„Ich sehe was, was Du nicht siehst….“: Illusionen bei Demenz erkennen

Menschen mit Demenz erleben die Welt anders – und manchmal nehmen Sie Dinge wahr, die so nicht vorhanden sind. Ein Vorhang wird zur Person, ein Schatten zur Bedrohung. Solche Sinnestäuschungen verunsichern Betroffene, Angehörige und auch Pflegeprofis hinsichtlich des Umgangs damit. Allzuschnell wird angenommen, Betroffene halluzinieren. Doch nicht immer handelt es sich um eine Halluzination. Häufig liegen sogenannte Illusionen vor – also Fehlinterpretationen realer Reize.

Illusion, Halluzination oder Wahn – was ist was?

Kurz gefasst:

  • Illusionen: Ein realer Reiz ist vorhanden, wird aber falsch gedeutet – etwa wenn ein Gardinenschatten als Eindringling wahrgenommen wird. Sie treten bei allen Demenzformen auf und sind häufig durch äußere Bedingungen wie Licht, neue Veränderungen in der Umgebung, aber auch durch Müdigkeit oder Sinnesbeeinträchtigungen begünstigt.
  • Halluzinationen: Es werden Dinge wahrgenommen, für die es keine Reizgrundlage gibt – die gar nicht existieren – z. B. Tiere im Raum. Besonders häufig bei Lewy-Körperchen- oder Parkinson-Demenz.
  • Wahn: Eine feste Überzeugung, die nicht der Realität entspricht – etwa das Gefühl, bestohlen oder vergiftet zu werden. Vor allem bei Alzheimer-Demenz verbreitet und emotional belastend.

Illusionen: Die häufig übersehene Sinnestäuschung

In der Pflegepraxis stehen Illusionen oft im Schatten der Halluzination – zu Unrecht. Denn gerade bei Reizüberflutung, schlechter Beleuchtung, Sehproblemen oder Übermüdung sind sie häufig. Illusionen basieren auf realen Sinneseindrücken, die vom Gehirn aufgrund gestörter Verarbeitung fehldeutet werden. Typische Auslöser:
Flackerndes Licht oder Schatten, Spiegel oder gemusterte Vorhänge, neues Mobiliar, Geräusche ohne klare Quelle, Müdigkeit oder Fieber, Seh- oder Hörminderungen.

Besonders problematisch ist es, wenn Menschen mit Demenz nicht mehr ausdrücken können, was sie beunruhigt oder beeinträchtigt. Sie zeigen dann häufig durch Verhalten, was sie bewegt. In der Praxis kann das dazu führen, dass Betroffene falsch behandelt werden. Jemand der sich tatsächlich bedroht fühlt weil er einen fremden Mann in seinem Wohnung wahrnimmt (Fremde Jacke an der Garderobe) wird schwerlich an einer Aktivierung teilnehmen, sich womöglich unkooperativ bei der Pflege verhalten oder gar weglaufen wollen.

Problematisch ist auch, dass unerkannte Illusionen leicht als Halluzinationen oder Wahn fehlgedeutet werden können – die dann möglicherweise zu einer medikamentösen Behandlung führen, die die Person gar nicht braucht. Genau hinschauen ist für Pflegeprofis also unbedingt wichtig.

🧠 Schnellcheck: Illusion oder Halluzination?

  • 1. Gibt es einen realen Reiz?
    → Z. B. Gardine, Schatten, Geräusch
  • 2. Ist die Umgebung unklar?
    → Schlechte Beleuchtung, Spiegel, Lärm
  • 3. Seh- oder Hörbeeinträchtigung?
    → Brille oder Hörgerät vergessen/defekt?
  • 4. Müdigkeit oder Überforderung?
    → Verwirrung, Erschöpfung, Infekt
  • 5. Falsche Reaktion auf realen Reiz?
    → Z. B. erkennt Gardine als Mensch

👉 Ab 3x Ja: Wahrscheinlich eine Illusion.

Tipp: Umgebung anpassen, beruhigen, nicht konfrontieren.

Demenz beeinträchtigt die Fähigkeit, Reize korrekt zu verarbeiten und zu bewerten:
Bei Illusionen liegt ein Reiz vor, doch das Gehirn interpretiert ihn falsch – oft wegen Überforderung, Kontextverlust oder reduzierter Aufmerksamkeitssteuerung.
Bei Halluzinationen erzeugt das Gehirn Bilder oder Geräusche ohne Reiz – meist bei gestörtem visuellen Kortex oder verändertem Neurotransmitter-Haushalt (z. B. zu viel Dopamin).
Beim Wahn versucht das Gehirn, Erinnerungslücken zu füllen – mit subjektiv logischen, aber falschen Deutungen.

Was tun bei Illusionen?

Die wichtigste Regel: Nicht konfrontieren – begleiten. Ein Streit über die Realität hilft selten, sondern verunsichert zusätzlich.
Tipps bei Illusionen
Umgebung prüfen: Ist die Beleuchtung diffus? Gibt es Spiegel, Vorhänge oder Muster, die verwirren könnten? Kann der auslösende Gegenstand / Umstand ggfs. entfernt werden?
Hilfsmittel nutzen: Brille aufsetzen lassen, Hörgerät überprüfen.
Reize reduzieren: Klare Lichtquellen, ruhige Atmosphäre.
Beruhigen und validieren: „Ich sehe das anders, nehme aber wahr wie Sie sich damit fühlen.“.

Illusionen erkennen und von Halluzinationen abgrenzen heißt: die Pflege von Menschen mit Demenz zu verbessern

Illusionen bei Demenz sind nicht nur häufig, sondern oft „behandelbar“ – durch eine gute Beobachtung, eine angepasste Umgebung und empathischen Umgang. Pflegeprofis, die Illusionen erkennen und einordnen können, verhindern unnötige Angst, Missverständnisse, Fehlbehandlungen und weitere negative Folgen.

Jochen Gust

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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