Ein Kommentar.
Die Pflegekammer in Niedersachsen wird nach dem Votum der Pflegenden abgewickelt. Sowohl bei Kammerfunktionären als auch Befürwortern macht sich Katerstimmung breit. Mich hat am meisten überrascht – und auch enttäuscht, wie gering die Beteiligung der Pflegenden an der Sache war. Keine 20 % haben sich aufraffen können, bei diesem wichtigen Thema ihre Stimme abzugeben und sich zu positionieren. Das ist für die Branche peinlich wenig und schwer nachzuvollziehen.
Mit den Kammern ist es wie mit jedem Projekt und jeder Veränderung, die man Menschen „zumutet“: Menschen sollte man überzeugen, mitnehmen wollen. Das war und ist durchaus nicht immer für mich erkennbar in Sachen Pflegekammer. Es herrscht(e) in Diskussionen am Ende oft die Haltung vor: ob Du / Ihr das einseht oder nicht – uns doch egal. Es ist schließlich Gesetz, „Ihr“ müsst! (es fehlte nur noch das nahlessche-Ätschi-Bätschi).
Widerstand und Widerspruch wurden häufig nicht wirklich ernst genommen, meinem Erleben nach. Eine gefährliche Art mit Kritik umzugehen. Das muss man sich leisten können, denn es kann sich rächen. Das erklärt auch die Verärgerung vielerorts, die sich jetzt breit macht. Sogar Kammern können gekippt werden. Kann man das überhaupt gut finden? Zumindest klar sollte es nach gestern jedem sein. Heißt wiederum nochmal: vor und während einer solchen Veränderung muss man sich die Mühe machen, die (beabsichtigte) Wirkung jeden Vorschlags und jeder Maßnahme zu erklären. Und welche Vorteile dies für die Betroffenen – also die Mitglieder – hat.
Die Daseinsberechtigung einer Institution liegt niemals nur darin, dass sie erschaffen wurde.
Offenbar war der Sinn der Kammer in Niedersachsen für viele Pflegende nicht (mehr) erkennbar. Dilettantische Kommunikation hat bei allen Pflegekammern viel schaden angerichtet. Und nun der Ruf Einzelner, das Ergebnis und die Konsequenz nicht anzuerkennen, geht völlig fehl und wäre für die Ministerin aber auch die Kammervorsitzende(n) ein finaler Schlag gegen deren Glaubwürdigkeit. Es sind Reste der Hybris, Kritiker nicht ernstnehmen zu müssen.
Die ganze Sache ist ein Desaster. Für die ganze Branche, für die Politik mindestens zweier Parteien. Es dürften noch mehr Pflegekammern am Widerstand der Pflegenden scheitern, wenn es so weiter geht. Deutschland braucht eine Prioritätenliste für Pflegefachleute. Für die Probleme, die zuallerst angepackt werden müssen. Und zuerst wird es um Arbeitsbedingungen und Gehälter gehen. Eine „akademische“ Diskussion, wie die Kontrolle über Qualität und Fort- und Weiterbildungen durch Pflegekammern ist so richtig und wichtig wie nötig. Aber weder die gewollte Qualität noch Fort- und Weiterbildung sind die Druck-Themen Nr. 1 vieler Pflegenden. Das kann man kritisieren, aber das brechtsche „Erst kommt das Fressen, dann…..“ gilt auch da. Für viele Pflegende geht es (beruflich) ums Überleben in der Branche, was oft nur mit Stundenreduzierung machbar ist und mit der eigenen gesundheit viel zu oft bezahlt wird.
Und jetzt? Die Kammergegner müssen sich nun ganz klar fragen lassen, nachdem Berufsverbände und Gewerkschaften in den vergangenen Jahren nicht wirklich viel erreicht haben bzw. Teil der heutigen Zustände in der Pflege sind: was ist die Alternative zu einer (Bundes-)Pflegekammer?
Wie geht’s weiter für die Pflege?
Es kann und wird nicht besser werden, solange Pflegende sich nicht organisieren. In welcher Form auch immer an Mitbestimmungs- und Meinungsbildungsprozessen teilnehmen. Tretet einer Gewerkschaft bei! Tretet einem Berufsverband bei! Schreibt Euren Abgeordneten (in einem angemessenen Tonfall!) und macht auch klar, dass Eure Wahlentscheidung immer auch eine Entscheidung sein wird, welche Partei Euch die besten beruflichen Aussichten bietet.
Nur „dagegen“ zu sein bedeutet ein „weiter wie bisher“. Bedeutet: keine Verbesserungen. Was nicht geht (in Niedersachsen) wurde gestern klar.
Was die Alternative ist? Darauf fehlt mir die schlüssige Antwort. Immernoch.
Ihr / Euer
Jochen Gust
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