SARS-CoV-2: krank im System

Um Menschen medizinisch und pflegerisch zu versorgen braucht es Profis im Gesundheitswesen: Medizinerinnen und Mediziner, Pflegefachfrauen und -männer und viele andere in helfenden Berufen. Insbesondere in Medizin und Pflege wird auch während einer Infektionswelle weitergearbeitet, obwohl die Bedingungen häufig zum Davonlaufen sind – auch ohne Pandemie schon. Homeoffice geht nicht. Richtigerweise werden die Angehörigen dieser Berufsgruppen systemrelevant genannt.

Kontakt ist unvermeidlich

Da diese Menschen in einer Krisenlage wie einer Pandemie in direktem Kontakt mit infizierten Personen sind, unterliegen sie einem zusätzlichen Risiko selbst zu erkranken. Zugleich gehen damit Gefahren für besonders vulnerable Personengruppen aus. Mediziner und Pflegende können ungewollt Menschen anstecken, die ohnehin bereits aus anderen Gründen geschwächt sind. Die Folgen können verheerend sein. Zudem gerät ein Gesundheitswesen in Gefahr zusammenzubrechen, wenn diejenigen die darin arbeiten in großer Zahl ausfallen. In Deutschland muss das noch nicht einmal extrem viele Gesundheitsberufler in absoluter Zahl betreffen – denn vielerorts sind die Personaldecken so dünn, dass bereits der Regelbetrieb schwer aufrecht zu erhalten ist. Nicht umsonst hat das BMG die Personaluntergrenzen ausgesetzt. Auch der hilflos wirkende Versuch über Zwangsverpflichtungen in Landesgesetzen eine Mindestbesetzung und damit Sicherstellung der Versorgung zu gewährleisten, spricht Bände.

Ländersache

Sicher wird es über regionale Gesundheitsstrukturen, sprich die Gesundheitsämter, Krisenreaktionspläne für lokales Ausbruchsgeschehen in Gesundheitseinrichtungen geben. Die Länder sollten ihre systemrelevanten Berufsgruppen eigentlich mit Argusaugen beobachten um frühestmöglich auf ihre Bedarfe und Probleme in der Krise reagieren zu können. Die untenstehende Tabelle zeigt das Ergebnis einer Recherche in deren Rahmen ich versucht habe in Erfahrung zu bringen, wie viele Ärzt*innen und Pflegefachfrauen und -männer im Rahmen der Corona-Pandemie im jeweiligen Bundesland infiziert wurden. Und ob welche in diesem Zusammenhang gestorben sind. Die Zahlen geben allerdings keinen Aufschluss darüber, ob die Ansteckung jeweils tatsächlich bei der Arbeit erfolgte. Dies wird nicht erfasst (soweit dies im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit überhaupt möglich wäre). Nicht alle Landesgesundheitsministerien haben geantwortet, ansonsten hat man sich bemüht den jeweiligen Informationsstand für das Bundesland darzustellen (ausgenommen Hamburg). Ich update den Beitrag und die Tabelle, wenn mich weitere Informationen aus den entsprechenden Ministerien erreichen.

Die Angaben enthalten, abgesehen von möglichen Fehleingaben, erhebliche Unschärfen. Wenn Daten nach §23 (od. 36) IfSG übermittelt wurden, sind nicht nur Ärzt*innen und Pflegefachfrauen und -männer erfasst. Insofern ist die Frage nach betroffenen Pflegekräften und Ärzten derzeit offenbar zumeist nicht direkt zu beantworten, es sei denn die Länder erfassen dies aus eigenem Interesse. Manches Bundesland registriert die „Exposition Heilberuf“. Das unterscheidet dann zwar noch immer nicht zwischen Ärzten und Pflegekräften, jedoch sind damit Mitarbeiter aus administrativen und sonstigen Bereichen außen vor. Es ist also durchaus damit etwas genauer. Das IfSG sollte dennoch nachgebessert werden um Berufsgruppen verpflichtend zu erfassen, die für die Patientenversorgung unabdingbar sind. Nun kann man einwenden, dass dies auf alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens und alle Mitarbeiter sonstiger sozialer Einrichtungen zutrifft. Das will ich selbstverständlich nicht in Abrede stellen. Aber in einer akuten Krisenlage macht es durchaus einen Unterschied in einem Krankenhaus, ob 10 Physiotherapeuten erkrankt sind und unter Quarantäne gestellt werden müssen, oder ob dies 10 Intensivpflegefachkräfte betrifft. Beides ist nicht gut, aber hat eine unterschiedliche Auswirkung auf die akute Patientenversorgung. In den meisten Pflegeheimen dürfte der Ausfall von 10 Pflegefachkräften zur gleichen Zeit den Betrieb zusammenbrechen lassen – nicht einmal die Grundversorgung wäre dann ohne Hilfe von außen noch gewährleistet. Grundsätzlich unterscheidet das IfSG auch weitere Einrichtungen (§36 IfSG, Obdachlosenunterkünfte, Justizvollzugsanstalten u.a. ). In so fern ist es doch erstaunlich, dass es zumindest auf Landesebene meistens eher „globale“ Erkenntnisse gibt und das Infektionsschutzgesetz nicht entsprechend geschärft wird. Hier besteht auch im Hinblick auf Krisenpläne Nachbesserungsbedarf – mindestens in der Umsetzung des Gesetzes.

Mehr als Applaus und Einmalzahlungen

Das Rechercheergebnis ist unbefriedigend. Aber die große „Ansehenswelle“ für die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen droht gerade folgenlos abzuebben. Der Einsatz derjenigen die ihre eigene Gesundheit für andere riskiert haben und jeden Tag riskieren ist nur dann angemessen gewürdigt, wenn sich im Gesundheitswesen nachhaltig was ändert. Nicht durch Applaus, nicht durch Einmalzahlungen. Von daher ist es eigentlich bestürzend, wie wenig konkret die meisten Länder über Sars-CoV-2-Infektionen ihrer doch systemrelevanten medizinischen und pflegerischen Kräfte wissen. Wissen wollen.

Die „Übergabe“ hat auf Ihren Seiten ein Kondolenzbuch eingerichtet für jene Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen dieser Pandemie ihre Leben ließen. Einen Beitrag über die Überlebenden, also die an Covid-19 erkrankten und heute als „genesen“ geltenden Personen, finden Sie beim gebührenfinanzierten ZDF.

Die Teilnahme an sog. „Hygienedemos“, auf der Wirrköpfe, Reichsbürger, Rechte und Verschwörungstheoretiker sich ein Stelldich eingeben, verhöhnt die Opfer dieser Pandemie. Bitte teilen Sie auch keine Beiträge dieser Leute bei SocialMedia unkommentiert.

Jochen Gust

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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