Kürzlich wurde eine Diskussion um Einzelzimmer angestoßen: Joachim Knollmann, Leiter des Seniorenzentrums Bethel in Bad Oeynhausen plädiert dafür (Altenheim.net), die Pflicht bzw. strikte Quote für Einzelzimmer in Pflegeheimen zu lockern. Begründet mit steigenden Bau- und Betriebskosten, Personalmangel und der Sorge, dass Plätze sonst unbezahlbar oder gar nicht erst geschaffen würden. Die Argumentation ist ausdrücklich wirtschaftlich gedacht: Mehr Flexibilität bei der Zimmerbelegung solle Kosten dämpfen und Versorgung sichern.
Die Wahl zwischen Einzel- und Doppelzimmer hat spürbare Folgen – u.a. für die Privatsphäre, für Schlaf, Infektionsschutz, Teilhabe und Pflegeorganisation. Parallel läuft eine Debatte um mehr Flexibilität bis hin zur Abkehr von starren Einzelzimmer-Quoten. Befürworter verweisen auf Kosten- und Platzdruck, Kritiker auf Privatheit und Schutzfaktoren für Menschen mit Demenz.
Was Einzelzimmer leisten
Einzelzimmer schaffen Ruhe, Privatheit und bessere Voraussetzungen für erholsamen Schlaf – gerade bei nächtlicher Unruhe, Angst oder Reizempfindlichkeit. Studien aus Kliniken und Pflege zeigen Vorteile bei Störungen, Delirprävention und subjektivem Wohlbefinden.
Präferenz: Einzel- vs. Doppelzimmer (Deutschland, Krankenhaus-Kontext)
- Einzelzimmer 55%
- Anderes 45%
- Hinweis: Repräsentative Umfrage zum Krankenhausaufenthalt; mir ist keine jüngere, frei zugängliche Präferenz-Umfrage speziell für Pflegeheime bekannt.
Aus infektiologischer Sicht ist die geringere Belegungsdichte ein Plus: Während Infektionswellen (wie in der Pandemie) korrelierten Mehrbettanteile mit höheren Ausbruchs- und Sterberaten. Architekturisch fügen sich Einzelzimmer gut in kleinteilige, häusliche Wohnkonzepte (Hausgemeinschaften mit sechs bis acht Bewohnerinnen und Bewohnern), in denen Alltagsnormalität und Teilhabe über nahe Gemeinschaftsräume gestützt werden.
Einzelzimmer im Spannungsfeld: Privatheit und ihre Kehrseite
Ohne aktiv organisierte Teilhabe droht Rückzug. Einzelzimmer sind kein Selbstläufer: Es braucht ein Programm für Begegnung (kurze Wege, wohnliche Gemeinschaftsräume, Tagesstruktur, kleine Bezugsgruppen, präsente Ansprechpersonen). Teams berichten in reinen Einzelzimmer-Layouts teils mehr Laufwege und eine anspruchsvollere Beobachtung – das ist organisierbar, sollte aber eingeplant werden. Schließlich erhöhen Einzelzimmer in der Regel Flächenbedarf und Kosten und können die Zahl verfügbarer Plätze begrenzen; das ist eine versorgungspolitische Abwägung, keine Aussage gegen pflegerische Qualität.
Was Doppelzimmer ermöglichen
Richtig belegt und gut moderiert, können Doppelzimmer niederschwellige Kontakte fördern: spontane Ansprache, geteilte Routinen, weniger Einsamkeitsgefühl bei Menschen mit ausgeprägtem Nähebedürfnis. Als Übergangslösung kann das Doppelzimmer Sicherheit vermitteln – vorausgesetzt, Tagesstruktur, Rückzugsorte und klare Regeln sind vorhanden. In der Praxis war und ist es für mich immer wieder erlebbar, wie gut sich zwei zuvor fremde Menschen doch tun können in einem Doppelzimmer in einer Pflegeeinrichtung. Ich denke dabei zum Beispiel an eine alte Dame, die nur wenig kognitiv eingeschränkt war und die zu ihrer Zimmergenossin eine richtige Freundschaft entwickelte. Das führte dazu, dass sie beispielsweise ihre völlig orientierungslose Freundin stets zum Essen in den Speisesaal brachte und sich auch sonst kümmerte. Beide profitierten von der Konstellation.
Die Risiken im Doppelzimmer
Mehr Personen bedeuten mehr Reize: Geräusche, nächtliche Aktivität, unterschiedliche Rhythmen. Das erhöht das Konflikt- und Störungsrisiko und fragmentiert den Schlaf, speziell bei Demenz. Prinzipiell steigt in geteilten Zimmern auch die Wahrscheinlichkeit von Infektionsübertragungen. Wo Ausweichräume fehlen, verschärft sich das Problem.
Zur aktuelle Debatte: Flexibilität ja – aber mit Schutzkriterien.
Branchenstimmen fordern angesichts Kosten- und Personalknappheit eine Abkehr von strikten Einzelzimmer-Vorgaben. Pflegefachlich bleiben jedoch die Kerneffekte von Einzelzimmern – Infektionsschutz, Schlafqualität, Würde/Privatheit – besonders für Menschen mit Demenz relevant. Eine pragmatische Brücke ist nicht die pauschale Rückkehr zu Doppelbelegung, sondern klare Ausnahmeregeln: zeitlich befristete Doppelbelegung, Übergangsnutzung, priorisierte Einzelzimmer für vulnerable Gruppen (starke nächtliche Unruhe, hohe Infektanfälligkeit, ausgeprägte Angst/Überforderung durch Reize). Entscheidend ist das Gesamtkonzept aus Architektur, Personalschlüssel und Alltagsgestaltung – nicht der Zimmertyp allein.
Fazit
Einzelzimmer liefern bei Demenz robuste Vorteile in den sensibelsten Bereichen – Infektionsschutz, Schlaf/Delir, Würde und Privatheit. Doppelzimmer können sozial entlasten, bleiben aber störungs- und konfliktanfälliger und erhöhen prinzipiell das Infektionsrisiko. Die Debatte um mehr Flexibilität ist nachvollziehbar; sie sollte jedoch nicht Qualitätskerne auflösen, sondern mit Schutzkriterien arbeiten. Wo Architektur, Personalschlüssel und Alltag gut zusammenspielen, lässt sich beides erreichen: bezahlbare Plätze und Bedingungen, in denen Menschen mit Demenz zur Ruhe kommen, teilhaben und sicher versorgt sind.
Jochen Gust




