Als Demenzbeauftragte sind Sie sicher bemüht, Formen des Austauschs und der Wissensvermittlung zum Thema Demenz in Ihrem Haus zu finden. Dabei geben Sie den aktuellen Wissenstand in Teams, unterbreiten Verbesserungsvorschläge, ringen um den richtigen Weg und die machbaren Veränderungen.
Häufig, insbesondere in hierarchisch starren Gefügen die Kliniken zumeist sind, können Sie jedoch nur zum Nachdenken anregen. Eine Haltung zum Thema Demenz kann nicht „angeordnet“ werden. „Richtiges“ Verhalten sicherlich in gewissen Grenzen (do´s and dont`s). Eine Haltung hat jedoch immer mit der inneren Position Ihrer Kolleginnen und Kollegen etwas zu tun. Diese bildet sich heraus, entwickelt sich – es gibt keine Zauberformel die Sie in Ihrer Klinik verbreiten können. Keine Formel, die Sie auf Leitbilder schreiben oder als Dienstanweisung abzeichnen lassen können. Sie müssen Wege finden, sich dem Thema (anders) zu nähern.
Haltung nicht anordnen
Als Demenzbeauftragte ist es für Sie nicht sehr ratsam, einfach eine „bessere Haltung“ einzufordern oder Kolleginnen und Kollegen zu belehren, was diese (in Ihren Augen) ausmacht. Bedienen Sie sich eher Elementen und Beispielen, die jede/r kennt und auf sich beziehen kann – aber sich nicht verteidigen muss. Ein gutes Beispiel sind Themen die unter sogenannten kognitiven Verzerrungen verstanden werden. Wir alle machen Denkfehler. Davon ist weder die Chefärztin noch der Pflegehelfer frei.
Über Denkfehler die Sie selbst machen und gemacht haben, können Sie Beispiele anhand des Klinikalltags finden um Sie in Übergaben oder Fallbesprechungen miteinzubeziehen. Oder später auch gezielt Äußerungen zu hinterfragen. Wenn Sie über Denkfehler sprechen, fällt es auch um ein Vielfaches leichter, zu bestehenden Rollen- oder Altersbildern überzuleiten die wir zum Teil verinnerlicht haben. Am Ende kann dies dazu beitragen, dass dem alten verwirrten Herrn nicht zum 7x in einer Nacht wieder in den Schlafanzug „geholfen“ wird, weil er ja „irgendwas anhaben muss“.
Horn-Effekt und falsche Zuschreibungen
Der Horn-Effekt beschreibt, dass wir dazu neigen von einer (von uns so empfundenen) negativen Eigenschaft einer Person auf weitere negative Eigenschaften zu schließen.
Beispiel 1: Die neue Kollegin für den Nachtdienst ist wiederholt unpünktlich, drittes Mal in einer Woche. Wieder stürzte sie gerade erst zur Tür rein, als mit der Übergabe begonnen werden sollte. Ihre erste Nachtwoche – und dann so ein Verhalten. Als wir am nächsten Morgen zusammensaßen nach der Übergabe, sagt die Stationsleiterin: „Bitte schau mal nachher nach, ob die (Nachtdienstlerin) die Medis abgehakt hat.“. Durch die wiederkehrende Unpünktlichkeit (die nicht in Ordnung ist, keine Frage) wird der neuen Kollegin unterstellt, auch ihre sonstige Arbeit nicht ordentlich zu machen.
Beispiel 2: Patient Meier, 87 Jahre, Alzheimer. Er verweigert morgens die Versorgung: heißt, die körpernahe Pflege – er lässt sich also u.a. nicht waschen bzw. dabei unterstützen. Ich bin im vierten Frühdienst bei ihm. Müde und etwas genervt, weil ich schon das vierte Mal nun erfolglos versucht habe, die körpernahe Pflege bei ihm durchzuführen. Irgendwann gebe ich auf. Und dann ist plötzlich dieser Satz in meinem Kopf: „Dieser Schmuddel! Möchte nicht wissen, wie es bei dem Zuhause aussieht.“. Eine Unterstellung von mir, für die ich weder Anlass noch Hinweise hatte und die auch nicht gerade professionell genannt werden kann.
Solche negativen Zuschreibungen gibt es sicherlich auch in Ihrem Haus. Menschen mit Demenz im Krankenhaus können wegen ihres Verhaltens besonders davon betroffen werden. Sprechen Sie im Team über Denkfehler – z.B. über den Horn-Effekt: niemand ist frei davon – aber ein Bewusstsein zu schaffen, z.B. in Kurzinterventionen, wie schnell wir richtig falsch liegen, kann dabei helfen die Haltung anderen Menschen gegenüber zu verändern. Und vielleicht sogar Stress mit Menschen mit Demenz reduzieren. Besonders eignen sich auch sog. Attributions-Fehler hierfür.
Der ist so….
Beispiel: Der Patient mit Demenz reagiert mit lautstarker Ablehnung auf Behandlungsversuche. Seine Eigenheit, seinen Willen laut und deutlich kund zu tun führt dazu, dass man ihm unterstellt ein „aggressiver Typ“ zu sein. Ein potentieller Gewalttäter. „Mit dem möchte ich nicht verheiratet sein, die arme Frau.“ wäre so ein Satz, der die aktuellen Umstände (Demenz, Einlieferung ins Krankenhaus nach Verirren in der Stadt und Sturz) völlig außer Acht lässt und das Verhalten der Persönlichkeit des Patienten zuschreibt. Hier sogar unterstellt, gewalttätig gegenüber der pflegenden Ehefrau zu sein.
Solche und ähnliche Denkfehler sind wie gesagt nicht ungewöhnlich. Aber auf dem Weg einer verstehenden Versorgung, einer menschengerechteren Haltung wäre es ungemein hilfreich, sich dessen hin und wieder bewusst zu werden. Vielleicht finden Sie auf diese Weise Beispiele die geeignet sind, Veränderungsprozesse hinsichtlich der Haltung in Ihrem Haus anzustossen und in Ihrer Arbeit zu verwenden.
Eine Liste mit Denkfehlern finden Sie z.B. bei Wikipedia.
Empfehlen kann ich wirklich jedem das Buch „Glaub nicht alles was Du denkst“ von Alexandra Reinwarth, im mvg-Verlag erschienen. Die Autorin geht die Thematik sehr anschaulich und lebendig an.
Viel Spaß beim Selbsterwischen.
Ihr
Jochen Gust
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