Relativ schnell wurde klar, dass alte und multimorbide Menschen zur besonders vulnerablen Gruppe für schwere und schwerste Verläufe von Covid-19 gehören. Geriatrien sind also besonders gefordert hinsichtlich der Maßnahmen zum Schutz ihrer Patienten. Und als Institutionen besonders belastet. Dies gilt gleichsam für Mitarbeitende wie Patienten. Ich möchte hier Geriater auch selbst zu Wort kommen lassen. Exklusiv für diesen Blog hat Dr. Martin Willkomm, Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Geriatrie des Krankenhauses des Roten Kreuz in Lübeck hier drei Fragen beantwortet.
Belastung für die Geriatrie
Jochen Gust: Herr Dr. Willkommn, wie erleben Sie den beruflichen Alltag in Ihrer Geriatrie derzeit? Was stellt die größte Einschränkung / Belastung dar?
Martin Willkomm: Im beruflichen Alltag haben wir zur Zeit drei Bereiche, welche wir versorgen: 1. Die allgemeine geriatrische Versorgung ganz ohne Covid-19 Problematik geht natürlich weiter, hier belegen wir in Lübeck nach wie vor sechs unserer 9 Stationen. 2. Die Versorgung von unmittelbar an Covid-19 Erkrankten erfolgt auf einer eigenen Isolierstation, welche streng von der übrigen Klinik getrennt ist und 3. Auf einer Quarantänestation werden Patienten vor dem Übergang in Pflegeeinrichtung besonders geschützt – dies gemäß RKI-Kriterien in Einzelzimmerversorgung und mit allen notwendigen Schutzmaßnahmen der Versorgenden.
Mit dieser Aufteilung der Versorgung kommen sowohl die Mitarbeitenden als auch die Patienten gut zurecht. Bisher haben wir in Lübeck mit viel Glück, aber auch Engagement der Mitarbeitenden die Situation während des stationären Aufenthaltes sehr gut unter Kontrolle. Ein Problem ist natürlich die geschlossene Tagesklinik, ein wichtiger Baustein der ambulanten Weiterversorgung fehlt. Zu Hause sind die Patienten zudem sehr isoliert, dies betrifft jedoch nicht unseren stationären Alltag.
Multiprofessionelles Team
Jochen Gust: Geriatrische Versorgung erfordert eine multidisziplinäre Zusammenarbeit – das geriatrische Team, der fachliche Blick und die Zusammenarbeit von Medizin, Pflege und Therapie sind evident für den Erfolg. Wie funktioniert das unter den derzeitigen Bedingungen konkret, was musste sich ändern?
Martin Willkomm: Grundsätzlich hat sich dies nicht geändert. Die Schutzmaßnahmen sind aufwändig, in Teamsitzungen müssen Abstände und Gruppengrößen angepasst werden. Das klappt aber bisher sehr gut.
Notwendige Maßnahmen
Jochen Gust: Die (Neben-)Diagnose Demenz ist in Geriatrien keine Seltenheit. Bei fortgeschrittener Demenz ist es den Betroffenen kaum oder nicht mehr möglich, sich an (verschärfte) Hygieneregeln oder gar Isolationsbedingungen zu halten. Welche besonderen Herausforderungen und Maßnahmen sind im Rahmen der Pandemie in der geriatrischen Versorgung von Patienten mit Demenz sinnvoll und von Ihnen ergriffen worden?
Martin Willkomm: Die Covid-Pandemie ist für die an Demenz Erkrankten der Super-GAU. Sie verstehen weder die Virusgefahr noch die notwendigen Maßnahmen. Zudem kommen gewohnte Mitarbeitende mit Gesichtsmaske in das persönliche Umfeld. Schließlich ist die Einzelzimmerisolierung kaum ethisch vertretbar, muss jedoch aus Schutzgründen für alle anderen strikt eingehalten werden.
Dr. Martin Willkomm ist nicht nur Ärztlicher Direktor und Chefarzt, sondern auch Herausgeber des Buches „Praktische Geriatrie“ (Thieme). Ich bin ihm dankbar, dass er sich trotz der besonderen Umstände die Zeit genommen hat für meine Fragen.
Jochen Gust
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