Inspiriert durch ein Posting auf X von @twundesminister, heute etwas zum Thema Blutdruckmessen. In seinem Post zeigte sich der Twundesminister verwundert (verärgert), über sein Erlebnis im Pflegeheim in dem es offenbar niemanden gab, der sich zu einer manuellen Blutdruckmessung und der Interpretation der Ergebnisse in der Lage sah.
Elektronisches Messen: üblich und alltagstauglich
Mehr als die Hälfte der über 60jährigen hat einen zu hohen Blutdruck. Natürlich sind auch Menschen mit Demenz betroffen. Aber auch andere verschiedenste Zustände und Anlässe geben in der Pflege Anlass, den Blutdruck von Patienten bzw. Pflegeempfängern zu kontrollieren. Vitalwerte geben nunmal Auskunft. Bei der Blutdruckmessung (Blutdruck, oft RR abgekürzt nach Riva-Rocci) kommen oft digitale, elektronische Messgeräte zum Einsatz. Ebenso wie beim manuellen Messen ist m.W. hinsichtlich der Genauigkeit nichts dagegen einzuwenden, sofern die Handhabung korrekt ist (Armhaltung etc.). Auch kann man annehmen, dass die Entwicklung von elektronischen Blutdruckmessgeräten auch in sofern ein Segen sind, dass auch Laien damit leicht umgehen können. Manschette um, auf den Knopf drücken, Werte ablesen. So weit, so gut. Die Geräte sind Alltag geworden – ob in der professionellen Pflege oder in der privaten Nutzung.
Medikamente können den Blutdruck beeinflussen
Es ist wichtig um mögliche Veränderungen des Blutdrucks zu wissen, wenn es um die Einnahme bzw. Gabe von Medikamenten geht. Das gilt auch für Antidementiva oder andere Medikamente, die nicht selten Menschen mit Demenz verordnet werden. Ob und wie stark der individuelle Blutdruck beeinflusst wird, gilt es zu beobachten und Veränderungen dem behandelnden Arzt/Ärztin mitzuteilen. In der Tendenz ist eine Senkung des Blutdrucks häufiger zu erwarten.
Medikamente | Wirkstoffgruppe | Auswirkungen auf den Blutdruck | Info |
Donepezil | Cholinesterase-Hemmer | Senkung oder keine signifikante Änderung | Schwindel möglich, Blutdrucksenkung möglich bei sensibel ansprechenden Patienten |
Rivastigmin | Cholinesterase-Hemmer | Selten Senkung | |
Galantamin | Cholinesterase-Hemmer | Selten Senkung | Blutdruckveränderungen sind selten |
Memantin | NMDA-Antagonist | Erhöhung | Kann zu leichtem Bluthochdruck führen |
Risperidon | Antipsychotikum | Senkung | Risiko für Schwindel und orthostatische Hypotonie |
Quetiapin | Antipsychotikum | Senkung | kann das Risiko für Stürze bei älteren Patienten erhöhen |
Antidepressiva (z. B. SSRI) | Antidepressivum | je nach Subtyp | Individuelle Reaktion auf das Medikament beachten |
Weshalb ich immer wieder zur manuellen Messung zurückkehre
Ja, es ist manchmal eine persönliche Präferenz. Ein Gefühl. Ich will das sehen, hören, fühlen, was ich da messe. Das mag „oldschool“ sein – kommt aber je nach Situation vor. Das heißt nicht, dass ich Blutdruckmessgeräten grundsätzlich misstraue – keineswegs. Es ist manchmal mein Gefühl, meinetwegen Intuition. Und ich neige dazu, ihre nachzugeben, wenn sie anklopft.
Aber es hat auch noch einen weiteren Grund. Den, der Akzeptanz von Menschen mit Demenz.
Vergangenes Jahr: Ich wurde in ein Pflegeheim gebeten, weil ein ausgesprochen „wehrfähiger“, hochaltriger Herr mit Demenz die Versorgung fast durchgehend komplett verweigerte. Eine verbale Kommunikation war kaum mehr möglich, erschöpfte sich in Lauten und manchmal in Einwortsätzen. Man bat mich zu schauen, was vielleicht doch noch geht ohne eine Einweisung. Es dauerte, schließlich hatte ich ihn leidlich körperlich (Hygiene) versorgen können. Beim dritten Besuch bat man mich schließlich, den RR zu messen da er dies konsequent und wiederum auch aggressiv verweigerte. Dazu drückte man mir ein elektronisches Blutdruckmessgerät in die Hand.
Ich bat um Stethoskop und Manschette. Lächelnd kommentierte die Kollegin auf Station, dass sie sowas noch dahaben, weil manche „ältere Kollegen“ dies bevorzugen würden. Uff.
Ich bedankte mich.
Die Frühversorgung brachten wir relativ zügig hinter uns. Er blieb missgestimmt bis unterschwellig aggressiv und da die RR-Messung noch vor uns lag, hielt ich mich nicht lange damit auf ihn mehr Gründlichkeit ertragen zu lassen. Das hätte sein abwehrendes Verhalten nur weiter angeheizt.
Das Blutdruckmessen lief nach einer kurzen Verschnaufspause relativ problemlos ab. Zeit ist hier, wie immer, sicher ein Faktor gewesen. Ich habe mir aber grundsätzlich zumindest den Versuch der manuellen Messung des RR angewöhnt, wenn Menschen mit Demenz dabei große Schwierigkeiten machen.
Das ist eine reine persönliche Erfahrung, keine allgemeingültige Aussage: manuelles Messen gelingt manchmal besser bzw. überhaupt erst, zumindest bei hochaltrigen Personen mit weit fortgeschrittener Demenz. Ich vermute stark, dass dies einfach „medizinischer“, „doktorartiger“ wirkt, wenn man mit Stethoskop und im Kasack vor dem Gegenüber steht. Vielleicht ist Menschen mit Demenz bei diesem Anblick einfach klarer was passieren wird bzw. soll – weil sie vielleicht zumindest das Stethoskop einordnen können. Ähnliche Erfahrungen gibt es z.B. auch mit elektrischer und manueller Zahnbürste.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: bewahrt Euch die „alte Art“ und versucht es mal damit, falls die Messung immer wieder zuvor mit der elektronischen Variante gescheitert ist.
Jochen Gust
Dsnke für den Tipp!