Unlängst die Meldung, dass es immer mehr Krankenhauspatienten mit Demenz werden.
Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ist dies nachvollziehbar. Einerseits. Die Gründe halte ich jedoch für vielschichtiger. Sie liegen auch im Mangel an Fachpersonal und Zeit in der ambulanten Versorgung der Betroffenen. Wenn ein Heimbewohner nach und nach zu wenig Flüssigkeit erhält und schließlich gefährlich ausgetrocknet (Stichwort Exsikkose) wird er schon mal zum „Auffüllen“ in die Klinik eingewiesen. Nach den erforderlichen Infusionen alsbald wieder entlassen, kommt es unter Umständen zu einer Reihe von nichtkognitiven Symptomen aufgrund des abrupten Ortswechsels und allem was dies mit sich bringt. Personalmangel, zu wenig Zeit und fehlende Fachlichkeit kann vom Heim in die Klinik führen.
Versorgungslücke
Hier soll es aber um eine Versorgungslücke gehen. Nach mehr als zehn Jahren Arbeit als Demenzbeauftragter in einem Krankenhaus und in der Zusammenarbeit mit den verschiedensten Kliniken und Einrichtungen gehe ich davon aus, dass gut 20 bis 30% der Klinikaufnahmen von Menschen mit Demenz vermeidbar gewesen wären. Das ist eine bloße Schätzung, ein Eindruck – belegen kann ich die Zahl nicht. Vermeidbar dann, wenn das ambulante System in der Versorgungskrise anders greifen könnte. In Fällen wie diesen:
Seit Jahren versorgen Tochter und Schwiegersohn die 87jährige Hilde H.. Hilde H. erhielt die Diagnose Demenz vom Alzheimer-Typ vor vier Jahren. Als die Probleme zunahmen, richteten Tochter und Schwiegersohn die Dachgeschoßwohnung in ihrem Haus her und nahmen die Mutter zu sich. Seit 12 Tagen macht Hilde H. jedoch die Nacht zum Tag. Sie hat eine im Rahmen einer Demenz häufig vorkommende Schlaf- Wachrhythmus-Störung entwickelt. Mehrmals pro Nacht müssen ihre Kinder nach ihr sehen. Sie weckt das ganze Haus weil sie Möbel rückt, wühlt räumt, ruft. Dazu die ständige Sorge der Kinder, sie könne wieder stürzen und man würde sie vielleicht zu spät finden. Die Familie ist überlastet, es kommt vermehrt zu Konflikten. In der 13. Unterbrochenen Nacht, kurz nach 1:00 Uhr morgens geht es dann nicht mehr: der Schwiegersohn ruft den hausärztlichen Bereitschaftsdienst. Dieser kommt auch und nimmt die spannungsgeladene Situation wahr. Ebenfalls gewinnt er den Eindruck, dass es sich wahrscheinlich um ein akutes Versorgungsproblem handelt, nicht etwa ein medizinisches.
Welche Möglichkeiten hat er?
- Er kann mittels eines Medikaments Ruhe erzwingen. Das hilft vielleicht für die Nacht, bringt unter Umständen für den anderen Tag neue Probleme und löst das Problem nicht grundsätzlich. Zudem bleibt die Unsicherheit, ob der dargestellte Unruhezustand nicht doch eine andere Ursache haben könnte.
- Er entzerrt die Situation dadurch, dass er die alte verwirrte Dame ins Krankenhaus einweist. Sein akutes Problem mit bzw. in dieser Familie ist damit zügig erledigt und an einen anderen Ort verlagert.
Irgendwas hat ein alter Mensch immer
Derartige Einweisungen erfolgen gerne auch mit „Verlegenheitsdiagnosen“. Also so etwas wie unklarer Abdomen, irgendwas mit Blutdruck, Niere, Herz oder sonst was, was alte und typischerweise multimorbide Menschen eben noch so haben (könnten). Denn eine Demenz an und für sich ist natürlich nicht erstmal nicht krankenhausbehandlungsbedürftig.
Natürlich, es gibt auch vielfach andere Vorgehensweisen und dazwischen eine Menge Graustufen und Lösungen auf „kleinem Dienstweg“ gibt’s auch immer wieder.
Am Beispiel sollte aber die Problematik klar geworden sein. Am aktuellen Ort der Versorgung spitzt sich aufgrund verschiedener Faktoren die Situation so zu, dass eine Krankenhauseinweisung erfolgt. Eigentlich aufgrund einer Verhaltensproblematik und der Überforderung und Möglichkeiten der Umgebung, damit umzugehen.
Anlaog der SAPV
Es fehlt ein Bindeglied, eines, dass nicht nur spezielle Kenntnisse im Umgang mit Menschen mit Demenz mit sich bringt, sondern auch Zeit. Auf diese Weise könnten eine Reihe von Krankenhauseinweisungen unterbleiben. Sozusagen ein Krankenhausvermeidungsdienst. Oder ein KrisenInterventionsdienstDemenz. Ähnlich wie die SAPV, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung funktioniert.
Einerseits besteht das Problem, dass regelhaft in einem Krankenhaus mit der Verhaltensproblematik auch nicht umgegangen werden kann. Häufig sind die Kenntnisse schlicht nicht da, oder die strukturellen Möglichkeiten nicht vorhanden – kein Raum, kein Material, keine Zeit, keine Mitarbeiter, die dies abfangen könnten. Oder was passiert normalerweise mit Menschen mit Demenz mit Schlaf-Wachrhythmus-Störungen in einer Klinik?
Richtig: die Behandlung zielt regelhaft nicht darauf, diesen wieder Rhythmus wieder zu stabilisieren. Dafür gibt’s kein Konzept. Vielmehr wird chemisch und / oder mechanisch fixiert, nachts für die Ruhe gesorgt, die die Umgebung braucht. Ein Krankenhaus welches sich demenzsensibel nennt oder demenzfreundlich, muss immer ein angemessenes Nachtkonzept vorhalten. Als Demenzbeauftragte/r kümmern Sie sich selbstverständlich auch darum. Idealerweise bekommen wir in Zukunft irgendwann eine Art Dienst hin, der in Sachen Demenz gut aufgestellt ist, wie die SAPV im Palliativbereich.
Stellen Sie sich vor:
Die Kinder von Hilde H. hätten über die zentrale Rufnummer – z.B. einer geriatrischen Klinik den dort diensthabenden Arzt anrufen können. Oder eben der Bereitschaftsarzt verfügt über die Möglichkeit eine speziell geschulte Pflegefachkraft hinzuziehen. Mit den Kenntnissen und der Zeit in die Familie zu gehen, die Kinder schlafen zu schicken und die aufgebrachte Mutter zumindest so weit zu händeln, dass nichts weiter passiert. Am nächsten Tag bespricht man, welche Möglichkeiten es gibt den Schlaf- Wachrhythmus eines Menschen mit Demenz wieder zu stabilisieren. Die Familie bekommt die Möglichkeit, die Fachkraft im Bedarfsfall wieder hinzuziehen. Der Hausarzt erhält einen Bericht um den Fortgang der Dinge begleiten zu können.
Zeit und Fachkraft
Übrigens: ebenso wenig wie die Palliativversorgung / SAPV ist dies aus fachlichen Erwägungen heraus nicht ohne weiteres an Hilfskräfte oder Ehrenamtliche auszulagern. Gerade bei einer akuten Verhaltensauffälligkeit kommt es auch darauf an zu erkennen, ob nicht doch neben der Demenz und den Umständen eine körperliche Ursache vorhanden ist oder nicht und ggfs. in engem Austausch mit dem behandelnden Arzt zu bleiben. Das Grundproblem bleibt aber nichtfinanzierte Zeit beim und mit dem Betroffenen. Eine akute Situation entzerrt sich möglicherweise nicht in 15 oder 20 Minuten.
Wir müssen wieder Zeit bezahlen. Sie weder im privaten noch beruflich zuvorderst als etwas betrachten, was an anderen Menschen verschwendet werden kann. Die Angst ablegen, im selben Zeitraum „besseres“ getan haben zu können, wenn damit eigentlich „umsatzstärkeres“ gemeint ist. Und im Gesundheitswesen müssen wir sie wieder bezahlen.
Ihnen eine gute Zeit.
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