Achtung Überlieger: Kurzzeitpflege im Krankenhaus

Im Juni dieses Jahres meldete die Ärztezeitung: „Nordrhein-Westfalen erprobt neue Wege mit Kurzzeitpflege im Krankenhaus“. Im Dezember ging durch die Presse, dass Union und SPD einen Rechtsanspruch auf Kurzzeitpflege verankern wollen.

Im § 42 SGB XI heißt es zur Kurzzeitpflege: (1) Kann die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden und reicht auch teilstationäre Pflege nicht aus, besteht für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung.

Doch der Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen in Pflegeheimen hat dramatische Zustände erreicht. Vielerorts sind schlicht keine zu bekommen. Betroffene und Angehörige suchen vergeblich, stehen auf Wartelisten oder müssen – von wegen wohnortnaher Versorgung – weite Wege in Kauf nehmen, um einen solchen Platz zu bekommen. Und das, obwohl dieses Entlastungsinstrument grundsätzlich geeignet ist eine akute Überlastungssituation zu entzerren. Insbesondere bei den Herausforderungen, die eine Versorgung von Menschen mit Demenz mit sich bringen kann.

Im Gesetz heißt es weiter, wann Kurzzeitpflege in Frage kommt ( § 42 SGB XI ): 1. für eine Übergangszeit im Anschluß an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder
2. in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist.

Man könnte also diese Aspekte betrachtend sagen, dass es doch nahe liegt die Kapazitäten der Krankenhäuser auch für Kurzzeitpflege zu nutzen.

Plätze werden als Puffer „eingestreut“

Im nordrhein-westfälischen Modellvorhaben sollen nun zeitlich befristet Kurzzeitpflegeplätze in den Krankenhäusern eingestreut werden. Eingestreut bedeutet, dass es hierfür keine fest zugewiesenen Räumlichkeiten gibt (geben muss), sondern freie Betten mit Kurzzeitpflegepatienten belegt werden können wie sie eben vorhanden (frei) sind. Bislang haben rund 50 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen Interesse am Projekt bekundet.

Hintergrund ist, dass auch in Krankenhäusern der Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen „draußen“ dazu führt, dass pflegebedürftige Patienten nicht „rechtzeitig“ verlegt werden können. Die notwendige Krankenhausbehandlung ist also abgeschlossen – aber da kein Kurzzeitpflegeplatz zur Verfügung steht, kann der Patient nicht verlegt werden. „Überlieger“ nennt man diese Patienten gerne. „Abflusstörungen“ werden durch die Mitarbeiter des Entlassmanagements gemeldet, die heutzutage oft deutlich mehr Aufwand betreiben müssen die Entlassung vorzubereiten. Krankenhäuser sind grundsätzlich verpflichtet, die Weiterversorgung des Patienten sicherzustellen.

Auf die Fragen:
Ist die Maßnahme Kurzzeitpflege in NRW durch Krankenhäusern auch mit der Intension entstanden, „zeitliche Puffer“ zu ermöglichen, so dass ggfs. bis zum Ende der Klinikkurzzeitpflege wohnortnah ein ambulanter Dienst zur Weiterversorgung gefunden werden kann oder ein Dauerpflegeplatz in einem Pflegeheim? Dient die Kurzzeitpflege im Krankenhaus also (auch) der Entschärfung sogenannter „blutiger Entlassungen“? antwortet Wilhelm Rohe
Referatsleiter Pflege beim Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) NRW denn auch am 11.12.19:

„Der Übergang in die Kurzzeitpflege im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung scheitert häufig an fehlenden und nicht ausreichenden Versorgungskapazitäten in der Kurzzeitpflege. Hier ist seit Jahren ein Rückgang der ausschließlich für Kurzzeitpflege nutzbaren Plätze festzustellen. Durch Kurzzeitpflege im Krankenhaus wird ein zeitlicher Puffer geschaffen der es den Beteiligten ermöglicht, die Weiterversorgung in der eigenen Häuslichkeit sowie den Übergang in die vollstationäre Pflege zu organisieren.“

Kurzzeitpflege im Krankenhaus: neue Gefahr oder Chance für Menschen mit Demenz?

Viele Krankenhäuser sind nicht ausreichend auf Patienten mit Demenz vorbereitet. Der Mangel an Fachkräften ist eklatant, mancherorts gefährlich. Die Stationen sind häufig weder in Ausstattung noch räumlich auf die Erfordernisse eingerichtet. Hinzu kommt, dass Krankenhausmitarbeiter häufig nicht oder unzureichend auf den Umgang mit schwierigen Situationen mit Menschen mit Demenz vorbereitet sind. In – zumeist freiwilligen – Schulungen zum Thema wird häufig von „Wertschätzung“ theoretisiert oder die Thematik auf rein pathologischer/ neurologischer Ebene behandelt, den Mitarbeitenden aber wenig konkretes „Handwerkszeug“ vermittelt. Mehrminuten für die Betreuung von Menschen mit Demenz sind ohnehin nicht vorgesehen, was viele Fortbildungen gar nicht berücksichtigen.

Die Folgen? Fixierungen mechanischer oder chemischer Natur, delirante Zustände entstehen oder werden nicht erkannt und behandelt, nach Entlassung schlechteres kognitives Leistungsniveau und schlechtere Selbstversorgungsfähigkeit als vor der Aufnahme, nosokomiale Infektionen, dauerhafte Übersiedlung ins Pflegeheim und andere.

Wenn sich die Bedingungen – und dazu gehören in erster Linie gute Bedingungen für die Klinikmitarbeiter – für die Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus nicht verbessern: wie sollte dann ein längerer Krankenhausaufenthalt, auch wenn er sich Kurzzeitpflege nennt, zur Verbesserung seines Zustandes beitragen?

(Nicht nur) Demenzbeauftragte im Krankenhaus sind bereits mit dem Anlaufen des Modellvorhabens Kurzzeitpflege im Krankenhaus gefordert, sich für eine Verbesserung der Bedingungen einzusetzen. Dazu gehört vor allem auch die ehrliche Bestandsaufnahme, wie derzeit auf die besonderen Bedürfnisse und Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz in der Klinik reagiert wird. Sie müssen an Konzepten für Kurzzeitpflege im Krankenhaus für Menschen mit Demenz mitarbeiten dürfen, um diese gelingend zu gestalten. Denn, noch einmal Wilhelm Rohe vom vdek NRW erläuternd:

„Bei Krankenhäusern mit „eingestreuter Kurzzeitpflege“ erfolgt die Versorgung im Regelfall durch das dort bereits vorhandene Pflegepersonal.“.

Werden jedoch auch entsprechende Bedingungen für Menschen mit Demenz in der Kurzzeitpflege im Krankenhaus geschaffen, idealerweise verpflichtend zum Beispiel von einem Geriater und Fachpflegekräften begleitet und durch Betreuung flankiert, könnte sich aus dem Modellvorhaben tatsächlich auch für Menschen mit Demenz eine echte Chance entwickeln. Sie könnten länger im gleichen Team behandelt werden um herausforderndes Verhalten zu reduzieren und dabei auch Strategien zu entwickeln, die eine weitere Versorgung in der eigenen Häuslichkeit für pflegende Angehörige ermöglicht. Drehtüreffekte könnten vermieden werden, weil der Patient nicht (vor)schnell entlassen wird und sowohl dem eigenen Entlassmanagement als auch der sorgenden Familie die Möglichkeit geben, sich in der gebotenen Sorgfalt und Ruhe auf die Weiterversorgung zu konzentrieren und diese vorzubereiten.

Hoffen wir, dass NRW nicht nur ein erfolgreiches Modellprojekt für die Kurzzeitpflege in Krankenhäusern im Allgemeinen schafft, sondern auch im Speziellen. Die Politik und die Kostenträger sind aufgerufen, auch in diesem Zusammenhang den besonderen Bedarf von Menschen mit Demenz in Vereinbarungen zu berücksichtigen. Nicht nur im Interesse der Patienten, sondern auch im Interesse der Klinikmitarbeiter.

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