
Allgemein gilt die Faustregel: Belastungen in der Kindheit erhöhen das Risiko für spätere Erkrankungen – auch für Demenz. Doch eine aktuelle Studie aus Alzheimer’s & Dementia (2025) zeigt ein komplexeres Bild.
Was die Forschung herausgefunden hat
Untersucht wurden ältere Erwachsene (55+), die belastende Kindheitserfahrungen („Adverse Childhood Experiences“, ACEs) gemacht hatten – etwa finanzielle Not, Gewalt oder familiäre Probleme. Dabei zeigte sich:
- Finanzielle Not in der Kindheit / Armut stand in Zusammenhang mit einer schlechteren kognitiven Leistung im Alter.
- Gewalt oder Einschüchterung durch Eltern waren dagegen teilweise mit niedrigeren Werten bestimmter Hirn-Biomarker verbunden, die normalerweise als Zeichen für Schädigungen gelten (z. B. Neurofilament Light Chain, Glial Fibrillary Acidic Protein).
- Bildgebende Verfahren zeigten ebenfalls nicht unbedingt mehr Schäden, sondern Hinweise auf möglicherweise intaktere Hirnstrukturen.
Die Forschenden vermuten: Manche Betroffene entwickeln Resilienz oder kompensatorische Strategien, die sie im Alter sogar schützen können.
Bedeutung für die Pflege
Für den Pflegealltag bedeutet das:
- Biografische Arbeit bleibt zentral. Lebensgeschichten beeinflussen den Verlauf von Demenz bzw. sich darunter zeigende Verhaltensweisen – aber nicht immer in der erwarteten Richtung. Auch schwere Kindheitserfahrungen können Ressourcen hervorgebracht haben.
- Resilienz anerkennen. Fachkräfte sollten neben Defiziten gezielt auch nach Stärken, Bewältigungsmustern und vorhandenen Fähigkeiten suchen.
- Individuelle Beobachtung. Nicht alle Betroffene mit „schwieriger Vergangenheit“ zeigen stärkere Einschränkungen. Manche bewältigen Situationen erstaunlich stabil – ein Hinweis auf Schutzfaktoren.
- Prävention neu denken. Forschung zu Resilienz könnte langfristig helfen, Schutzmechanismen zu erkennen und in pflegerische Konzepte einzubauen.
Die Studie macht deutlich: Kindheitserfahrungen hinterlassen Spuren, aber nicht immer nur negative. Pflegefachpersonen können durch biografieorientierte Ansätze dazu beitragen, vorhandene Ressourcen zu erkennen und zu nutzen – ein wichtiger Baustein für eine individuelle und würdige Betreuung von Menschen mit Demenz.
Quelle: Rose, D. K., et al. (2025). Adverse childhood experiences influence markers of neurodegeneration risk in older adults. Alzheimer’s & Dementia. Advance online publication.