Eine Hörminderung hat erhebliche Auswirkungen aufs Gehirn. Mehrere Untersuchungen weisen darauf hin, dass Schwerhörigkeit das Demenzrisiko erhöht. Was ist zu tun?
Prävention statt Heilung
Derzeit können Demenzerkrankungen wie die Alzheimerkrankheit nicht geheilt werden. In Deutschland leben etwa 1,8 Mio. Betroffene. Da Demenzen altersassoziiert sind, wird die Zahl Betroffener zunehmen. Jedoch sind einige Faktoren bekannt, auf die Menschen Einfluss nehmen können um das Risiko zu erkranken zu senken. Prävention heißt das Zauberwort. Zu den bekannten Risikofaktoren gehören etwa
- Diabetes, Rauchen, starkes Übergewicht (Adipositas v.a. im mittleren Lebensalter), Bewegungsmangel
- übermäßig viel Alkohol, Depression im mittleren oder späten Erwachsenenalter, Bluthochdruck (Hypertonie)
- Hirn- oder Schädelverletzungen
…und Schwerhörigkeit.
3 Fragen an den Dr. med. Michael E. Deeg, Facharzt für HNO-Heilkunde und Pressesprecher des Berufsverbandes der HNO-Ärzte im Landesverband Baden
Jochen Gust: Studien sehen einen Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und dem Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Wie hängen Gehirnerkrankung und die Einschränkung der Hörfähigkeit zusammen?
Dr. M. Deeg: Wie genau eine verminderte Hörleistung zur Entwicklung einer Demenz beiträgt, ist bisher nicht geklärt. Es ist davon auszugehen, dass hier verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Zum einen ist es so, dass die Betroffenen langsam schwerhörig werden. Das passiert also schleichend und die Betroffenen kapseln sich, oft unbemerkt, immer mehr ab. Alleine dieser Prozess schein schon eine große Vielzahl von Folgen für die Hirnleistung zu haben. Möglicherweise führt der Hörverlust aber auch direkt zu Veränderungen im Gehirn: Der Hörsinn ist nämlich extrem vernetzt und die durch die Schwerhörigkeit verminderte Intensität der Signale hat möglicherweise eine Degeneration der beteiligten Nervenzellen zur Folge.
Jochen Gust: Mein Eindruck ist, dass Schwerhörigkeit beim alten Menschen häufig als gegeben hingenommen wird. Es ist normal, im Alter schlechter zu hören und entsprechend wird nichts unternommen. Gibt es eine Art Altersgrenze oder auch einen grad an Altersschwerhörigkeit, wann es schlicht keinen Sinn mehr macht, einen Arzt wegen Problemen mit dem Gehör aufzusuchen?
Dr. M. Deeg: Ihr Eindruck, dass Schwerhörigkeit beim alten Menschen häufig als gegeben hingenommen wird ist leider zumindest in vielen Fällen zutreffend. Wir HNO-Ärzte sehen es daher auch als eine sehr wichtige Aufgabe an, dieser Fehleinschätzung ganz entschieden entgegenzutreten. Es gibt tatsächlich auch eine sehr genau definierbare Grenze ab der eine unversorgte Schwerhörigkeit negative Folgen haben kann. Und diese ist durch unsere audiometrischen Untersuchungen leicht feststellbar, sodass jeder davon betroffene Mensch individuell beraten werden kann, ob denn bereits eine Notwendigkeit zur Anpassung von Hörgeräten gegeben ist.
Und um es ganz klar zu sagen: Es gibt weder eine feste Altersgrenze ab der es keinen Sinn mehr macht einen Arzt wegen einer Schwerhörigkeit aufzusuchen, noch gibt es einen Grad der Schwerhörigkeit ab dem eine Hörverbesserung grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Denn sowohl die konventionelle Hörgerätetechnik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht als auch die darüber hinaus gehenden Möglichkeiten bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder gar beginnender Ertaubung aber noch intaktem Hörnerven einen Betroffenen mit einem sogenannten Cochlea-Implantat zu versorgen sind mittlerweile weit entwickelt.
Jochen Gust: Speziell bei fortgeschrittener Demenz kann es schwierig für die sorgende Umgebung sein zu erkennen, ob jemand einfach inhaltlich nicht mehr folgen kann und nicht reagiert, weil er vermeiden möchte, dass das auffällt – oder ob er im Sinne der Hörfähigkeit nicht versteht. Wie prüft man in einem solchen Fall, was vorliegt?
Dr. M. Deeg: Die Versorgung von Menschen mit bereits weit fortgeschrittener Demenz ist natürlich immer eine Herausforderung und zwar in erster Linie, weil die Wahl der Maßnahmen immer eine ganz individuelle Entscheidung ist, die sich daran zu orientieren hat, ob die Betroffenen diese überhaupt tolerieren. Das Feststellen der Schwerhörigkeit selbst stellt aber heute kein wesentliches Problem mehr dar, da es objektive Messmethoden gibt, die es erlauben auch bei einem nicht kooperativen Patienten das Hörvermögen zu prüfen.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
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