Kulturelle Teilhabe auch für Menschen mit Demenz ist ein Thema, was zunehmend mehr Beachtung findet. Mehr und mehr entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, dass die Teilhabe an Kunst und Kultur zu allen Zeiten des Lebens dazugehört. Und zwar auch dann, wenn eine Demenz eine Anpassung des Angebots erfordert.
Museumsführung und online-Angebote
Museen können ihr Spektrum zum Beispiel durch für die Besucher mit Demenz angepasste Führungen erweitern. Aber auch online-Führungen bzw. digitale Besuche in Ausstellungen und Museen sind längst keine exotischen Angebote mehr. Das ist wichtig, einerseits weil so weite Wege erspart werden. Andererseits weil für manche Menschen z.B. mit starken Mobilitätseinschränkungen, nur so Teilhabe überhaupt erst möglich wird. Beispiele für virtuelle Besuchsmöglichkeiten sind zum Beispiel die Digitale Kunsthalle des ZDF oder auch das Rijksmuseum (Amsterdam).
Kultur und Demenz – Fragen an Jochen Schmauck-Langer
Kunst und Kultur wird manchmal ausschließlich mit einem Bildungsauftrag gleichgesetzt. Museen als Bildungsorte, nach deren Besuch man mehr über das alte Ägypten, die Geschichte der Landwirtschaft oder die Maltechniken alter Meister weiß. Diese Verengung, vielleicht bei dem ein oder anderen durch schulischen Pflichtbesuch so geprägt, wird dem Thema nicht gerecht. Nicht nur, dass Kunst und Kultur selbstverständlich mehr ist als Museen zu besuchen. Auch bieten sie so viel mehr als Wissen. Kunst kann Menschen emotional berühren, Türen öffnen – oder einfach eine schöne Zeit jenseits von Alltag und Hilfebedürftigkeit bieten.
Jochen Schmauck-Langer ist Gründer und Geschäftsführer von (de)mentia+art. Er ist Autor, Geisteswissenschaftler und als Referent zum Thema Kulturelle Teilhabe ein Experte und auch Vorreiter auf dem Gebiet der Angebote für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Bereits seit 2011 bietet er Führungen in Museen für Menschen mit Demenz an. Seit etwa 6 Jahren kommen noch Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen hinzu.
Jochen Gust: Herr Schmauck-Langer, Menschen mit kognitiven Einschränkungen stehen im Zentrum ihrer Arbeit. Interessieren sich die Betroffenen anders für Kunst als Menschen ohne kognitive Einschränkungen?
Jochen Schmauck-Langer: Ich wähle die Bilder und Objekte danach aus, ob sie sich dazu eignen, gemeinsam in der Gruppe „entdeckt“ zu werden. Da kognitive Fähigkeiten und Kenntnisse dabei nicht im Vordergrund stehen können, sind es stattdessen starke emotionale Bezüge, vertraute Situationen, tief verankerte Affekte, die wir oft schon von Kindheit an kennen. Etwa eine Mutter mit Kind, ein Liebespaar, ein trauriger Gesichtsausdruck. Die Details eines Bildes werden dann gemeinsam im Gespräch zusammengetragen. Ich agiere dabei vornehmlich als Moderierender, gebe nur wenig an klassischem Bildungsinput und stattdessen Orientierung dazu, um selbst fündig zu werden. Vor allem ermuntere ich, die eigenen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Meinungen zu äußern – ohne Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Die Äußerungen orientieren sich dann erkennbar an der eigenen Lebenswelt, an Erfahrungen, soweit sie noch zur Verfügung stehen, kaum an kunsthistorischen Bezügen. Als Historiker habe ich eine ungefähre Vorstellung von „Alltag“ und Populärkultur vor etwa 60 bis 70 Jahren und nutze dies für meine Auswahl. Diese Zeitspanne ist für die Generation heutiger Heimbewohner (mit einem Durchschnittsalter von 80 bis 90 Jahren) besonders prägend gewesen. Sie betrifft besonders ihre Jugend und die Zeit als junge Erwachsene.
Jochen Gust: Stoßen Sie auf Vorbehalte, wenn es darum geht, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen? Bei wem und aus welchen Gründen?
Jochen Schmauck-Langer: Zunächst: Es gibt mittlerweile weit über hundert Museen in Deutschland, in denen Demenzführungen stattfinden. In Köln begleite ich selbst in fünf großen Museen solche Gruppen. Der Museumsdienst Köln ist dabei unser Partner. Mittlerweile sind es einige hundert Führungen geworden, und wenn eine Gruppe von Menschen mit Demenz durch ein internationales Haus wie das Museum Ludwig zieht, zu normalen Öffnungszeiten, und nicht viel anders als andere Gruppen auch, dann sollten etwaige Vorbehalte dem Staunen weichen, was ungeachtet einer dementiellen Veränderung noch möglich ist. Allerdings, ich habe schon die Objektauswahl genannt, aber auch die Kommunikation muss situativ angepasst werden. Sie richtet sich geschmeidig nach den aktuellen Ressourcen der Besucher. Also kein kunsthistorischer Vortrag. Andere Vorbehalte betreffen die Logistik: die Gruppen kommen oftmals mit drei, vier oder fünf Rollstühlen aus einem 10 oder 20 km entfernten Seniorenhaus. Für die Betreuungskräfte ist ein solcher „Ausflug“ ein großer Aufwand – den eine gute Einrichtung dennoch zwei- oder dreimal im Jahr für interessierte Bewohner leistet.
Jochen Gust: Was ist Ihr erklärtes Ziel, wie sollen Menschen mit Demenz profitieren bzw. welchen Effekt wollen Sie erzielen?
Jochen Schmauck-Langer: Eine schöne Zeit erleben – wenn das für alle Beteiligten gelingt, wäre das auch für mich sehr schön. Ein Ziel, was damit verbunden ist, ist eine größtmögliche Ressourcen-Aktivierung. Die besonderen Besucher sollen sich selbst erfahren als Menschen, die trotz ihrer krankheitsbedingten kognitiven Einschränkungen ihren individuellen Beitrag leisten zum Erkennen von Welt und Gesellschaft – am Beispiel von einigen Kunstwerken.
Jochen Gust: Was wünschen Sie sich für 2023 im Sinne der kulturellen Teilhabe von Menschen mit Demenz?
Jochen Schmauck-Langer: In der Pandemie waren die Museen und zugleich auch die Pflegeeinrichtungen sehr stark betroffen. (de)mentia+art hat dort seine Schwerpunkte. Viele alte Netzwerke sind weggebrochen. Aktuell kommt auch der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise hinzu. Ich wünsche mir, dass der kleine und besonders vulnerable Inklusionsbereich angesichts solcher Schwierigkeiten nicht „hintenüber“ fällt. Dabei hoffe ich auf das Engagement einer aufgeklärten Stadtgesellschaft für die Schwächeren in der Gesellschaft.
Aktuell wurde (de)mentia+art für 2023 mit einem digitalen Projekt für das Land NRW betraut. Dabei geht es um Chancen auf kulturelle Teilhabe für Menschen mit und ohne kognitive Beeinträchtigungen, bei dem mit digitalen Museumsführungen vor allem der ländliche Raum im Fokus steht. Interessierte Senioreneinrichtungen finden hier mehr dazu. Die Teilnahme ist übrigens kostenlos.
Jochen Gust
Foto: Dina Mroczowski, Führung im Wallraf-Richartz-Museum für das Caritas Seniorenhaus St. Bruno, Köln; vor einem Selbstporträt von Max Liebermann, 1908
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