Es Weihnachtet wieder – auch in Pflege und Betreuung

Weihnachten ist in mancher Familie ein fast schon minutiös geplanter Marathon geworden. Wann findet welches Essen statt? Wer kommt zu besuch und wann ist Bescherung? Ist bereits alles eingekauft? Müssen wir wegen der Nachbarn zum Gottesdienst? Und was ist mit Oma?

Dieses Jahr will bislang einfach nicht ruhiger werden. Ich merke, wie ich Mehrarbeit leisten muss, um mich vom Weihnachtsstress anderer Menschen nicht anstecken zu lassen. Wie in fast jedem Jahr erreichen mich auch Nachrichten oder anrufe von Angehörigen oder Kolleginnen und Kollegen aus der professionellen Versorgung mit Fragen die letztlich darauf abzielen: wie soll ein Mensch mit Demenz mit einbezogen werden? Was ist fachlich richtig?

Zwischen Teilhabe und Überforderung

Eine standardisierte Antwort kann es darauf nicht geben. Ob Weihnachten auch für Menschen mit Demenz gelingt, ist von so vielen Faktoren abhängig. Aber eines bleibt gleich in den Gesprächen und Antworten: ich rate zu mehr Gelassenheit. Feierlichkeiten können im Lauf der Zeit und den verschiedenen Ausprägungen von Demenz ihre Bedeutung verlieren. Oder extrem wichtig werden. Stimmung und Atmosphäre – das überträgt sich. Weihnachten sollte, wenn man mich fragt, auch eine Zeit ohne Pflichttermine sein. Auch die Stationsweihnachtsfeier kann ein solcher Pflichttermin werden, ebenso wie die mühevoll und aufwändig vorbereitete „Weihnachtsbäckerei“ in der Tagespflege. Entscheidend ist, ob es gefällt. Entscheidend ist, entscheiden zu dürfen. Ich bin unglücklich über Szenen, in denen Menschen zum Beschäftigungsevent gezerrt werden. „Halb zogen sie ihn, halb sank er hin…..“.

Kein „richtiges“ Weihnachten aushalten

Ja, manchmal ist das Argument, dass sich die Angehörigen die Teilnahme von Vater oder Mutter unbedingt gewünscht haben. Mancher in Pflege und Betreuung kann selbst nicht aus seiner Haut und versucht über „sanften Druck“ die Bewohnerin zum Mitmachen zu bewegen. Oder wenigstens zur Anwesenheit. Schwer erträglich, dass jemand in seinem Zimmer sitzt während im Aufenthaltsraum so schöne Weihnachtslieder erklingen, oder?

Auch für viele pflegende Angehörige bedeutet Weihnachten zusätzlicher Stress. Ist man nicht moralisch verpflichtet die verwirrte Oma wenigstens Weihnachten zu sich nach Hause zu holen? Oder wenigstens am 24.12. noch zu besuchen, kurz bevor es zum Familienabendessen geht? Darf man in Pflege und Betreuung im Heim aushelfen – oder wird das nicht gerne gesehen? Und wie erklärt man Dritten zügig, wie sie mit dem Betroffenen umgehen sollen?

Feiertage sollten politikfrei sein

Ausgerechnet an den Feiertagen, wenn die Besetzung ohnehin minimal gehalten wird um wenigstens den Kolleginnen und Kollegen mit kleinen Kindern ein Teilweihnachtsfest zu ermöglichen, kündigen sich Landräte, Bürgermeister, Lokal- und Landespolitiker zum Besuch im Pflegeheim oder Krankenhaus an. Natürlich mit Foto, falls man keine Journalisten dazu bewegen konnte den Besuch mitzumachen. Und zusätzlichen Stress für die Pflegebedürftigen wie die Mitarbeitenden. Die mitgebrachte Schokolade, besonders an Weihnachtstagen in der Pflege ein knappes Gut, ist nett gemeint. Danke. Aber in erster Linie verursachen Sie bei den Bewohnern des Hauses mit Demenz wahrscheinlich Unruhe, stören die Atmosphäre und kosten Pflege- wie Betreuungskräfte etwas, was wirklich knapp ist: Zeit. Nicht falsch verstehen: echte Wertschätzung ist nötig und willkommen und hochverdient. Aber das geht auch an allen anderen Tagen im Jahr.

Gelassenheit steht uns allen gut

Weihnachten hat sich verändert, bezogen auf die Kindheit heute alter Menschen. Blinkende, selbstsingende Weihnachtsdeko und allerlei Plastik war noch nicht so selbstverständlich wie heute. Manches davon hat auch gar nicht gefehlt, meinen Sie nicht? Z.B. Mandarinen aus Plastik oder Lebkuchen aus Pappmaché.

Es ist Weihnachten und Silvester steht bevor. Meine Wünsche: angemessen sicher, Teilhabe wenn gewünscht aber Akzeptanz wenn nicht. Und: mindestens Zurückhaltung wenn es um Bewertungen und Urteile über den Besuch oder das Fernbleiben von Angehörigen, Verwandten und Bekannten geht.

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Allen meinen Leserinnen und Lesern frohe, möglichst stressfreie, entspannte Weihnachtsfeiertage. Und: „ruhigen Dienst!“.

Jochen Gust

Foto: andrea piacquadio by pexels

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