Demenzerkrankungen sind unabhängige Prädikatoren zur Entwicklung von deliranten Zuständen. Viele Krankenhäuser sind jedoch nicht ausreichend auf Patienten mit Demenz vorbereitet – und auf Delire erst recht nicht. Im Marienkrankenhaus in Soest ist das anders. Dort steht ein Team bereit, dass auf beide Themen spezialisiert ist.
Delir und Demenz – eine unterschätzte Kombination
Ein Delir ist ein Notfall und daher auch so zu behandeln. Sowohl die Folgen als auch die Ursachen können lebensbedrohlich sein. Nicht selten mangelt es jedoch allein schon daran, den Zustand überhaupt zu erfassen. Gerade Patienten mit Demenz stehen im Risiko, dass ihr Verhalten ohne nähere Betrachtung der Demenz an sich zugeschrieben wird. Grundsätzlich kann in hypoaktive und hyperaktiver Form unterschieden werden. Mehr dazu hier.
3 Fragen an Karin Müller, Leiterin des OBS-Teams des Marienkrankenhaus Soest
Jochen Gust: Frau Müller, der Umgang mit dem Thema Delir hat als eines von 17 Projekten in Deutschland Anerkennung beim Delir-Netzwerk e.V. gefunden. Wie viele Patienten mit Demenz und Delir werden von Ihrem Team im Jahr aufgefangen und können Sie eine Tendenz im Bedarf feststellen?
Karin Müller: Unser Konzept sieht es vor, dass wir Patient:innen bereits vor Diagnosestellung, bzw. ohne gesicherte Diagnose betreuen. Eine Statistik, wie viele Patient:innen mit Demenz und Delir aufgefangen werden, können wir aus dem Grund nicht vorzeigen. Der Einsatz des OBS Teams beginnt direkt im Anschluss an das in NRW verpflichtende ISAR Screening für alle Patient:innen ab 70 Jahre. Für alle Patient:innen mit einem ISAR ab 2 wird automatische ein Konsil erstellt und somit das OBS Team informiert. Bei Patient:innen ohne bekannte demenzielle Erkrankung wird anhand der Anamnese, der Pflegedokumentation und in Absprache mit den jeweils zuständigen Pflegefachkräften entschieden ob ein konsiliarischer Besuch vom OBS Team erforderlich ist. Beim konsiliarischen Besuch durch das OBS Team werden die Patient:innen über die Arbeit des OBS Team informiert und die Durchführung des Mini Cog angeboten und wenn erwünscht durchgeführt. Hinzukommen standardisierte Initialfragen zur Beurteilung der Orientierung. Daher betreuen wir auch viele Patient:innen die keine vorbestehende Diagnose haben, aber kognitive Einschränkungen vorweisen.
Für das Jahr 2023 kann ich Ihnen ganz frische Zahlen mitteilen. In diesem Jahr haben wir täglich im Schnitt 11 Konsile erhalten und ca. 24 Patient:innen mitbetreut. Im Jahr 2022 lagen wir noch bei täglich 8 Konsilen. Für die Mitbetreuung lagen wir 2022 im Schnitt bei täglich ca. 22 Patient:innen und für 2021 bei täglich ca. 19 Patient:innen. Wir können also einen stetigen Anstieg des Bedarfs klar erkennen.
Fehlendes Wissen zum Thema Delir und Demenz
Jochen Gust: Nicht nur beim Thema Demenz, auch beim Thema Delir haben viele Krankenhäuser in Deutschland häufig Defizite. Mancherorts ist nicht einmal ein Screening etabliert und soetwas wie ein OBS-Team (OBS steht für Orientierung, Begleitung, Schutz) wie in Ihrem Hause, existiert nicht. Was glauben Sie sind die Ursachen dafür und welche Hürden sind für die Implementierung eines Delir-Managements vorrangig zu überwinden?
Karin Müller: Ich denke, wir haben hier mit fehlendem Wissen oder Interesse zum Thema Delir auf allen Ebenen zu kämpfen. Uns ist das Thema Delir durch die Arbeit mit den Menschen mit kognitiven Einschränkungen nochmal vermehrt aufgefallen. Demenz und Delir geht im Krankenhaus schnell Hand in Hand. Wenn man nicht genau hinsieht führt dies häufig zu Verwechslungen bzw. erhalten Patient:innen zu Unrecht einen „Demenz Stempel“. Hinzu kommt, dass das Thema Delir im pflegerischen Alltag kaum stattfindet. Ich habe meine Ausbildung 2003 beendet und kann mich nicht an einen dem Thema Delir gerecht werdenden Unterrichtsinhalt erinnern. In der aktuellen Ausbildung ist das Thema Delir Teil der Theorie und wird dadurch hoffentlich mehr in den Blickpunkt gelangen.
Um ein Team zu entwickeln braucht es die Schulung aller Mitarbeiter zum Thema Delir und Demenz. Für die Akzeptanz der Arbeit des Teams ist wichtig, dass die Mitarbeitenden verstehen, warum so etwas sinnvoll ist. Das gleiche gilt für das Einführen von Screening Instrumenten.
Wir arbeiten im Marienkrankenhaus mit dem ICDSC, dieser wurde während Corona eingeführt und konnte daher kaum geschult werden. Daher wurde er zu Beginn auch lediglich als zusätzlich Arbeit gesehen. Mitarbeitenden müssen wissen und verstehen was der Sinn hinter einer Tätigkeit ist um sie fachlich kompetent umsetzen zu können.
„Zu Beginn wurde unsere Arbeit eher belächelt“
Jochen Gust: Bessere outcomes in der Versorgung einmal beiseite gelassen – würden Sie sagen, dass sich ein etabliertes Delir-Management auch positiv auf die Mitarbeitenden des Krankenhauses selbst auswirkt und auf das Krankenhaus als Institution?
Karin Müller: Zu Beginn wurde unsere Arbeit eher belächelt, aber inzwischen wird die Arbeit des OBS Teams von den Mitarbeitenden geschätzt und auch der Sinn der Arbeit gesehen und die daraus entstehenden Entlastung. Daher denke ich, dass ein zusätzliches Team sich positiv auf die Mitarbeitenden auswirkt. Zusätzlich haben wir im Marienkrankenhaus Serial Trial Intervention (STI) zur Ursache bezogenen Reduktion von herausforderndem Verhalten eingeführt. Die Mitarbeitenden wurden zu diesem Thema geschult, um Ihnen auch praktische Hilfe an die Hand zu geben.
Das Krankenhaus als Institution profitiert durch die Zufriedenheit der Patient:innen, deren Angehörigen und der Mitarbeitenden. Das OBS Team wird von den Patient:innen und deren Angehörigen als etwas Besonderes und Innovatives wahrgenommen und ist dadurch ein Aushängeschild für das Marienkrankenhaus.
Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.
Delir und Demenz: eine Herausforderung für Kliniken
(Nicht nur) Demenzbeauftragte müssen delirante Zustände zu einem Thema machen – in jedem Krankenhaus ist das notwendig. Auch der Einbezug von Angehörigen ist dabei wichtig – diese sind häufig sehr verunsichert, wenn es zu einem Delir kommt und brauchen entsprechend Aufklärung und Unterstützung.
Das Marienkrankenhaus Soest hat seinen Weg gefunden, mit dem Thema Delir und Demenz umzugehen. Mögen viele Kliniken in Deutschland folgen.
Jochen Gust
Bilder: mit freundlicher Genehmigung v. Karin Müller / Marienkrankenhaus Soest
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