Herbergen für Menschen mit Demenz – 5 Standorte in NRW geplant

Die Pflege von älteren Menschen und Menschen mit Demenz in den Niederlanden unterscheidet sich in einigen Aspekten grundsätzlich von der deutschen. Das beginnt schon damit, dass die Kommunen eine sehr viel aktivere Rolle spielen, da sie für soziale Angebote und Dienstleistungen verantwortlich sind und die Finanzierung über Steuermittel erfolgt. Auch haben die Niederlande eine lange Tradition darin, Menschen in die Gemeinschaft zu integrieren, die individuelle Lebensgeschichte zu beachten und Normalität und teilhabe mit passenden Angeboten zu ermöglichen.

„Herbergier“ ist ein niederländisches Wort und bedeutet auf Deutsch sinngemäß „Gastgeber“. Das Herbergier-Konzept basiert auf kleinen, familiären Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz. In diesen Einrichtungen leben die Bewohner gemeinsam mit dem Gastgeberpaar, das in den Niederlanden auch „Unternehmerpaar“ genannt wird. Die Gastgeber und die Mitarbeitenden strukturieren und bieten den Rahmen – der Bewohnende gestaltet selber! Der Fokus liegt dabei auf einer warmherzigen und persönlichen Betreuung in einer Umgebung, die ein möglichst normales Leben trotz der Erkrankung ermöglicht.

Dr. Sabine Becker-Klunder
Ländermanagerin Deutschland

Das Herbergier-Konzept wird in Deutschland von der niederländischen Organisation De Drie Notenboomen (DDN) als Franchisegeber eingeführt. DDN, Entwicklerin und Eigentümerin der Franchise-Formel „De Herbergier“, plant das erfolgreiche niederländische Modell auch in Deutschland zu etablieren. Für die Umsetzung in Deutschland sucht DDN Gastgeberpaare als Franchisenehmer, die gemeinsam mit DDN das Konzept an deutsche Bedürfnisse anpassen und umsetzen.

Dr. Sabine Becker-Klunder ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Pädagogin und promovierte Gesundheitswissenschaftlerin. Sie ist bei DDN International in Amsterdam beschäftigt und setzt sich dafür ein, das niederländische Wohnkonzept „Herbergier“ in Deutschland zu etablieren.

Jochen Gust: Frau Becker-Klunder – was unterscheidet die Wohngemeinschaft Herbergier von den in Deutschland vorhandenen Demenz-Wohngemeinschaften?

Dr. Sabine Becker-Klunder: Für mich sind es drei Dinge, die so speziell sind, dass ich mich für diese Aufgabe gerne engagiere: 1. das Gastgeberpaar wohnt im gleichen Gebäudekomplex, wohl in einer eigenständigen Wohnung für die Privatsphäre aber gleichzeitig so nah, dass sie die Bewohnenden kennen und für die Qualität Garant stehen. 2. die niederländische Sicht auf die Erscheinungsform „dementielle Veränderung“, unterschiedliche Gedächtnisschwächen, die geprägt ist von Erhöhung der Lebensqualität durch Schaffung von Glücksmomenten statt einer Fokussierung auf Lebensquantität. Und 3. die Organisation innerhalb einer Wohngruppe, wo die Mitarbeitenden in respektvoller Weise im Prozess coachend mitgenommen werden, so dass sie sich selbststeuernd kontinuierlich verbessern können.

Jochen Gust: Beim Herbergier-Konzept gibt es ein Gastgeberpaar, dass hauptverantwortlich die Begleitung und Versorgung von Menschen mit Demenz organisiert. Da 24/7 Bedarf ist, können die Gastgeber dies unmöglich allein stemmen. Gehen Sie davon aus, dass in Deutschland zusätzlich ambulante Dienste engagiert werden oder werden die Gastgeber Mitarbeiter dafür einstellen?

Dr. Sabine Becker-Klunder: In der Tat – die Gastgeber können diese Aufgabe sicher nicht alleine erfüllen. Abrechnungstechnisch melden Sie einen eigenen Pflegedienst an. Sie stellen ihre Mitarbeitenden selber ein, so dass sie einen Mix haben aus Betreuungs- und Pflegefachkräften. Gemeinsam begleiten Sie die Bewohnenden und ihre An- und Zugehörigen.

Zudem wird DDN zeitnah 5 Herbergier-Standorte in NRW gründen. Denn natürlich muss ein Gastgeberpaar auch mal in Urlaub fahren können und dann vertreten die anderen Franchisenehmer diesen Standort. Auch hier spiegelt sich die zusammenarbeitende Arbeitskultur wider.

Jochen Gust: Als Franchise-Geber bestimmt DDN die Ausrichtung des Herbergiers – können Sie wesentliche Eckpunkte nennen, die erfüllt sein müssen um Franchisenehmer werden zu können?

Dr. Sabine Becker-Klunder: Ja – DDN setzt den Rahmen, aber gefüllt wird die Ausrichtung des Herbergiers durch die Franchisenehmer – das macht die Häuser individuell so unterschiedlich. Formelle Anforderung ist, dass es sich um ein Paar handelt – verheiratet oder nicht. Bei einem Paar ergänzen sich häufig die Eigenschaften – sozial mit analytisch, weich mit hart, gesprächig mit still. Durch diese Ergänzung können sich viele Bewohnenden angesprochen fühlen. Zudem haben Paare Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt, so dass sie das „Abenteuer Herbergier“ für fünf Jahre angehen können. Eine/r der beiden muss eine PDL Ausbildung haben, dies hat technische und qualitätssichernde Gründe, allerdings ist eine Affinität und Kenntnis zu Menschen mit Gedächtnisschwäche für beide eine Voraussetzung.

Jochen Gust: Geplant ist der Deutschlandstart 2026 in Recklinghausen – können Sie mehr zum Franchisegeber sagen? Stehen Privatpersonen dahinter oder ein bereits etablierter Träger der Pflege? Gibt es weitere Standorte, bei denen die Planung einen konkreteren Ausblick erlaubt?

Dr. Sabine Becker-Klunder: Hier in den Niederlanden gibt es das Wohnen in Gruppe – ähnlich wie in Deutschland seit mehr als 25 Jahren. DDN war hierbei Pionier und der Anlass war sehr persönlich. Der DDN-Gründer Hans van Putten entwickelte anfänglich für seinen Sohn Thomas die Wohnform Thomashuis, für junge geistig eingeschränkte Menschen. Aus dieser Erfahrung heraus folgte schnell das Herbergier-Konzept, für dementiell veränderte Menschen. 2016 hat der Arzt und Unternehmer Loek Winter DDN erworben und seitdem ständig weiterentwickelt. Inzwischen gibt es in den Niederlanden 130 Thomashäuser und 55 Herbergiers. In den Niederlanden sind wir also sehr erfolgreich, in Deutschland starten wir mit einem Haus, so dass wir erste Erfahrungen sammeln können. Allerdings bin ich, wie bereits erwähnt, bereits damit beschäftigt, in anderen Städten in NRW nach Standorten zu schauen.

Jochen Gust: Ich danke Ihnen für Ihre Antworten.

Das Herbergier-Konzept beinhaltet nicht nur eine besondere Konzeption des Aufbaus und der Struktur des Zusammenlebens. Im Umgang mit Betroffenen gehört ganz wesentlich dazu, mehr Freiheit, auch mehr Entscheidungsfreiheit, zu ermöglichen, individuelle Wünsche zu berücksichtigen und Prägungen und Eigenarten in die Gemeinschaft zu integrieren.
Ich bin auf die Etablierung gespannt und werde wieder berichten.

Jochen Gust

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Jochen Gust

Pflegefachperson, Projektmitarbeiter, Demenzbeauftrager im Krankenhaus, Autor, Moderator, Dozent

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