Staatsanwaltschaft ermittelt: Gewalt gegen Pflegeheimbewohnerin in Berlin gefilmt

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen einer möglichen Misshandlung durch eine Mitarbeiterin eines Pflegeheims. Videomaterial, welches die Angehörigen zur Verfügung gestellt haben, sollen die Tat belegen.

Ein schlimmer Verdacht und gebrochenes Vertrauen

Angehörige die jemanden in ein Heim geben, müssen sich auf die Professionalität der dortigen Mitarbeiter verlassen können. Das erfordert einen Vertrauensvorschuss – den Pflegende jeden Tag hunderttausendfach rechtfertigen. In diesem Wissen gaben auch Michaela G.* und ihre Schwester die an einer Demenz leidende Mutter in ein Pflegeheim im Stadtteil Grunewald.

Doch bald sahen sich die Angehörigen in ihrem Vertrauen erschüttert. Sowohl durch den Umgangston und die Atmosphäre die im Heim herrschte, als auch durch nicht erklärbare Blessuren.

Ein schwieriger Schritt – und das Protokoll eines Übergriffs

Das führte im Dezember 2023 dazu, dass sich Tochter Michaela zu einem problematischen Schritt entschloss: im Zimmer der Mutter wurde eine versteckte Kamera platziert. Was die Aufnahmen zeigen, schildert die Tochter so:

Eine Mitarbeiterin der Pflege ist auf den Aufnahmen zu sehen. Sie versucht der im Rollstuhl sitzenden alten Dame Medikamente (oder ein Medikament – Tablettenform) zu verabreichen. Die Mutter möchte die Medikamente nicht nehmen. Das wird spätestens dann sehr deutlich, als die Mitarbeiterin – nennen wir sie Anita H.*, einen Tabletten-Joghurt-Mix auf einem Löffel ohne vorherige Ankündigung Richtung Mund der alten Dame führt. Diese schiebt den schnell auf ihr Gesicht zukommenden Arm energisch weg. Die Heimmitarbeiterin stutzt einen Augenblick, schaut dann der alten Dame direkt ins Gesicht: „Da sind Ihre Schmerztabletten drin!“. Die Seniorin schüttelt den Kopf.

Erneut versucht die Mitarbeiterin des Pflegeheims trotzdem, den Löffel in den Mund der Frau zu stecken. Wieder wehrt sich die Seniorin. Mitarbeiterin Anita H. versucht es trotzdem weiter. Zunächst in dem Sie mit der Hand mit dem sie den Joghurtbecher hält versucht, den abwehrenden Arm nach unten zu drücken und mit der anderen Hand das Joghurt-Tabletten-Gemisch doch noch in den Mund der alten Dame zu zirkeln. Es gelingt nicht. Die Mitarbeiterin stellt daraufhin den Joghurt zur Seite um mit der freien Hand den noch beweglichen, abwehrenden Arm der alten Dame zu fixieren. Den anderen Arm kann die Pflegebedürftige aufgrund einer Erkrankung nicht nutzen, um sich gegen den Übergriff zu wehren. So gelingt es schließlich, der alten Dame doch noch den Löffel in den Mund zu stecken.

Sofort danach wendet sich Anita H* ab. Michaela G.`s Mutter jedoch greift sich zum Mund als ihre Hand wieder frei ist. Ob sie die Tablette(n) wieder herausnimmt, ist nicht klar zu sehen. Sehr wohl zu sehen ist, wie die offenbar frustrierte Mitarbeiterin die alte Dame im Vorbeigehen mit der rechten Hand gegen den Kopf stößt, angeblich mit dem Zusatz: „Blöde Kuh!“. Dann wendet sich die Mitarbeiterin glücklicherweise anderen Aufgaben zu.

Erst zur Aufsichtsbehörde – dann online-Anzeige

Die Töchter sind entsetzt. Es sollen auch Fotos von Blessuren existieren, die der Mutter in der Einrichtung zugefügt wurden. Auch von weiteren aggressiven Handlungen und Beleidigungen im Rahmen der pflegerischen Versorgung ist die Rede. Anbrüllen und Demütigungen beim Ankleiden mit Sätzen wie „Ich habe so die Schnauze voll von Dir!“ oder „Bist Du blöde oder was?“ werden in der Anzeige vom 04. Februar 2024 geschildert.

Zuvor hatten sich die Töchter bereits an die zuständige Aufsichtsbehörde – die Heimaufsicht beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin – gewandt. Dort sei man derart schrill und regelrecht wütend in erster Linie belehrt worden wegen der heimlichen Filmaufnahmen, dass sich die Angehörigen verschreckt zurückzogen. Der Umstand des „illegalen Filmens“ habe bei der zuständigen Mitarbeiterin der Heimaufsicht riesige Empörung ausgelöst, so dass man nicht gewagt habe die notwendigen konkreten Daten dort mitzuteilen, so die Tochter. Seitens der Heimaufsicht passierte also erstmal nichts weiter. Die Töchter fanden schließlich eine Senioren-Wohngemeinschaft und zogen mit fristloser Kündigung ihre Mutter aus dem Pflegeheim aus. Als die eigene Mutter in Sicherheit war, erstattete Tochter Michaela schließlich Anzeige.

Anzeige im Februar – Staatsanwaltschaft ermittelt noch

Am 12. Februar war Michaela G.* als Zeugin zur Vernehmung bei der Polizei, händigte Video und Fotos aus, welche die Misshandlungen belegen sollen. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Auf Nachfrage vom 09.Juli d.J. durch demenz-zeitung.de teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass das Videomaterial derzeit ausgewertet werde. Es sei zudem aktuell Gegenstand der Ermittlungen, ob es sich bei der beschuldigten Heimmitarbeiterin um eine Pflegefachfrau oder eine Hilfskraft handelt. Wann die Ermittlungen voraussichtlich zu einem Abschluss kommen werden, vermochte man aktuell nicht mitzuteilen.

Zwischenzeitlich liegen Informationen zum Fall vor, wonach

  • die zuständige Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 1000.- Euro von der Beschuldigten fordert. Zahlt die Beschuldigte innerhalb der von der Staatsanwaltschaft gesetzten Frist, wird das Strafverfahren eingestellt. Ansonsten wird es zum Prozess kommen.
  • Das Ermittlungsverfahren gegen eine der Angehörigen wegen des Aufstellens der Kamera, wurde eingestellt.
  • Die Angehörigen haben über das Strafverfahren hinaus die Möglichkeit, Ansprüche auf Schadensersatz / Schmerzensgeld geltend zu machen und / oder ggfs. einen Täter-Opfer-Ausgleich anzustreben. Ob die Angehörigen das anstreben, ist noch offen.

Jochen Gust

*alle Namen im Artikel wurden geändert

Möchten Sie über neue Artikel und Infos rund ums Thema Demenz informiert werden?

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter um nichts mehr zu verpassen.

Kein Spam! Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert