten nicht die Vorhänge von den Fenstern reißen und Mitarbeitende schlagen? Bei allen Patienten ab Lebensalter X ein Delir-Assessment durchführen? In welcher (zusätzlichen) Zeit? Viele Kolleginnen und Kollegen werden aufgrund des personellen Druckzustandes abwinken, offen oder verdeckt gegen die Idee opponieren. Zuviel, zu zeitaufwändig. Nicht das auch noch zusätzlich. Und wer stellt überhaupt sicher, dass das Ergebnis irgendeine Konsequenz hat?
Die Erfahrung lehrte mich, dass die Einführung eines Delirscreeings besser akzeptiert wird, wenn es ein vorgeschaltetes „Sieb“ gibt, das bei festgelegten Kriterien zum Einsatz kommt. Und nur bei den Patienten, die in diesem Sieb hängen bleiben, wir tatsächlich ein Delir-Screening und die zugehörige „Maschinerie“ in Gang gesetzt. Das ist im Effekt weniger Zeitaufwand und daher schneller etabliert und akzeptiert. Dafür können Demenzbeauftragte selbst ein System entwickeln. Oder z.B. etwas nutzen wie den 4-AT-Test, der in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Es ist eine sehr schnelle Art der Testung, die dabei helfen kann, jene Patienten zu identifizieren, die sich näher im Hinblick auf ein Delir angeschaut werden müssen. Das senkt die Hürde, ist niedrigschwelliger, weil mit geringerem zeitlichem Aufwand verbunden, als z.B. alle Patienten ab Alter X einem vollständigen und aufwändigerem Delir-Screening unterziehen zu müssen.
Demenzbeauftragte haben häufig hohe und höchste Ansprüche, um die Versorgung von Patienten mit Demenz im Krankenhaus zu verbessern. Nicht vergessen werden dürfen, bei aller Kunst und Konzeption, Planung und Zielsetzung diejenigen die das im Alltag umsetzen sollen. Bei ihnen, direkt am Patienten entscheidet sich, ob eine bessere Versorgung von Menschen mit Demenz gelingt.
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