Versorgen – aber sicher!

Als Einstieg in ein bestimmte Schulungsthema nutze ich bis heute manchmal eine Story: wie ich zum ersten Mal einen Menschen mit Demenz bewusst wahrnahm. Viele Jahre her, leistete ich Zivildienst in einem Pflegeheim. Und geriet dort in eine Situation, in der eine Dame mit dem dünnen Metallhals einer Gießkanne in einer Steckdose herumstocherte. Sie war auf der Suche nach Wasser für die Blumen. Auf mein plumpes Eingreifen damals reagierte sie völlig richtig: mit einer gehörigen Portion Aggression, die sich schließlich zu Handgreiflichkeiten auswuchsen. Ich wusste es nicht besser. Die damals dort arbeitende Pflegedienstleiterin schon – sie löste uns in wenigen Sekunden voneinander. Alles nochmal gutgegangen. Mein Interesse fürs Thema war geweckt – und ein gewisses Misstrauen gegenüber älteren Damen mit Gehstock hält bis heute an.

Unerwartete Gefahren

Menschen mit Demenz können (zusätzlich) in Gefahr geraten durch die Veränderungen, die Demenzen mit sich bringen können. So weit, so klar. Viele Themen werden in dieser Hinsicht beschult, beispielsweise Sturzprophylaxe. Für pflegende Angehörige gibt es durchaus brauchbare Wohnraumchecklisten, welche die Sicherheit in der häuslichen Versorgung erhöhen helfen.

Ich selbst mache mit Kliniken und Pflegeheimen gelegentlich Sicherheitschecks im Rahmen von Begehungen. Dabei helfen mir vielfach Erfahrungswerte aus der Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen bei unterschiedlichen Trägern. Und natürlich einigen eigenen Erlebnissen. Vom Biss in eine Weihnachtsbaumkugel aus Glas (feine Splitter, schwierig aus dem Mund zu bekommen, besonders wenn der Betroffene sich wehrt), dem Trinken von Desinfektionsmittel bis zum Spaziergang auf einem Fenstersims (Außen, 3. Stock) – alles schon erlebt.  

Man kann juristisch trefflich darüber streiten, was persönliche Lebensrisiken sind und wo die Verantwortung für Einrichtungen und deren Mitarbeiter beginnt und aufhört. Aktuell hat der Bundesgerichtshof ein Urteil gefällt, nach dem ein Herr mit Demenz aus dem Fenster gefallen ist. Die Sache muss neu verhandelt werden. Mich persönlich wundert es immer wieder, dass ich auf offene Fenster selbst in Wohnbereichen / auf Stationen stoße, die von sich selbst behaupten spezielle Bereiche für Menschen mit Demenz zu sein. Denn das aus dem Fenster fallen ist kein neues Risiko.

Nicht alle Gefahren sind abwendbar, natürlich nicht. Und immer geht es auch um Fragen zwischen Schutz, Würde und Freiheit. Kann man mit allem rechnen? Muss man?

Regelmäßig überprüfen

Was mir persönlich schon mehrfach aufgefallen ist, ist dass man Risiken kennt und auch bewertet bzw. diese zu vermeiden sucht. Und dann kommt der Alltag. Die Überlastung, der Zeit- und Personalmangel…. .

Für Demenzbeauftragte habe ich hier eine kurze Sicherheit-Checkliste aufgestellt (pdf). Sie ist ein Auszug der Dinge, auf die ich versuche zu achten, wenn ich irgendwo zu Gast sein darf beim Thema Demenz. Sie erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch darauf, absolute Sicherheit zu bieten. Aber vielleicht benötigen Sie einen Einstieg für Ihr Haus ins Thema – und diese kurze Checkliste unterstützt Sie dabei.

Bei aller Routine, bei aller Belastung: vernachlässigen wir nicht, uns und unsere Stationen regelmäßig zu prüfen. Als Demenzbeauftragte haben Sie hierfür eine besondere Verantwortung.

Ihr

Jochen Gust

Titelfoto: CHUTTERSNAP on Unsplash

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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