Die dunkle Seite der Ohnmacht. Oder: wie wenig ernst viele Kliniken das Thema Demenz im Krankenhaus nehmen

Vorsicht, das wird ein rant. Teile dieses Textes könnten Sie verunsichern oder verärgern, wenn Sie als Demenzbeauftragte*r in einem Krankenhaus arbeiten. Ober überhaupt irgendwie mit dem Thema Krankenhaus und Demenz zu tun haben.

Stoff gegen Druck, spielen gegen unzureichende Strukturen

Krankenhäuser sind für Menschen mit Demenz risikoreiche Orte. Sie versterben öfter, werden immobil, landen unnötiger Weise in Psychiatrien und haben Topchancen darauf, nach dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr ins eigene Zuhause zurückkehren zu können. So weit, so bekannt aus mannigfaltigen Studien und Veröffentlichungen.

Nun könnte man meinen: Demenzbeauftragte in Krankenhäusern sind DAS Mittel gegen diese Behandlungsergebnisse. Nicht umsonst werden sie in Niedersachsen alsbald Pflicht für jede Klinik, oder? Entsprechend weitergebildete Personen schauen sich an, wie die Versorgung in dieser Klinik funktioniert und leiten gemeinsam mit den zuständigen Führungskräften und Teams die notwendigen Veränderungen ein, die am Ende allen nützen. Denn besser für Patienten mit Demenz aufgestellt zu sein kann auch die Mitarbeitenden der Klinik erheblich entstressen.

Die ganze Klinik ist betroffen

Demenzbeauftragte im Krankenhaus müssen also Lösungen dafür finden, im Versorgungsgeschehen einer Klinik die Dinge für Patienten mit Demenz zu verbessern. Das fängt bei der Aufnahme an, betrifft den Informationsfluss ebenso wie den Arztbrief, die Tages- UND Nachtstruktur – da wird Beschäftigung durchaus wichtig. Das Delir- und Ernährungsmanagement gehört aber mindestens ebenso wie die Einbindung von Angehörigen, die bauliche Gestaltung und vieles mehr dazu. Nicht alles lässt sich umsetzen in jedem Krankenhaus – richtig. Nicht alles wird optimal laufen, auch wahr. Aber nirgendwo geht nichts. Überall lässt sich etwas anpassen und verbessern.

Meldung: wir haben Stofftiere!

Daher wundert es mich sehr, wie viele Kliniken offenbar stolz darauf sind, mit oder für Patienten mit Demenz Häkel- und Strickpuppen anzufertigen. Während Fixierungen an der Tagesordnung sind oder Patienten mit Demenz die sich nicht angepasst und „brav“ in den Krankenhausalltag einfügen so schnell wie möglich in Psychiatrien wegverlegt werden, glaubt man offenbar mit „Verniedlichung“ ein Versorgungsproblem kaschieren zu können. Jedenfalls ist auffällig, dass in Meldungen nicht etwa das besonders gut funktionierende Nachtkonzept vorgestellt wird oder etwa ein etabliertes Delirmanagement. Auch wird nicht aufgezeigt, wie und mit welchen Mitteln man Psychiatrieverlegungen minimiert oder Fixierungen verhindert – und zwar dann, wenn der Patient mit Demenz als „schwierig“ gilt. Nein, nette Fotos für die Presse entstehen nur mit bunten Strickschnecken oder Filzpuppen. Wollium fürs Volk, sozusagen.

Ohnmächtig oder bequem?

Demenzbeauftragte im Krankenhaus müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob das Strickäffchen oder die Sockenpuppe ausweis der qualifizierten, fachlichen Arbeit des Krankenhauses sein soll. Oder ihres Erfolgs als Demenzbeauftragte. Ist das der Job? Strickrunden leiten? Für ausreichend Nachschub an Wolle sorgen?Demenzbeauftragte müssen sich fragen lassen, in wie weit das zur Aufhebung der schlechten outcomes beiträgt und wie es um ihr Selbstverständnis ihres Auftrages bestellt ist. Krankenhäuser die sich mit „Seniorenbetüddeln“ vor ihren eigentlichen Aufgaben drücken wollen in Sachen Demenz gibt es natürlich. Das liegt vor allem auch an den fehlenden verbindlichen Kriterien für das, was eine gute Demenzversorgung im Krankenhaus eigentlich ausmacht. Vielerorts scheint es nach wie vor kein Bewusstsein dafür zu geben, wie zahlreich die Baustellen sind und wie groß das Potential für Verbesserungen ist. Häufig wird ja noch nicht einmal erfasst, wie die eigene Krankenhausarbeit für Menschen mit Demenz am Ende ausgeht. Woher wissen sie dann eigentlich, was wirkt?

Bitte und Aufruf: nehmen Sie sich selbst ernst in Ihrer Rolle

Liebe Demenzbeauftragte – lassen Sie sich nicht zur Sockenpuppe degradieren. Die Aufgaben sind größer, vielschichtiger und ja – richtig kompliziert umzusetzen, denn häufig gilt es viele innere Widerstände zu überwinden innerhalb der Organisation. Das braucht einen langen Atem. Lassen sie sich nicht dadurch ablenken, dass man sie mit „Seniorenbespielen“ ruhigstellen will. Und machen Sie es sich auch nicht bequem in dieser Rolle. Das darf ihnen nicht genügen.

Ihr

Jochen Gust

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2 Kommentare

  1. Hallo Jochen Gustav
    Ich habe mich vor einem Jahr im Krankenhaus als ehrenamtlichen Demenz Partner vorstellen dürfen.
    Mein Anliegen war es, in Kooperation mit dem Sozialdienst die Angehörigen demenziell veränderter Menschen zu beraten. Auch die Grünen Damen und Herren des Hauses sowie das Pflegepersonal. Leider wurde meine Hilfe nicht angenommen ohne Begründung.
    Ich bleibe aber dran und lass nicht locker.
    Schon mit Kleinigkeiten kann der Aufenthalt eines Demenzpatieten der Aufenthalt erleichtert werden.
    Freundliche Grüsse aus Fröndenberg

    1. Guten Tag,
      es gibt ein Heer von Berater*innen, Coaches und Anlaufstellen. Beraten wollen alle, denn es ist der einfache Part in Sachen Demenz. Veränderungen um- und durchsetzen ist wesentlich schwieriger, weswegen fest angestellte Demenzbeauftragte echte Macher*innen sein müssen, mit klarer hierarchischer Einordnung, Befugnissen und definierten Aufgaben und Kenntnissen darüber, wie die Prozesse und Abläufe ihres Krankenhauses aufgebaut sind und wie man sie verändert. Krankenhäuser stehen vor großen und strukturellen Aufgaben in Sachen Demenz. Dabei geht es nicht um Kleinigkeiten, sondern um die grundsätzliche Anpassung der Kliniken an besondere Patienten mit besonderen Bedürfnissen. Ehrenamtliches Engagement ist wichtig und kann viel bewirken, natürlich. Dass Kliniken grundsätzliche Hausaufgaben lösen müssen um bessere Outcomes für Patienten zu erzielen, kann und wird nicht durch Ehrenamtler*innen zu lösen sein. Mit Kleinigkeiten ist es nicht getan.
      Es grüßt Sie
      Jochen Gust

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